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# taz.de -- Ein Jahr Emmanuel Macron im Amt: An der langen Leine des Präsident…
> Die Bewegung En Marche versprach Frankreich Aufbruch, Erneuerung,
> Mitbestimmung. Was ist von der Euphorie geblieben?
Bild: Während es am 1. Mai in Paris zu Ausschreitungen kam, weilte Präsident …
PARIS | taz Sie weht kräftig im Gegenwind, die Europafahne in Sichtweite
von Marie Lebecs überschaubarem Abgeordnetenbüro. Draußen vor dem
ehrwürdigen steinernen Sitz der Assemblée Nationale, der
Nationalversammlung, an der Seine mitten in Paris, regnet es in Strömen.
Drinnen sortiert die viertjüngste Abgeordnete von Emmanuel Macrons
Regierungspartei La République en Marche (LREM) einen Stapel
Visitenkarten.
Lebec ist 27, sie war bis vor Kurzem Lobbyistin. Mit ihren Ex-Auftraggebern
pflege sie zurzeit keine Kontakte. „Als Lobbyistin startest du in
Institutionen erst mal hart – auch hier in der Nationalversammlung.“
Doch ihre Erfahrung nutze ihr jetzt. Als Abgeordnete mache sie ja auch
Lobbyarbeit für die Partei – und für Präsident Macron. Ist das die Aufgabe
einer demokratisch gewählten Parlamentarierin? Sieht sie sich nicht vor
allem als Volksvertreterin? „Doch“, sagt sie fast störrisch, „in dem Sin…
dass Zehntausende Menschen letztes Jahr für mich und damit Macron gestimmt
haben.“
Marie Lebec ist seit Juni 2017 Abgeordnete. Als Jugendliche war sie
Anhängerin des erzkonservativen Nicolas Sarkozy, später Assistentin eines
sozialistischen Parlamentariers. In Macrons Partei münden viele
ungewöhnliche Politikkarrieren und Lebec ist dafür ein gutes Beispiel.
Die drahtige, schmale Frau, die kurz vergisst, den Rucksack abzunehmen,
als sie ihr Büro in legeren Klamotten betritt und sich setzen will, fragt
sich heute noch hin und wieder: „Was passiert hier eigentlich?“ Dasselbe
Gefühl, das sie [1][im April vergangenes Jahr] überkam, als sie bereits im
ersten Durchgang zur Präsidentschaftswahl in ihrem gutbürgerlichen
Wahlkreis Yvelines bei Paris 48 Prozent aller Stimmen erhielt. Lebec hat
keine Allüren, hält sich nicht für etwas Besseres.
Umringt von EU- und Frankreichfahnen
Eine kleine, unsignierte Postkarte von Emmanuel Macron steht im Regal.
Smart guckt er drein, monarchischer Habitus ist auch dabei. Umstellt ist
der Präsident von sehr vielen Frankreich- und Europafahnen. „Eigentlich
müsste ich schon längst ein Porträt von ihm aufgehängt haben“, sagt Lebec,
„aber ich komme einfach nicht dazu.“
Ein Jahr Aktion für den Chef und die Partei: „Wenn ich vier Stunden pro
Nacht schlafe, ist das viel. Und meinen Liebsten habe ich vor drei Wochen
das letzte Mal gesehen.“ Sie schultert ihren Rucksack, draußen regnet es
immer noch. Gerade suche sie in ihrem Wahlkreis nach einem neuen Büro. „Am
liebsten würde ich mitten in einer Fußgängerzone mein Zelt aufschlagen“,
sagt sie, lacht kehlig und ist schon außer Sichtweite.
Die Überfliegerpartei des letzten Jahres hat in Frankreich ihren
Starterbonus noch nicht aufgebraucht. Dass das Land wirtschaftliche und
soziale Reformen nötig hat, steht für viele außer Frage – und Macron
scheint zu liefern.
Unter seiner Führung [2][hat die Regierung etwa das Arbeitsrecht], ohne
dass es wie sonst zu wochenlangen Streiks kam, verändert. Auch indem sie
mit den Gewerkschaften einzeln verhandelt und damit die Opposition
gespalten hat. Seither hat sich die den Kommunisten nahestehende
Gewerkschaft CGT marginalisiert. Wer nicht mit Macron marschiert, bleibt
vorerst zurück.
Sollen sie sehen, wo sie bleiben
Doch jetzt, rund um einen heißen, [3][stellenweise gewalttätigen ersten
Mai], [4][rund um den Streik der Eisenbahner] und die immer wieder
aufflackernden [5][Unruhen an den Universitäten], gerät die von Aktion
geprägte Politik Macrons bei einigen gesellschaftlichen Gruppen immer
stärker in die Kritik.
Macron selbst weilte am ersten Mai zum Staatsbesuch in Australien. Es wirkt
wie sehr oft bei ihm symbolisch: maximale Distanz zum protestierenden Volk.
Denn das Credo der Bewegung lautet: Wir arbeiten mit jenen, die
konstruktiv, guten Willens seien wollen. Die anderen, die Unzufriedenen?
Tant pis, sollen sie sehen, wo sie bleiben.
Noch profitieren Macron und seine zur Partei gerinnende Bewegung vom
Siegerbonus: Gegründet im April 2016, hatte diese kurz vor der
Präsidentschaftswahl bereits über 200.000 Mitglieder, heute sind es fast
400.000. Als „Verein für die Erneuerung des politischen Lebens“ ließen si…
Macron und seine Getreuen anfangs registrieren. Nach den
[6][Parlamentswahlen] hatten sie 313 von derzeit 577 Sitzen, aus dem Nichts
heraus.
Einen Mitgliedsbeitrag gibt es nicht, ein paar Klicks im Netz genügen, um
dabei zu sein. Progressiv nennt sich die Partei, eine Art Andockstation für
die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus will man sein. Für
Frankreich soll ein „dritter Weg“ beschritten werden – in einem Europa, d…
dringendst reformiert gehöre.
LREM macht vor den eigenen Privilegien nicht halt
Fast die Hälfte der LREM-Parlamentarier ist weiblich, wie bei den Männern
sind die meisten von ihnen erst seit Kurzem in der Politik. Zwei Drittel
stammen aus der Zivilgesellschaft, arbeiteten zuvor als Bäuerin oder
Hausmann, als Physiotherapeut oder Bibliothekarin. Die Opposition ist stark
dezimiert, „ein bisschen mehr Gegenwind wäre nicht verkehrt“, heißt es
selbst in LREM-Kreisen.
Erst jetzt, im Zusammenhang mit dem neuen Asyl- und Immigrationsgesetz,
seien die Sozialisten, der Front National und die Republikaner aufgewacht.
Faktisch sei man ja mit der Zentrumspartei MoDem in einer Koalition, „aber
so richtig viel komme von den 47 Abgeordneten nicht“, heißt es. Die
Koalition war LREM eingegangen, weil im Gegenzug dafür der Chef von MoDem
auf seine Präsidentschaftskandidatur verzichtet hatte.
Von LREM kommt ständig etwas. Die Partei nutzt ihren Höhenflug, viele
Reformvorhaben wurden auf den Weg gebracht. Und sie macht auch vor den
eigenen Privilegien nicht halt: Eine Verfassungsreform soll die Anzahl der
Abgeordneten und Senatoren um 30 Prozent senken. Die großzügigen
Rentenbezüge für Ex-Parlamentarier hat man bereits reduziert. Den
Abgeordneten ist es seit Kurzem verboten, Familienmitglieder anzustellen.
Abgeschafft wurde auch die réserve parlementaire, ein Budget von 130.000
Euro, das nach Gutdünken als Subvention an genehme Vereine oder Gemeinden
aus dem eigenen Wahlkreis verteilt werden konnte. All das wird LREM in
Frankreich hoch angerechnet, wo Politiker schnell im Verdacht stehen, vor
allem die eigene Geldbörse im Blick zu haben.
Macron, Macron, Macron
Macron und „seine“ Ministerriege – auch wenn der Regierungschef Édouard
Philippe heißt – stehlen der Bewegung durch ihr für französische
Verhältnisse ungewohnt rasantes Durchregieren fast täglich die Show. Das
größte Happening veranstaltet der Staatspräsident selbst, ohne Unterlass
und mit Verve. [7][Einmal pflanzt er Bäume mit Donald Trump] und sieht
dabei stets wie aus dem Ei gepellt aus, dann wieder gibt er ein
stundenlanges TV-Interview mit höchsten Einschaltquoten.
Macron, Macron, Macron. Der Durchmarsch von LREM wird mittlerweile nur noch
auf ihn gemünzt. Da kann Parteichef Christophe Castaner – der von Macron
eingesetzt wurde – noch so viel von der LREM-Pyramide reden. Sie stehe auf
dem Kopf, oben die breite Bewegung, unten die Spitzenleute; aus der
Bewegung kämen die Impulse, die Spitze setze sie um. Alles bloß Theorie.
Das Versprechen war Partizipation, Verankerung der Politik in der
Bevölkerung. Diese sollte eingebunden werden. Doch Einbindung heißt bei
LREM: Die Bürger werden angehört; so stellen es jedenfalls die Abgeordneten
dar. Entscheidungen treffe aber das Parlament, und nur das Parlament. Ist
also das Partizipationsprinzip eigentlich eine Mogelpackung? Ist das die
viel versprochene Erneuerung der französischen Politik?
Sylvain Girault hat da so seine Zweifel. Der 40-Jährige leitet ein
öffentlich gefördertes Kulturzentrum im noblen 8. Arrondissement von Paris.
Er muss Logistisches mit einem Musiker regeln, dann hat er Zeit für ein
Gespräch. „Ich bin ein Linker, der keine linke Regierung unterstützt.
Mittlerweile fühle ich mich von den Parteien nirgendwo mehr repräsentiert.“
Bei den französischen Grünen ist er ausgestiegen, bei LREM nie Mitglied
geworden. Trotzdem sieht er sich immer noch stark mit LREM verbunden. Was
ist es, was ihn anzieht, aber auch abstößt an der Partei?
Kritiker verschwinden in der Versenkung
Er sei mal richtig euphorisiert gewesen, erzählt Girault, schmal, agil und
mit zielgerichtetem Blick. „Ich war fasziniert von diesem unbedingten
Veränderungswillen bei LREM. Du hast gespürt, dass Menschen sich
einbringen, vernetzen wollen, echt gesprächsbereit sind. Und alles auf die
Karte Macron setzen.“ Die Sozialisten unter Hollande und die Republikaner
unter Sarkozy seien „Nieten“ gewesen, die beiden Parteien jetzt am Boden,
komplett zerstritten. „Und dann kommt jemand wie Macron, zieht es durch,
macht es wirklich, redet nicht nur groß daher wie sonst meist in der
französischen Politik.“ Der Wahlsieg? „Auch ein Riesenmarketingerfolg.“
Doch aus Giraults Sicht ist aus diesem Sieg keine wirklich partizipative
Partei entstanden, sondern ein Paradox. Ein Paradox aus dem alles an sich
reißenden Macron, der vertikal von oben nach unten regiert, und der
eigentlich horizontal in Hunderten von Komitees organisierten „vor sich hin
rödelnden LREM“. Girault, der den Reform-Elan und einige der Reformen
Macrons befürwortet, sieht in dieser Konstruktion „einen geschickten
Schachzug“. Nichts werde grundsätzlich bei LREM diskutiert, alles werde
„wegorganisiert in noch ein Komitee, noch ein Projekt mehr. So machst du
Kritik kaputt.“
[8][100 fundamentalkritische Mitglieder] schlossen sich im vergangenen
Herbst auf dem Parteitag in Lyon zusammen. Sie formulierten einen offenen,
stellenweise anklagenden Brief an die Parteiführung, blieben dabei fast
alle anonym – und verschwanden in der Versenkung.
Wohl nur vorläufig verschwunden allerdings ist der im Zuge des [9][neuen
Asyl- und Immigrationsgesetzes] von sich aus ausgetretene LREM-Abgeordnete
Jean-Michel Clément. Über ihn ist zu hören, dass er eine neue Fraktion
plant, die künftig weitere kritische Ex-Kolleginnen und -Kollegen aufnehmen
könnte.
Immer weiter nach Mitte-Mitte-rechts
Clément hatte gegen das Gesetz gestimmt, das unter anderem eine auf 90 Tage
verkürzte Frist auf Asylantragstellung vorsieht, ohne die
Bearbeitungskapazitäten dafür zu erhöhen. Ein Vorschlag, für den auch der
Front National von Marine Le Pen votierte – ein befremdliches Novum der
Zusammenarbeit. LREM-Fraktionsvorsitzender Richard Ferrand hatte im
Vorfeld gedroht, dass Neinstimmen zum Ausschluss aus der Fraktion führen
würden. Wenn es um Entscheidungen geht, hört die Meinungsvielfalt auf.
Innerparteiliche Demokratie gibt es aus Sicht des Kulturmanns Girault
tatsächlich nicht, die Partei stehe am Wendepunkt. Schafft sie es,
Abertausende Freiwillige bei Laune zu halten? „Wenn der jetzt
bewundernswert effiziente Motor Macron ins Stocken kommt, dann springen
sehr viele Anhänger ab.“ Die Partei werde sich immer mehr in Richtung eines
klassischen Abgeordnetenvereins entwickeln, „noch weiter nach
Mitte-Mitte-rechts gehen.“
Es ist eine krakelige Kulizeichnung, die Martin Bohmert angefertigt hat,
aber sie erfüllt ihren Zweck. Bohmert, 30, ehrenamtlicher Chef der Jeunes
avec Macron (JAM), der Jugendorganisation der Partei für alle zwischen 15
und 35, hat die Hierarchiestufen der PS, der sozialistischen Partei, und
von LREM aufgemalt. Anderthalb Jahre war der zugängliche Ingenieur,
Absolvent der renommierten Pariser Science Po und aus der Provinz stammend,
bei der PS.
Während rund um die Pariser Bastille am 1. Mai Steine auf der Demonstration
fliegen, ein McDonald’s zerlegt wird und Autos brennen, sitzt Bohmert bei
der Nationalversammlung ums Eck bei einem Glas Sprudel mit Minzgeschmack.
„Ich hätte gefühlt 40 Jahre gebraucht, um bei der PS Richtung Spitze zu
kommen.“ Bei der Bewegung sei das anders, alle Mitglieder könnten sich
direkt mit den landesweiten Delegierten von LREM und JAM austauschen, die
mit der Parteiführung zusammenarbeiteten.
Klinken putzen für Europa
Dass diese 30-köpfige Spitze nicht von der Bewegung selbst gewählt wird,
ebenso wenig wie der unter ihr arbeitende größere Parteirat, erwähnt
Bohmert nicht. Auch JAM ist an der langen Leine von Macron und seinen
Vertrauten in Regierung und Parlament – die Organisation darf sich
„strategisches Komitee“ nennen.
Bohmert und seine Truppe haben ihre Schreibtische im Eingangsbereich des
schnieken, neu bezogenen LREM-Hauptquartiers. Es liegt nicht weit von
Macrons Amtssitz im Élysée-Palast. 8.000 junge Leute sind in der Pariser
Region Mitglied bei JAM, 25.000 in ganz Frankreich. „Wir wollten kein
abgeschlossenes Büro, wir wollen mit allen, die hier reinschneien, ins
Gespräch kommen.“
Macron wird Bohmert und die Seinen zur Europawahl im Mai 2019 noch
brauchen. Schon jetzt putzen viele von ihnen, ausgerüstet mit iPads und
Flyern, frankreichweit Klinken von Privatwohnungen beim aktuellen „Grande
Marche pour l’Europe“.
[10][Denn Europa ist eines von Macrons Kernanliegen], es eignet sich
hervorragend, um sich von den anderen Parteien abzusetzen, die allesamt der
EU kritisch bis ablehnend gegenüberstehen; außerdem braucht die Bewegung
nach dem märchenhaften Erfolg ein neues Ziel, das sie über das nächste Jahr
bringt.
Flexibilität bis zur Selbstverleugnung?
Bohmert packt seine Kladde in einen JAM-Umweltbeutel, zum Abschied sagt er:
„En Marche als Ganzes ist sicher nicht für die Ewigkeit gemacht. Vielleicht
müssen wir in fünf Jahren alles ändern: neuer Name, neue Struktur, neues
Programm.“ Flexibilität also bis zur Selbstverleugnung? Martin Bohmert ist
schon auf dem Weg zum nächsten Meeting, die Frage läuft ins Leere.
„Es war ein hartes Jahr“, sagt Michèle Peyron, „aber auch ein
wundervolles.“ Sie nennt es den „Schock des Sieges“, aber jetzt sei sie
„sehr stolz.“ Bisher hat Peyron in kleinen Strukturen gearbeitet, als
Personalchefin in mittelständischen Unternehmen und einst auch als
Rathausangestellte nahe Toulon in Südfrankreich, unter einem Bürgermeister
des Front National: „Ich weiß, wie solche Leute die Gesellschaft spalten.
Auch das motiviert mich.“
Dann hat die heute 56-Jährige einen Wahlkreis im Département Seine-et-Marne
für LREM gewonnen, im Speckgürtel von Paris. Seit knapp einem Jahr sitzt
sie nun im Parlament. In der Zwischenzeit hat sie sich die Haare
abgeschnitten, aber ansonsten ist sie ganz die Alte geblieben: Sie spricht
schnell, viel, und hin und wieder rutscht ihr ein Kraftausdruck durch –
„Pardon, ich bin aus Südfrankreich“.
Ziehen denn bei LREM tatsächlich alle am selben Strang? „Es geht immer
weiter“, sagt sie als Erstes, „es gibt immer etwas zu tun.“ Und dann zög…
Michèle Peyron. „Es ist ein bisschen wie in einer großen Familie.“ Man sei
nicht immer einer Meinung und man müsse reden, aber schließlich raufe man
sich eben wieder zusammen. Sie selbst habe Zweifel gehabt angesichts des
neuen Asyl- und Migrationsgesetzes, aber am Ende doch dafür gestimmt. Es
gebe einige im Parlament, die angesichts dieser neuen Regelungen Bitterkeit
verspürten, und die müsse man nun „abholen“.
Kein Job, sondern Leidenschaft
Gefühle, Kommunikation. Darum geht es oft, wenn man mit Gefolgsleuten von
Macron spricht. Es scheint, dass sie stärker an einer neuen Art Gemeinwesen
stricken, als dass sie Politik machen. Selten geht es um Positionen,
sondern darum, gemeinsam einen Weg zu finden. Während Macron Politik nach
der Art macht, wie Start-ups geführt werden, scheinen seine Anhängerinnen
und Anhänger vor allem eine Art Sozialpädagogisierung des politischen
Diskurses zu wollen.
Was aber, wenn LREM zunehmend auf Kritik und Unverständnis stößt? Was ist
mit dem Streik der Eisenbahner, den Unruhen an den Universitäten? Peyron
hebt energisch die Hand: „Das ist keine Massenbewegung. Die Bürger
Frankreichs lassen uns Zeit, zumindest in der Mehrheit.“ Die Proteste seien
äußerst verschieden gelagert, da sei etwa die Bahngesellschaft SNCF, deren
Angestellte „sehr privilegiert sind und eben gerne streiken“. Aber jetzt
hätten sie den Rückhalt in der Bevölkerung verloren. „Die Franzosen
verstehen nicht mehr, warum die Bahner so bevorzugt werden sollen. Es ist
nicht fair.“
Und die Lage an den Universitäten? Da seien, so Peyron, erstens nur sehr
wenige Fakultäten dabei, zweitens seien die Proteste von der extremen
Linken gesteuert. Und drittens fänden die Studenten immer irgendeinen Grund
zum Protest; sei es wegen dieses Gesetzes oder jener Vorschrift.
Für Macron aber laufe es gut. „Er hat bisher gemacht, was er angekündigt
hat. Das gefällt nicht jedem, und das ist okay.“ Sie selbst jedoch sei
„glücklich mit dem, was LREM unterdessen erreicht hat und was wir noch
erreichen werden“. Endlich komme Frankreich peu à peu aus der Krise. „Wir
sind auf einer Mission. Das ist kein Job, das ist eine Leidenschaft.“
An Bewegung fehlt es nicht
Michèle Peyron sagt diesen Satz aufrichtig. Es ist ein Satz, den viele
Anhänger Macrons betonen, und jeder und jede Einzelne meint ihn
wahrscheinlich tatsächlich so. Und doch tönt dieser Satz, je öfter er
wiederholt wird, wie eine Coachingformel, wie eine Selbstvergewisserung.
In Bewegung ist die bewegte Partei LREM, keine Frage. Und schwebt ihr
Gründer Emmanuel Macron wie ein Start-up-Gott über ihr, dann scheint das
seine Gefolgschaft bis auf Ausnahmen vorerst nicht weiter zu stören. Wie
hatte doch Kulturmann Sylvain Girault bei einem doppelten Espresso so
pointiert formuliert: „Solange Macron strahlt, ist Frankreich happy.“
8 May 2018
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## AUTOREN
Frederic Valin
Harriet Wolff
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