| # taz.de -- Einigung der Bundesregierung: Der Wehrpflicht-Kompromiss beweist de… | |
| > Der erste Schritt hin zur Verteidigungsfähigkeit ist gegangen. Ob die | |
| > Menschen Deutschland im Ernstfall verteidigen, hängt aber von | |
| > Gerechtigkeit ab. | |
| Bild: Tarnen des Einzelschützen: eine Ausbildungsstation bei der Bundeswehr, 1… | |
| Dauer und Form von Aushandlungsprozessen im demokratischen Staat können | |
| Verwunderung auslösen, manchmal auch Verzweiflung. Wenn es gar zu absurd, | |
| ja tragisch wird angesichts dringenden Handlungsbedarfs, mag man sogar | |
| versucht sein, mit Verachtung zu reagieren. | |
| Davor gilt es sich zu hüten. Verachtung ist die Attitüde, mit der ihre | |
| Feinde der Demokratie begegnen, von Putin bis Trump, von AfD bis ins | |
| linksreaktionäre Milieu hinein. Am Ende ist [1][der jetzt gefundene | |
| Kompromiss] der Bundesregierung zum freiwilligen [2][Wehrdienst] | |
| beziehungsweise zur Musterungspflicht für junge Männer ein erstes Zeichen | |
| der Stärke: Demokratien brauchen gerade in der Frage, inwieweit ihre | |
| Bürger:innen zu ihrer Verteidigung herangezogen werden können, immer | |
| lange. Und noch länger brauchen sie, wenn tatsächlich die Frage im Raum | |
| steht, ob einer Aggression dadurch begegnet werden soll, dass die eigenen | |
| Bürger:innen sie mit ihren Körpern, mit dem Einsatz des eigenen Lebens | |
| verteidigen. | |
| Das ist im Moment glücklicherweise nicht der Fall. Wer tötet, wer stirbt, | |
| wer verstümmelt wird, wer unter Krankheiten leidet, die Ärzte nur | |
| historisch aus den Grabenkämpfen des Ersten Weltkrieg kennen, sind nicht | |
| die Deutschen, es sind die ukrainischen Soldat:innen, die ihr Land gegen | |
| eine durch nichts zu rechtfertigende Aggression verteidigen; und es sind | |
| diejenigen auf der anderen Seite der Front, die sich von dem | |
| mafiös-faschistischen Putin-Regime zum Überfall auf ihre Nachbarn | |
| missbrauchen und töten lassen. | |
| Die Feststellung, dass es nicht die Deutschen sind, die unter diesem Krieg | |
| leiden, sondern vielmehr Menschen, deren Vorfahren von den Vorfahren der | |
| heutigen Deutschen überfallen wurden, mag banal erscheinen. Angesichts der | |
| wehleidigen und geschichtsvergessenen Inszenierung, die in Teilen der | |
| deutschen Öffentlichkeit die Frage einer europäischen Wiederaufrüstung | |
| begleitet, muss man aber vielleicht noch mal in Erinnerung rufen: Die | |
| Kernbotschaft, die vom 8. Mai 1945 bis ins Heute ausstrahlt, ist nicht: Nie | |
| wieder Krieg! Die Kernbotschaft ist: Nie wieder Faschismus! | |
| ## Teil unserer Geschichte | |
| Und [3][der deutsche Militarismus]? Ist der nicht auch Teil unserer | |
| Geschichte? Unbedingt! Die Zivilisierung der (west)deutschen Gesellschaft | |
| war aber über Jahrzehnte so gründlich, dass inzwischen sogar Nazis zum | |
| außenpolitischen Pazifismus neigen, soweit sie eben nicht gleich auf der | |
| Payroll Putins stehen. Das Schlagwort vom deutschen Militarismus ist heute | |
| einfach ein bedauerlicher Irrtum, wenn nicht ein Tool aus der Rhetorikkiste | |
| hybrider Kriegsführung Putins. | |
| Sönke Neitzel, ein deutscher Militärhistoriker und Wortführer in der | |
| aktuellen Debatte um Aufrüstung und Wehrpflicht, war bei der Bundeswehr | |
| Tankwart, nicht Scharfschütze. Und hat auch nur im Ansatz jemand auf der | |
| höheren politischen Ebene in den letzten Jahren zu | |
| preußisch-militaristischer Hybris geneigt? Friedrich Merz jedenfalls ist in | |
| der Taurus-Frage als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Derweil | |
| wird die Ukraine täglich von russischen Raketen terrorisiert. | |
| Wenn Generalleutnant Robert Sieger vom Bundesamt für das Personalmanagement | |
| der Bundeswehr sich nun zur ab 2027 geplanten Musterung äußert, dann klingt | |
| das mehr nach Ikea als nach dem früheren Kreiswehrersatzamt. „Hell, | |
| freundlich und positiv“ solle die Atmosphäre sein. Das muss man ihm nicht | |
| glauben. Und selbst im Nichtgroßkonfliktfall ist die Sache keineswegs | |
| harmlos: Nach Angaben der Bundeswehr kamen mehr als 3.400 | |
| Bundeswehrangehörige seit der Gründung der Bundeswehr 1955 in Ausübung | |
| ihres Dienstes ums Leben, ob durch Unfälle oder im Einsatz. | |
| Mit den nun beschlossenen Maßnahmen, bei denen es kaum bleiben kann, wenn | |
| so etwas wie glaubwürdige Abschreckung, also die sogenannte | |
| Kriegstüchtigkeit erreicht werden soll, ist noch gar nichts darüber | |
| entschieden, ob diese unsere bundesrepublikanische Gesellschaft sich | |
| tatsächlich auch verteidigen möchte. | |
| ## Eine Gerechtigkeitsfrage | |
| Wehrgerechtigkeit bedeutet nicht zuletzt, dass sich eine Gesellschaft gegen | |
| einen äußeren Feind nur dann wehrt, wenn die Gesellschaft auch als gerecht, | |
| also verteidigungswert empfunden wird. Wer keine Wohnung findet, wird kaum | |
| in eine Kaserne ziehen. | |
| In einer ungerechten Gesellschaft werden mehr Menschen ihr Recht auf | |
| [4][Wehrdienstverweigerung wahrnehmen]. Um das Gleichgewicht von innerer | |
| und äußerer Sicherheit herzustellen, bräuchten wir so etwas wie eine | |
| sozialdemokratische Partei, die ihre soziale und ihre antifaschistische | |
| Tradition ernst nimmt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. | |
| 15 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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