# taz.de -- Ein Star der DDR-Zirkuswelt: Landwirt mit Drang zu wilden Tieren | |
> Den ostpreußischen Bauernsohn Gerhard Ludwig zieht es magisch in die | |
> Manege. Vor 70 Jahren wird er als Dompteur Ludo Palos in der DDR zum | |
> Star. | |
Bild: In der Manege: Gerhard Ludwig alias Ludo Palos bei der Arbeit | |
Ein Teufelskerl! Da sitzt Ludo Palos auf dem Rücken eines Eisbären und | |
winkt dem Publikum freundlich zu. Im Hintergrund stehen fünf weitere weiße | |
Riesen auf einer halbmondförmigen Showtreppe und gebärden sich auf ihren | |
kleinen Podesten, nun ja, wie Bären. Aber: Ludo Palos, was für ein | |
flamboyanter Name. Dass sich dahinter ein in Ostpreußen geborener Landwirt | |
verbarg, wussten damals wohl die wenigsten. | |
Der 1928 in Wormditt geborene Bauernsohn Gerhard Ludwig gehörte zu den | |
ungewöhnlichsten Erscheinungen der DDR-Zirkuswelt. Nach Ende des Zweiten | |
Weltkrieges und seiner Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft trat | |
Ludwig aber erst einmal in die Fußstapfen seines Vaters und machte in | |
Flensburg eine Ausbildung zum Landwirt. Doch eines Tages im Jahr 1952 war | |
der junge Mann, er arbeitete mittlerweile als Verwalter, auf einmal | |
verschwunden. Er hatte sich sein Fahrrad geschnappt, seinen Koffer auf den | |
Gepäckträger geschnallt und radelte so lange, bis er einen Zirkus gefunden | |
hatte, der ihn auch einstellen wollte. So ging es bis nach Gelsenkirchen, | |
wo gerade der Zirkus Apollo Station machte. | |
Vor allem die Raubtiere mit den Dompteuren hatten es ihm angetan, seit er | |
als Zehnjähriger in Wormditt einen Zirkus besucht hatte. Danach war er sich | |
sicher: „So einer wirst du auch einmal sein!“, wie er es in seinen | |
Erinnerungen 1969 im „Ermlandbuch“ – das Jahrbuch der Ermländer – | |
festgehalten hat. | |
Doch der Weg in die Manege war hart und steinig. Ludwig war erst | |
Zeltarbeiter, dann Tierpfleger und schließlich – in einem ostdeutschen | |
Zirkus – Tierbändiger. Der tauschte sein Programm regelmäßig mit | |
Westdeutschland aus, sodass Ludwig in der DDR landete. Amtlich gemeldet ist | |
er weiter im Westen, für seine Zirkusarbeit erhält er | |
Aufenthaltsgenehmigungen. | |
## Geduld und Disziplin | |
Ob nun aber Westen oder Osten: Dompteur war und ist eine anspruchsvolle | |
Arbeit, für die ein Höchstmaß an Disziplin und Geduld erforderlich ist. Und | |
eben die Tiere, denen man die Freiheit nimmt und bei denen man sich nie | |
sicher sein kann, ob das Ganze für sie angenehm oder eher eine Qual war. | |
Mittlerweile meint man eher Letzteres, Tierdressuren sind heute sehr | |
umstritten. | |
Ludwig, der sich solche Fragen aber nicht zu stellen schien, war offenbar | |
ein Naturtalent, wenn es darum ging, sich die Wildtiere gefügig zu machen. | |
Er brachte es auch ohne Ausbildung zum Dompteur. Erst 1956 sollte dieser | |
Beruf in der DDR staatlich geregelt werden. Akrobaten absolvierten eine | |
vierjährige Ausbildung an der Staatlichen Artistenschule der DDR, für | |
angehende Dompteure war eine zweijährige Ausbildung am Berliner Tierpark | |
oder am Gestüt in Zöthen verpflichtend. | |
Ludwig dagegen beobachtete in der Zeit, während er noch die Käfige säubern | |
und Fleischportionen zubereiten musste, aufmerksam Dompteure und Tiere. Er | |
nahm Kontakt zu Zirkusunternehmen auf, holte sich Ratschläge ein, bot seine | |
Dienste an. | |
1953 engagierte man ihn beim Zirkus Paula Busch, der in Leipzig gastierte, | |
als Elefantenpfleger, wo er dem legendären Dompteur Gilbert Houcke | |
begegnete. Als der nach langen Filmaufnahmen im damaligen Ceylon erschöpft | |
nach Urlaub schrie, Paula Busch das aber ablehnte, schien Ludwigs Stunde zu | |
schlagen. Mithilfe des Zirkusdirektors dressierte er acht Tiger und | |
schaffte es mit ihnen auch bis zur Generalprobe. Doch der Abend endete in | |
einem Debakel für den Dompteur, als sich einer der Tiger auf ihn stürzte | |
und verletzte. | |
Doch die Kunde von dem starken Mann aus Ostpreußen, der es sich in den Kopf | |
gesetzt hatte, wilde Tiere zu bezwingen, hatte sich wohl herumgesprochen. | |
Noch im Krankenhaus stand der Direktor des Zirkus Aeros an seinem | |
Krankenbett und bot ihm ein Engagement an. Der 1942 von Cliff Aeros | |
gegründete Zirkus war seit 1953 Volkseigentum und stand unter kommunaler | |
Verwaltung der Stadt Leipzig, wo der Zirkus auch sein Winterquartier hatte. | |
Im Zirkus warteten Eisbären auf Gerhard Ludwig, der nach dem | |
Krankenhausaufenthalt noch vier Wochen Schonfrist hatte. Die nutzte er, um | |
die weißen Riesen erfolgreich zu dressieren. 1954 hatte er es geschafft: er | |
war Dompteur. Werbeplakate für die „Aeros Circus-Eis-Parade“ zeugen Mitte | |
der 50er Jahre vom Erfolg des Dompteurs, den die Direktion kurzerhand und | |
ohne dessen Wissen umbenannt hat: „Acht herrliche Eisbären, vorgeführt von | |
„Ludo Palos“. Ludo Palos ist nun Teil eines spektakulären Programms mit | |
Motorrad fahrenden Braunbären und anderen Highlights. | |
Gerhard Ludwig alias Ludo Palos reiste mit dem Zirkus vor allem durch die | |
DDR und durch Osteuropa, es gab einen festen Tourneeplan: die Nordtour in | |
der DDR, die Südtour und das Auslandsengagement, dabei wechseln sich die | |
drei Zirkusse Busch, Aeros und Barlay (der später Berolina hieß), alle seit | |
1953 Volkseigentum, untereinander ab. Da ging es unter anderem nach | |
Bulgarien, Rumänien und Polen. In Warschau werden die Deutschen aus dem | |
DDR-Zirkus schon mal mit „Heil Hitler!“ und „Faschisten!“ begrüßt. Au… | |
aktuelle politische Gegebenheiten beeinflussen das Zirkusleben. Als Ende | |
1956 der ungarische Volksaufstand ausbricht, ist eine Tournee dort nicht | |
mehr möglich. | |
## Die Tiere sollen zittern | |
Als der Zirkus Aeros 1957 Mal wieder in Ostberlin Station macht, ist ein | |
Team der [1][„Aktuellen Kamera“ dabei], als Elefanten an einem Sommertag | |
vom Bahnhof zum Alexanderplatz geführt werden, wo Arbeiter dabei sind, das | |
Zirkuszelt aufzubauen. Große Kinderaugen, Pferde, die sich ausgelassen | |
über die kurze Freiheit freuen. Hechelnde Eisbären, Löwen hinter Gittern, | |
die von der Freiheit träumen, während Kinder sie mit offenen Mündern | |
bestaunen. Der Zirkus ist in der Stadt! | |
Ludo Palos hat zu dieser Zeit eine große gemischte Gruppe von neun Tieren | |
in seiner Obhut: Eisbär, Löwen, Pumas, Braunbären und Kragenbären. Es ist | |
die hohe Kunst der Dressur, diese untereinander artfremden Tiere, die sich | |
nicht immer vertragen, unter Kontrolle zu halten. Streicheln und Küssen der | |
Tiere ist für ihn tabu. Es sind schließlich wilde Tiere „und das sollen sie | |
auch bleiben“. Der Dompteur fragt sich auch nicht, ob die Tiere bei der | |
„Arbeit“ Spaß haben, wenn sie etwa durch einen brennenden Reifen springen. | |
Zittern sollen die Tiere vor ihm, denn sonst drohe „die tierische | |
Meuterei“. | |
In der DDR profitieren Ludwig und seine Familie – im Sommer 1954 hat er auf | |
einer Tournee in Reichenbach im Vogtland seine Frau kennengelernt – vom | |
Leben im Zirkus. Der Staatsbetrieb Zirkus sorgt für eine Wohnung und die | |
nötige Infrastruktur wie zum Beispiel Ambulanz- oder Schulwagen. Doch die | |
schulische Ausbildung für ihre Kinder erscheint Ludwig und seiner Frau | |
unzureichend, es gibt nur eine Lehrkraft. So treffen sie, als das zweite | |
Kind unterwegs ist, eine Entscheidung. Anfang 1965, als die drei großen | |
Zirkusse der DDR längst unterm gemeinsamen Dach VEB Zentral-Zirkus | |
zusammengefasst sind, tauschen sie Raubtiere gegen Milchkühe und ihr | |
erspartes Geld gegen Westmark. | |
Die Zirkuswelt verlassen sie durchaus schweren Herzens. Doch die | |
Tierdressur ist auch eine außerordentlich hohe nervliche Belastung. Das | |
kann und will nicht jeder auf Dauer leisten, der gleichzeitig ein ruhigeres | |
Familienleben führen will. | |
Die Familie zieht in die Eifel in die Ermlandsiedlung in Ahrbrück im | |
Ahrtal, wo Ludwig den Hof seines Vaters übernimmt. Aus Ludó Paloś wird | |
wieder Gerhard Ludwig, der bodenständige Landwirt ohne Star-Allüren. Der | |
ehemalige Dompteur gerät in Vergessenheit. 1970 verlassen sie das Ahrtal in | |
Richtung Westerwald, der Hof „Ludwigshagen“ in der Nähe von Elsoff wird | |
ihre neue Heimat. | |
Dort ist der kühne Landwirt, der einmal der Löwenbändiger Ludó Paloś war, | |
2007 gestorben. Der Mann, der seiner Familie zuliebe die wilden Tiere | |
aufgab: „Sein arbeitsreiches Leben war erfüllt von Liebe und Sorge für | |
seine Familie“, heißt es in seiner Todesanzeige im Ostpreußenblatt. | |
17 Jun 2023 | |
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[1] https://www.ardmediathek.de/video/aktuelle-kamera/zirkus-aeros-in-berlin/ar… | |
## AUTOREN | |
Bettina Müller | |
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