# taz.de -- Ein außergewöhnlicher Job als Fischerin: „Man muss öfter ins N… | |
> Maria Thamm ist Fischwirtin in Ausbildung. Ihr Vater ist der letzte | |
> Berufsfischer auf dem Müggelsee. Sie wird mal den Betrieb in Rahnsdorf | |
> übernehmen. | |
Bild: Hat einen außergewöhnlichen Job: Maria Thamm, Fischwirtin in Ausbildung | |
taz: Frau Thamm, wie reagieren die Leute, wenn Sie auf einer Party sagen, | |
ich bin Fischerin? | |
Maria Thamm: Die sind erst mal baff. Weil es nicht das ist, womit man | |
rechnet, wenn man mich in meinen privaten Klamotten sieht. Aber eigentlich | |
sage ich das nicht gleich, wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde. | |
Sondern? | |
Ich beginne damit, dass ich einen etwas außergewöhnlichen Job habe, und | |
taste mich langsam vor. Dass meine Eltern eine Fischerei haben, dass das | |
ein Familienbetrieb ist, dass ich da mitarbeitete und dass ich später mal | |
Fischerin werde. Zum Großteil finden die Leute das cool und haben großen | |
Respekt. Nicht nur weil ich eine Frau bin. Auch für einen Mann ist es nicht | |
selbstverständlich, dass jeder so mit Fisch kann. | |
Ihnen wurde der Fisch quasi in die Wiege gelegt. | |
Ich bin damit groß geworden, richtig (lacht). Wenn ich aus der Schule | |
gekommen bin, stand mein Papa unten im Schlachtraum und hat Fische | |
geschlachtet. Für mich war das ganz normal. Ich kann mich an keinen Moment | |
erinnern, dass ich das gruselig oder eklig fand. Als ich dann selber | |
mitgearbeitet habe, war es dann doch noch was anderes. Aber man gewöhnt | |
sich schnell dran. | |
Was war am schwierigsten? | |
Definitiv der Geruch. Räucherfisch riecht sehr lecker. Aber frischer Fisch, | |
gerade aus dem See gezogen, wenn man den verarbeitet, das riecht schon sehr | |
unangenehm. Mein Vater sagt immer, das riechst du irgendwann nicht mehr. | |
Also ich bin jetzt im zweiten Ausbildungsjahr. Es stört mich nicht mehr so | |
wie am Anfang, aber ich rieche es immer noch. | |
Ihr Vater ist der letzte Berufsfischer auf dem Müggelsee. Seit wann ist | |
klar, dass Sie in seine Fußstapfen treten? | |
Ich bin Einzelkind, es war gar keine andere Auswahl da, wer das sonst hätte | |
übernehmen können. Ich wusste schon immer, dass ich das machen soll und | |
irgendwie auch möchte. Aber so richtig identifizieren konnte ich mich damit | |
zunächst nicht. Ich habe die Fachoberschule Richtung Wirtschaft und | |
Verwaltung besucht. Das ganze elfte Schuljahr musste man drei Tage pro | |
Woche ein Berufspraktikum machen. Das habe ich bei meinem Vater gemacht. | |
Danach war es beschlossene Sache. Nach dem Abitur haben wir mich in der | |
Berufsschule für Fischereiwirtschaft in Königswartha in Sachsen angemeldet. | |
Jetzt habe ich gerade meine Zwischenprüfung gemacht. | |
Haben Sie nie mit anderen Berufen geliebäugelt? | |
Wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, den Fischereibetrieb meiner | |
Eltern zu übernehmen, wäre ich vielleicht in den Büro-Managementbereich | |
gegangen. Aber Buchhaltung gehört ja auch hier dazu. Deswegen habe ich ja | |
auch dieses Wirtschaftsabitur gemacht. | |
Rahnsdorf ist ein altes Fischerdorf. Sie und die Eltern wohnen in einem | |
Fischergut von 1535. Der Grundstück grenzt an die Müggelspree, wo die Kähne | |
liegen. Waren Ihre Vorfahren auch schon Fischer? | |
Nein. Mein Vater hat an der gleichen Berufsschule wie ich die Ausbildung | |
zum Fischwirt gemacht. Er hat sich dann selbstständig gemacht und | |
Fischereirechte gekauft. Erst hatte er ein Fischgeschäft in der | |
Bahnhofstraße in Köpenick. Vor 20 Jahren, ungefähr zu der Zeit, wo ich | |
geboren worden bin, ergab sich die Möglichkeit, das Grundstück hier zu | |
kaufen. Er hat es dann Stück für Stück renoviert und in einen bewohnbaren | |
Zustand gebracht. | |
Hätten Sie auch Nein sagen können? | |
Ein gewisser Erwartungsdruck war da, aber nicht so extrem, dass ich das | |
Gefühl hatte, ich muss. Aber mein Vater wäre schon sehr traurig und | |
enttäuscht gewesen, wenn ich es nicht gemacht hätte. Und er hätte nicht so | |
genau gewusst, was aus dem Betrieb hätte werden sollen. Es ist auch in | |
meinem Interesse, dass das alles weiter besteht. | |
Ihre Ausbildung ist so, dass Sie abwechselnd drei Wochen in der | |
Berufsschule und vier Wochen im Betrieb sind. Wie geht es zum Fischen raus? | |
Wir haben zehn bis zwölf Reusen im Müggelsee. Das sind feste Fanggeräte, | |
die stationär im Wasser stehen. Mehrmals in der Woche machen wir mit dem | |
Boot die Runde, kontrollieren die Reusen und entleeren sie. Aber bei uns | |
gibt es nicht diesen täglichen Trott. Das schätze ich sehr an dem Beruf. | |
Was soll das heißen? | |
Wir haben die gesamte Handelskette: Wir fangen den Fisch selber und wir | |
haben ein gewisses Sortiment an zugekauften Fischprodukten. Wir räuchern, | |
verarbeiten und verkaufen alles selber. Das machen meine Mutter, mein Vater | |
und ich und eine Festangestellte. Wir stehen mit dem Hänger auf | |
Wochenmärkten, von Ostern bis zum Herbst verkaufen wir an Wochenenden und | |
an Feiertagen auch direkt ab Hof. Unten am Wasser stehen Tische und Bänke, | |
bei schönem Wetter ist der Laden voll. Da helfen uns dann auch | |
Saisonkräfte. | |
Welche Fische fangen Sie selbst, was wird zugekauft? | |
Unser eigener Fang besteht überwiegend aus Zander, Barsch, Hecht und Aal. | |
Der Müggelsee wird ja auch Aal-Zander-See genannt. Heilbutt, Rotbarsch, | |
Butterfisch und Lachs kaufen wir zu und räuchern sie selbst. Die Kunden | |
wollen ein Vollsortiment. | |
Was machen Sie mit den Weißfischen, die im Müggelsee massig vorkommen? | |
Das sind größtenteils karpfenartige Fische wie Bleie und Plötze. In jedem | |
See gibt es sie zuhauf, wegen der vielen Gräten sind das aber keine | |
beliebten Speisefische. Wir verarbeiten sie trotzdem weiter zu | |
Fischbuletten. Dadurch, dass sie zweimal durch den Fleischwolf gedreht | |
werden, sind die Gräten so klein, dass sie beim Braten verbrutzeln. | |
Haben Sie einen Lieblingsfisch? | |
Geschmacklich ist das der Aal. | |
Im Müggelsee kommt der eigentlich nicht mehr vor, oder? | |
Aale besetzen wir, das ist richtig. Wir kriegen kleine Babyaale geliefert, | |
der Fachbegriff heißt Glasaale. Sie sind 2 bis 3 Zentimeter lang. Die | |
setzen die Berufsfischer dann im Auftrag der Landesfischereibehörde in den | |
hiesigen Binnengewässern aus. Die Aktion findet jedes Jahr statt und wird | |
von der EU, dem Land Berlin und der Berufsfischerei gefördert. Generell | |
haben wir als Fischereirechte-Besitzer gewisse Hege-Verpflichtungen. Dazu | |
gehört auch der Laichplatzbau und sich um das gesamte Gewässer zu kümmern. | |
Fahren Sie immer zusammen mit Ihrem Vater fischen? | |
Die Reusen kontrollieren wir meistens zu zweit. Wenn es um die | |
Stellnetzfischerei geht, fahre ich auch öfter alleine. Ab und zu ist das | |
ganz angenehm, die Ruhe und so. Auf Dauer ist es aber nicht so schön, man | |
muss ja auch arbeiten. Manchmal nehme ich mir dann eine Musikbox mit. | |
Und beschallen die Fische? | |
Nur leise (lacht). Mein Vater nimmt sich auch manchmal ein Radio mit. | |
Ganz alleine auf dem Müggelsee zu sein ist manchmal bestimmt auch nicht | |
ohne. | |
Im Winter ist das so eine Sache. Was den Müggelsee gefährlich macht, ist, | |
dass er so groß ist und kaum Buchten hat. Dadurch baut sich der Wind | |
relativ stark auf. Da muss man aufpassen. Ich habe immer eine Schwimmweste | |
an, sowohl im Sommer als auch im Winter. Mein Vater musste schon zwei Mal | |
in seinem Leben schwimmen. | |
Was war passiert? | |
Das Boot ist bei Sturm gekentert. Einmal ist er gefühlt über den halben | |
Müggelsee geschwommen. Viel weiter hätte er nicht können, sonst wäre es eng | |
geworden, meinte er. Damit muss man als Fischer rechnen. Es gab schon öfter | |
Vorfälle, wo Fischer ertrunken sind. Im Winter bei Wassertemperaturen um 0 | |
Grad schwimmt man nicht lange, da sind auch nicht viele Leute unterwegs, | |
die einem helfen können. Dazu kommt: Wenn wir im Winter rausfahren, haben | |
wir dementsprechend dicke Klamotten an. Dann habe ich teilweise drei Hosen | |
an, drei Pullover eine Jacke und noch Gummihosen drüber und Gummistiefel. | |
Das zieht einen beim Schwimmen natürlich alles runter. | |
Sind Sie eine gute Schwimmerin? | |
Ich habe keine Angst vor dem Wasser, aber das ist definitiv nicht meine | |
Lieblingsbeschäftigung. | |
Die wäre? | |
Im Sommer fahre ich Jet-Ski, das ist eine Art Wasser-Motorrad. Das habe ich | |
mir zugelegt, mein Freund fährt auch so was. Die Lage hier bietet sich ja | |
an. | |
Sie fahren auch Motorrad, richtig? | |
Ja, ich fahre eine Suzuki 600, das ist eine Sportmaschine. Mir macht | |
eigentlich alles Spaß, was motorisiert ist. | |
Was macht Ihr Freund? | |
Er ist Kfz-Mechatroniker. Seine Mutter hat eine Werkstatt, wo er auch mit | |
arbeitet, also quasi auch ein Familienbetrieb, aber von der Branche her | |
könnte es unterschiedlicher nicht sein. Bis jetzt passt es trotzdem super. | |
Ich habe nicht die Erwartung, dass er dasselbe macht wie ich. Das ist auch | |
gar nicht so einfach, so jemanden zu finden, dadurch, dass es von uns nicht | |
mehr so viele gibt. Und ich bin auch tatsächlich nicht traurig darum, dass | |
er nichts mit Fischen am Hut hat. Weil, in meiner Privatzeit würde ich | |
jetzt nicht noch gerne angeln gehen. | |
Muss man Kraft haben für Ihren Job? | |
Und ob! Die ersten vier Wochen waren der Horror. Ich bin jeden Abend ins | |
Bett gefallen, ich war fix und fertig. Erst mal diese Umstellung von | |
Schule. Alles ist größtenteils mit schweren Dingen verbunden. Die Fische | |
vom Boot in den Verarbeitungsraum tragen, das Rausziehen der Reusen aus dem | |
Wasser, alles ist körperlich schwer. Aber das trainiert man sich mit der | |
Zeit an. Ich habe durch den Job definitiv schon abgenommen. | |
Sie haben lange rote Fingernägel, kann man das als bewussten Kontrapunkt | |
verstehen? | |
Ich denke schon. Das ist ein Ausgleich, den ich mir damit schaffe. Auf | |
Arbeit schminke ich mich nicht und mache mir auch nicht die Haare. Da | |
werden die Arbeitsklamotten angezogen, fertig. Aber in meiner Privatsphäre | |
lege ich relativ viel Wert auf mein Äußeres. Mein Papa sagt manchmal: Du | |
siehst ja gar nicht typisch fischermäßig aus. Und ich finde es schon auch | |
cool, dass ich nicht diesem typischen Bild entspreche, das man früher von | |
Fischern hatte. | |
Wie sieht das aus? | |
Keine Ahnung. Karierte Hemden, Fischerschürze, riecht schlimmstenfalls nach | |
Fisch. Für mich macht das die Sache irgendwie modern. | |
Bei der Arbeit sind die Fingernägel aber eher hinderlich, oder? | |
Auf dem Wasser trage ich Handschuhe, aber beim Netzeflicken beispielsweise | |
trägt man keine Handschuhe. Es gibt ein oder zwei Dinge, da ist man etwas | |
mehr eingeschränkt. Ansonsten komme ich damit super klar. Man muss halt ein | |
bisschen aufpassen und ein bisschen öfter ins Nagelstudio gehen als bei | |
einem Bürojob. | |
Ist Ihr Vater ein Vorbild für Sie? | |
Definitiv. Mein Papa ist ein Mensch, den gibt’s nicht so oft. Allein schon | |
von seinem Arbeitseinsatz. Er kennt kein frei, er kennt keine Pause. Ich | |
glaube, als Kind bin ich das letzte Mal mit ihm in Urlaub gefahren, da war | |
ich sechs. | |
Was vermuten Sie, sind Sie für ihn? | |
Schon sehr, sehr viel. Ich höre selber immer raus und auch ganz viele | |
Freunde von mir hören immer sehr raus, dass er sehr, sehr stolz auf mich | |
ist. Ich glaube, das weiß jeder meiner Freunde, der meinen Vater schon mal | |
kennengelernt hat (lacht.) | |
Und Ihre Mutter? | |
Wir haben auch ein sehr gutes Verhältnis. Sie ist nicht ganz so aggressiv | |
hinterher, immer arbeiten zu müssen, wie mein Vater. Als ich klein war, hat | |
sie auch Zeit mit mir verbracht, aber ich habe auch viel Zeit mit meiner | |
Oma verbracht, weil meine Eltern natürlich trotzdem viel arbeiten mussten. | |
Was ist, wenn Sie mit der Ausbildung fertig sind und der alte Herr | |
irgendwann nicht mehr kann? | |
Notfalls muss ich jemanden einstellen. Ich möchte irgendwann mal Kinder | |
haben und mich um sie kümmern. Schon deshalb wird es nicht möglich sein, | |
dass ich so extrem arbeite wie er. Er hat aber gesagt, bis 70 macht er es | |
auf jeden Fall. Ich finde, für seine 67 Jahre ist er noch topfit und sieht | |
auch noch sehr jung aus. Der ist wirklich Fischer geworden, weil es ihm um | |
das Fischefangen und Aufs-Wasser-Fahren geht. Bei jedem Wetter, das ist | |
sein Ding. Ich hoffe, das wird er auch noch die nächsten 10, 15 Jahre | |
machen. | |
2 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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