| # taz.de -- Ein Jahr Emmanuel Macron im Amt: An der langen Leine des Präsident… | |
| > Die Bewegung En Marche versprach Frankreich Aufbruch, Erneuerung, | |
| > Mitbestimmung. Was ist von der Euphorie geblieben? | |
| Bild: Während es am 1. Mai in Paris zu Ausschreitungen kam, weilte Präsident … | |
| PARIS | taz Sie weht kräftig im Gegenwind, die Europafahne in Sichtweite | |
| von Marie Lebecs überschaubarem Abgeordnetenbüro. Draußen vor dem | |
| ehrwürdigen steinernen Sitz der Assemblée Nationale, der | |
| Nationalversammlung, an der Seine mitten in Paris, regnet es in Strömen. | |
| Drinnen sortiert die viertjüngste Abgeordnete von Emmanuel Macrons | |
| Regierungspartei La République en Marche (LREM) einen Stapel | |
| Visitenkarten. | |
| Lebec ist 27, sie war bis vor Kurzem Lobbyistin. Mit ihren Ex-Auftraggebern | |
| pflege sie zurzeit keine Kontakte. „Als Lobbyistin startest du in | |
| Institutionen erst mal hart – auch hier in der Nationalversammlung.“ | |
| Doch ihre Erfahrung nutze ihr jetzt. Als Abgeordnete mache sie ja auch | |
| Lobbyarbeit für die Partei – und für Präsident Macron. Ist das die Aufgabe | |
| einer demokratisch gewählten Parlamentarierin? Sieht sie sich nicht vor | |
| allem als Volksvertreterin? „Doch“, sagt sie fast störrisch, „in dem Sin… | |
| dass Zehntausende Menschen letztes Jahr für mich und damit Macron gestimmt | |
| haben.“ | |
| Marie Lebec ist seit Juni 2017 Abgeordnete. Als Jugendliche war sie | |
| Anhängerin des erzkonservativen Nicolas Sarkozy, später Assistentin eines | |
| sozialistischen Parlamentariers. In Macrons Partei münden viele | |
| ungewöhnliche Politikkarrieren und Lebec ist dafür ein gutes Beispiel. | |
| Die drahtige, schmale Frau, die kurz vergisst, den Rucksack abzunehmen, | |
| als sie ihr Büro in legeren Klamotten betritt und sich setzen will, fragt | |
| sich heute noch hin und wieder: „Was passiert hier eigentlich?“ Dasselbe | |
| Gefühl, das sie [1][im April vergangenes Jahr] überkam, als sie bereits im | |
| ersten Durchgang zur Präsidentschaftswahl in ihrem gutbürgerlichen | |
| Wahlkreis Yvelines bei Paris 48 Prozent aller Stimmen erhielt. Lebec hat | |
| keine Allüren, hält sich nicht für etwas Besseres. | |
| Umringt von EU- und Frankreichfahnen | |
| Eine kleine, unsignierte Postkarte von Emmanuel Macron steht im Regal. | |
| Smart guckt er drein, monarchischer Habitus ist auch dabei. Umstellt ist | |
| der Präsident von sehr vielen Frankreich- und Europafahnen. „Eigentlich | |
| müsste ich schon längst ein Porträt von ihm aufgehängt haben“, sagt Lebec, | |
| „aber ich komme einfach nicht dazu.“ | |
| Ein Jahr Aktion für den Chef und die Partei: „Wenn ich vier Stunden pro | |
| Nacht schlafe, ist das viel. Und meinen Liebsten habe ich vor drei Wochen | |
| das letzte Mal gesehen.“ Sie schultert ihren Rucksack, draußen regnet es | |
| immer noch. Gerade suche sie in ihrem Wahlkreis nach einem neuen Büro. „Am | |
| liebsten würde ich mitten in einer Fußgängerzone mein Zelt aufschlagen“, | |
| sagt sie, lacht kehlig und ist schon außer Sichtweite. | |
| Die Überfliegerpartei des letzten Jahres hat in Frankreich ihren | |
| Starterbonus noch nicht aufgebraucht. Dass das Land wirtschaftliche und | |
| soziale Reformen nötig hat, steht für viele außer Frage – und Macron | |
| scheint zu liefern. | |
| Unter seiner Führung [2][hat die Regierung etwa das Arbeitsrecht], ohne | |
| dass es wie sonst zu wochenlangen Streiks kam, verändert. Auch indem sie | |
| mit den Gewerkschaften einzeln verhandelt und damit die Opposition | |
| gespalten hat. Seither hat sich die den Kommunisten nahestehende | |
| Gewerkschaft CGT marginalisiert. Wer nicht mit Macron marschiert, bleibt | |
| vorerst zurück. | |
| Sollen sie sehen, wo sie bleiben | |
| Doch jetzt, rund um einen heißen, [3][stellenweise gewalttätigen ersten | |
| Mai], [4][rund um den Streik der Eisenbahner] und die immer wieder | |
| aufflackernden [5][Unruhen an den Universitäten], gerät die von Aktion | |
| geprägte Politik Macrons bei einigen gesellschaftlichen Gruppen immer | |
| stärker in die Kritik. | |
| Macron selbst weilte am ersten Mai zum Staatsbesuch in Australien. Es wirkt | |
| wie sehr oft bei ihm symbolisch: maximale Distanz zum protestierenden Volk. | |
| Denn das Credo der Bewegung lautet: Wir arbeiten mit jenen, die | |
| konstruktiv, guten Willens seien wollen. Die anderen, die Unzufriedenen? | |
| Tant pis, sollen sie sehen, wo sie bleiben. | |
| Noch profitieren Macron und seine zur Partei gerinnende Bewegung vom | |
| Siegerbonus: Gegründet im April 2016, hatte diese kurz vor der | |
| Präsidentschaftswahl bereits über 200.000 Mitglieder, heute sind es fast | |
| 400.000. Als „Verein für die Erneuerung des politischen Lebens“ ließen si… | |
| Macron und seine Getreuen anfangs registrieren. Nach den | |
| [6][Parlamentswahlen] hatten sie 313 von derzeit 577 Sitzen, aus dem Nichts | |
| heraus. | |
| Einen Mitgliedsbeitrag gibt es nicht, ein paar Klicks im Netz genügen, um | |
| dabei zu sein. Progressiv nennt sich die Partei, eine Art Andockstation für | |
| die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Milieus will man sein. Für | |
| Frankreich soll ein „dritter Weg“ beschritten werden – in einem Europa, d… | |
| dringendst reformiert gehöre. | |
| LREM macht vor den eigenen Privilegien nicht halt | |
| Fast die Hälfte der LREM-Parlamentarier ist weiblich, wie bei den Männern | |
| sind die meisten von ihnen erst seit Kurzem in der Politik. Zwei Drittel | |
| stammen aus der Zivilgesellschaft, arbeiteten zuvor als Bäuerin oder | |
| Hausmann, als Physiotherapeut oder Bibliothekarin. Die Opposition ist stark | |
| dezimiert, „ein bisschen mehr Gegenwind wäre nicht verkehrt“, heißt es | |
| selbst in LREM-Kreisen. | |
| Erst jetzt, im Zusammenhang mit dem neuen Asyl- und Immigrationsgesetz, | |
| seien die Sozialisten, der Front National und die Republikaner aufgewacht. | |
| Faktisch sei man ja mit der Zentrumspartei MoDem in einer Koalition, „aber | |
| so richtig viel komme von den 47 Abgeordneten nicht“, heißt es. Die | |
| Koalition war LREM eingegangen, weil im Gegenzug dafür der Chef von MoDem | |
| auf seine Präsidentschaftskandidatur verzichtet hatte. | |
| Von LREM kommt ständig etwas. Die Partei nutzt ihren Höhenflug, viele | |
| Reformvorhaben wurden auf den Weg gebracht. Und sie macht auch vor den | |
| eigenen Privilegien nicht halt: Eine Verfassungsreform soll die Anzahl der | |
| Abgeordneten und Senatoren um 30 Prozent senken. Die großzügigen | |
| Rentenbezüge für Ex-Parlamentarier hat man bereits reduziert. Den | |
| Abgeordneten ist es seit Kurzem verboten, Familienmitglieder anzustellen. | |
| Abgeschafft wurde auch die réserve parlementaire, ein Budget von 130.000 | |
| Euro, das nach Gutdünken als Subvention an genehme Vereine oder Gemeinden | |
| aus dem eigenen Wahlkreis verteilt werden konnte. All das wird LREM in | |
| Frankreich hoch angerechnet, wo Politiker schnell im Verdacht stehen, vor | |
| allem die eigene Geldbörse im Blick zu haben. | |
| Macron, Macron, Macron | |
| Macron und „seine“ Ministerriege – auch wenn der Regierungschef Édouard | |
| Philippe heißt – stehlen der Bewegung durch ihr für französische | |
| Verhältnisse ungewohnt rasantes Durchregieren fast täglich die Show. Das | |
| größte Happening veranstaltet der Staatspräsident selbst, ohne Unterlass | |
| und mit Verve. [7][Einmal pflanzt er Bäume mit Donald Trump] und sieht | |
| dabei stets wie aus dem Ei gepellt aus, dann wieder gibt er ein | |
| stundenlanges TV-Interview mit höchsten Einschaltquoten. | |
| Macron, Macron, Macron. Der Durchmarsch von LREM wird mittlerweile nur noch | |
| auf ihn gemünzt. Da kann Parteichef Christophe Castaner – der von Macron | |
| eingesetzt wurde – noch so viel von der LREM-Pyramide reden. Sie stehe auf | |
| dem Kopf, oben die breite Bewegung, unten die Spitzenleute; aus der | |
| Bewegung kämen die Impulse, die Spitze setze sie um. Alles bloß Theorie. | |
| Das Versprechen war Partizipation, Verankerung der Politik in der | |
| Bevölkerung. Diese sollte eingebunden werden. Doch Einbindung heißt bei | |
| LREM: Die Bürger werden angehört; so stellen es jedenfalls die Abgeordneten | |
| dar. Entscheidungen treffe aber das Parlament, und nur das Parlament. Ist | |
| also das Partizipationsprinzip eigentlich eine Mogelpackung? Ist das die | |
| viel versprochene Erneuerung der französischen Politik? | |
| Sylvain Girault hat da so seine Zweifel. Der 40-Jährige leitet ein | |
| öffentlich gefördertes Kulturzentrum im noblen 8. Arrondissement von Paris. | |
| Er muss Logistisches mit einem Musiker regeln, dann hat er Zeit für ein | |
| Gespräch. „Ich bin ein Linker, der keine linke Regierung unterstützt. | |
| Mittlerweile fühle ich mich von den Parteien nirgendwo mehr repräsentiert.“ | |
| Bei den französischen Grünen ist er ausgestiegen, bei LREM nie Mitglied | |
| geworden. Trotzdem sieht er sich immer noch stark mit LREM verbunden. Was | |
| ist es, was ihn anzieht, aber auch abstößt an der Partei? | |
| Kritiker verschwinden in der Versenkung | |
| Er sei mal richtig euphorisiert gewesen, erzählt Girault, schmal, agil und | |
| mit zielgerichtetem Blick. „Ich war fasziniert von diesem unbedingten | |
| Veränderungswillen bei LREM. Du hast gespürt, dass Menschen sich | |
| einbringen, vernetzen wollen, echt gesprächsbereit sind. Und alles auf die | |
| Karte Macron setzen.“ Die Sozialisten unter Hollande und die Republikaner | |
| unter Sarkozy seien „Nieten“ gewesen, die beiden Parteien jetzt am Boden, | |
| komplett zerstritten. „Und dann kommt jemand wie Macron, zieht es durch, | |
| macht es wirklich, redet nicht nur groß daher wie sonst meist in der | |
| französischen Politik.“ Der Wahlsieg? „Auch ein Riesenmarketingerfolg.“ | |
| Doch aus Giraults Sicht ist aus diesem Sieg keine wirklich partizipative | |
| Partei entstanden, sondern ein Paradox. Ein Paradox aus dem alles an sich | |
| reißenden Macron, der vertikal von oben nach unten regiert, und der | |
| eigentlich horizontal in Hunderten von Komitees organisierten „vor sich hin | |
| rödelnden LREM“. Girault, der den Reform-Elan und einige der Reformen | |
| Macrons befürwortet, sieht in dieser Konstruktion „einen geschickten | |
| Schachzug“. Nichts werde grundsätzlich bei LREM diskutiert, alles werde | |
| „wegorganisiert in noch ein Komitee, noch ein Projekt mehr. So machst du | |
| Kritik kaputt.“ | |
| [8][100 fundamentalkritische Mitglieder] schlossen sich im vergangenen | |
| Herbst auf dem Parteitag in Lyon zusammen. Sie formulierten einen offenen, | |
| stellenweise anklagenden Brief an die Parteiführung, blieben dabei fast | |
| alle anonym – und verschwanden in der Versenkung. | |
| Wohl nur vorläufig verschwunden allerdings ist der im Zuge des [9][neuen | |
| Asyl- und Immigrationsgesetzes] von sich aus ausgetretene LREM-Abgeordnete | |
| Jean-Michel Clément. Über ihn ist zu hören, dass er eine neue Fraktion | |
| plant, die künftig weitere kritische Ex-Kolleginnen und -Kollegen aufnehmen | |
| könnte. | |
| Immer weiter nach Mitte-Mitte-rechts | |
| Clément hatte gegen das Gesetz gestimmt, das unter anderem eine auf 90 Tage | |
| verkürzte Frist auf Asylantragstellung vorsieht, ohne die | |
| Bearbeitungskapazitäten dafür zu erhöhen. Ein Vorschlag, für den auch der | |
| Front National von Marine Le Pen votierte – ein befremdliches Novum der | |
| Zusammenarbeit. LREM-Fraktionsvorsitzender Richard Ferrand hatte im | |
| Vorfeld gedroht, dass Neinstimmen zum Ausschluss aus der Fraktion führen | |
| würden. Wenn es um Entscheidungen geht, hört die Meinungsvielfalt auf. | |
| Innerparteiliche Demokratie gibt es aus Sicht des Kulturmanns Girault | |
| tatsächlich nicht, die Partei stehe am Wendepunkt. Schafft sie es, | |
| Abertausende Freiwillige bei Laune zu halten? „Wenn der jetzt | |
| bewundernswert effiziente Motor Macron ins Stocken kommt, dann springen | |
| sehr viele Anhänger ab.“ Die Partei werde sich immer mehr in Richtung eines | |
| klassischen Abgeordnetenvereins entwickeln, „noch weiter nach | |
| Mitte-Mitte-rechts gehen.“ | |
| Es ist eine krakelige Kulizeichnung, die Martin Bohmert angefertigt hat, | |
| aber sie erfüllt ihren Zweck. Bohmert, 30, ehrenamtlicher Chef der Jeunes | |
| avec Macron (JAM), der Jugendorganisation der Partei für alle zwischen 15 | |
| und 35, hat die Hierarchiestufen der PS, der sozialistischen Partei, und | |
| von LREM aufgemalt. Anderthalb Jahre war der zugängliche Ingenieur, | |
| Absolvent der renommierten Pariser Science Po und aus der Provinz stammend, | |
| bei der PS. | |
| Während rund um die Pariser Bastille am 1. Mai Steine auf der Demonstration | |
| fliegen, ein McDonald’s zerlegt wird und Autos brennen, sitzt Bohmert bei | |
| der Nationalversammlung ums Eck bei einem Glas Sprudel mit Minzgeschmack. | |
| „Ich hätte gefühlt 40 Jahre gebraucht, um bei der PS Richtung Spitze zu | |
| kommen.“ Bei der Bewegung sei das anders, alle Mitglieder könnten sich | |
| direkt mit den landesweiten Delegierten von LREM und JAM austauschen, die | |
| mit der Parteiführung zusammenarbeiteten. | |
| Klinken putzen für Europa | |
| Dass diese 30-köpfige Spitze nicht von der Bewegung selbst gewählt wird, | |
| ebenso wenig wie der unter ihr arbeitende größere Parteirat, erwähnt | |
| Bohmert nicht. Auch JAM ist an der langen Leine von Macron und seinen | |
| Vertrauten in Regierung und Parlament – die Organisation darf sich | |
| „strategisches Komitee“ nennen. | |
| Bohmert und seine Truppe haben ihre Schreibtische im Eingangsbereich des | |
| schnieken, neu bezogenen LREM-Hauptquartiers. Es liegt nicht weit von | |
| Macrons Amtssitz im Élysée-Palast. 8.000 junge Leute sind in der Pariser | |
| Region Mitglied bei JAM, 25.000 in ganz Frankreich. „Wir wollten kein | |
| abgeschlossenes Büro, wir wollen mit allen, die hier reinschneien, ins | |
| Gespräch kommen.“ | |
| Macron wird Bohmert und die Seinen zur Europawahl im Mai 2019 noch | |
| brauchen. Schon jetzt putzen viele von ihnen, ausgerüstet mit iPads und | |
| Flyern, frankreichweit Klinken von Privatwohnungen beim aktuellen „Grande | |
| Marche pour l’Europe“. | |
| [10][Denn Europa ist eines von Macrons Kernanliegen], es eignet sich | |
| hervorragend, um sich von den anderen Parteien abzusetzen, die allesamt der | |
| EU kritisch bis ablehnend gegenüberstehen; außerdem braucht die Bewegung | |
| nach dem märchenhaften Erfolg ein neues Ziel, das sie über das nächste Jahr | |
| bringt. | |
| Flexibilität bis zur Selbstverleugnung? | |
| Bohmert packt seine Kladde in einen JAM-Umweltbeutel, zum Abschied sagt er: | |
| „En Marche als Ganzes ist sicher nicht für die Ewigkeit gemacht. Vielleicht | |
| müssen wir in fünf Jahren alles ändern: neuer Name, neue Struktur, neues | |
| Programm.“ Flexibilität also bis zur Selbstverleugnung? Martin Bohmert ist | |
| schon auf dem Weg zum nächsten Meeting, die Frage läuft ins Leere. | |
| „Es war ein hartes Jahr“, sagt Michèle Peyron, „aber auch ein | |
| wundervolles.“ Sie nennt es den „Schock des Sieges“, aber jetzt sei sie | |
| „sehr stolz.“ Bisher hat Peyron in kleinen Strukturen gearbeitet, als | |
| Personalchefin in mittelständischen Unternehmen und einst auch als | |
| Rathausangestellte nahe Toulon in Südfrankreich, unter einem Bürgermeister | |
| des Front National: „Ich weiß, wie solche Leute die Gesellschaft spalten. | |
| Auch das motiviert mich.“ | |
| Dann hat die heute 56-Jährige einen Wahlkreis im Département Seine-et-Marne | |
| für LREM gewonnen, im Speckgürtel von Paris. Seit knapp einem Jahr sitzt | |
| sie nun im Parlament. In der Zwischenzeit hat sie sich die Haare | |
| abgeschnitten, aber ansonsten ist sie ganz die Alte geblieben: Sie spricht | |
| schnell, viel, und hin und wieder rutscht ihr ein Kraftausdruck durch – | |
| „Pardon, ich bin aus Südfrankreich“. | |
| Ziehen denn bei LREM tatsächlich alle am selben Strang? „Es geht immer | |
| weiter“, sagt sie als Erstes, „es gibt immer etwas zu tun.“ Und dann zög… | |
| Michèle Peyron. „Es ist ein bisschen wie in einer großen Familie.“ Man sei | |
| nicht immer einer Meinung und man müsse reden, aber schließlich raufe man | |
| sich eben wieder zusammen. Sie selbst habe Zweifel gehabt angesichts des | |
| neuen Asyl- und Migrationsgesetzes, aber am Ende doch dafür gestimmt. Es | |
| gebe einige im Parlament, die angesichts dieser neuen Regelungen Bitterkeit | |
| verspürten, und die müsse man nun „abholen“. | |
| Kein Job, sondern Leidenschaft | |
| Gefühle, Kommunikation. Darum geht es oft, wenn man mit Gefolgsleuten von | |
| Macron spricht. Es scheint, dass sie stärker an einer neuen Art Gemeinwesen | |
| stricken, als dass sie Politik machen. Selten geht es um Positionen, | |
| sondern darum, gemeinsam einen Weg zu finden. Während Macron Politik nach | |
| der Art macht, wie Start-ups geführt werden, scheinen seine Anhängerinnen | |
| und Anhänger vor allem eine Art Sozialpädagogisierung des politischen | |
| Diskurses zu wollen. | |
| Was aber, wenn LREM zunehmend auf Kritik und Unverständnis stößt? Was ist | |
| mit dem Streik der Eisenbahner, den Unruhen an den Universitäten? Peyron | |
| hebt energisch die Hand: „Das ist keine Massenbewegung. Die Bürger | |
| Frankreichs lassen uns Zeit, zumindest in der Mehrheit.“ Die Proteste seien | |
| äußerst verschieden gelagert, da sei etwa die Bahngesellschaft SNCF, deren | |
| Angestellte „sehr privilegiert sind und eben gerne streiken“. Aber jetzt | |
| hätten sie den Rückhalt in der Bevölkerung verloren. „Die Franzosen | |
| verstehen nicht mehr, warum die Bahner so bevorzugt werden sollen. Es ist | |
| nicht fair.“ | |
| Und die Lage an den Universitäten? Da seien, so Peyron, erstens nur sehr | |
| wenige Fakultäten dabei, zweitens seien die Proteste von der extremen | |
| Linken gesteuert. Und drittens fänden die Studenten immer irgendeinen Grund | |
| zum Protest; sei es wegen dieses Gesetzes oder jener Vorschrift. | |
| Für Macron aber laufe es gut. „Er hat bisher gemacht, was er angekündigt | |
| hat. Das gefällt nicht jedem, und das ist okay.“ Sie selbst jedoch sei | |
| „glücklich mit dem, was LREM unterdessen erreicht hat und was wir noch | |
| erreichen werden“. Endlich komme Frankreich peu à peu aus der Krise. „Wir | |
| sind auf einer Mission. Das ist kein Job, das ist eine Leidenschaft.“ | |
| An Bewegung fehlt es nicht | |
| Michèle Peyron sagt diesen Satz aufrichtig. Es ist ein Satz, den viele | |
| Anhänger Macrons betonen, und jeder und jede Einzelne meint ihn | |
| wahrscheinlich tatsächlich so. Und doch tönt dieser Satz, je öfter er | |
| wiederholt wird, wie eine Coachingformel, wie eine Selbstvergewisserung. | |
| In Bewegung ist die bewegte Partei LREM, keine Frage. Und schwebt ihr | |
| Gründer Emmanuel Macron wie ein Start-up-Gott über ihr, dann scheint das | |
| seine Gefolgschaft bis auf Ausnahmen vorerst nicht weiter zu stören. Wie | |
| hatte doch Kulturmann Sylvain Girault bei einem doppelten Espresso so | |
| pointiert formuliert: „Solange Macron strahlt, ist Frankreich happy.“ | |
| 8 May 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Frankreichs-neue-Partei-En-Marche/!5418500 | |
| [2] /Frankreichs-Arbeitsrecht-wird-gelockert/!5449788 | |
| [3] /Kommentar-1-Mai-in-Paris/!5502488 | |
| [4] /Eisenbahnreform-in-Frankreich/!5485876 | |
| [5] /Studierenden-Streik-in-Frankreich/!5496230 | |
| [6] /Parlamentswahl-in-Frankreich/!5419643 | |
| [7] /Analyse-Macrons-Besuch-in-Washington/!5501240 | |
| [8] /Macron-Anhaenger-kuendigen-Rueckzug-an/!5463041 | |
| [9] /Beschleunigung-der-Verfahren/!5497429 | |
| [10] /La-Republique-en-Marche-in-der-EU/!5496850 | |
| ## AUTOREN | |
| Frederic Valin | |
| Harriet Wolff | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| En Marche! | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Streik | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Aus Le Monde diplomatique: Davos der Frauen | |
| In Frankreich setzen sich über 500 wirtschaftsnahe feministische Netzwerke | |
| für Frauen in Führungsetagen ein. Das nennt man Marktfeminismus. | |
| 60 Jahre deutsch-französische Freunde: Eine Liebeserklärung an Frankreich | |
| Friedensangebot, Élysée-Vertrag: Deutschland und Frankreich sind enge | |
| Partner geworden. Eine persönliche Liebeserklärung. | |
| Benalla-Affäre in Frankreich: Der Präsident und sein Bodyguard | |
| Die Geschichte von Alexandre Benalla, dem prügelnden Leibwächter Emmanuel | |
| Macrons, bewegt Frankreich. Der Präsident verhält sich wie ein Monarch. | |
| Ärger über SNCF-Umbau in Frankreich: Bahnstreiks sollen legitimiert werden | |
| Die Regierung Macron spielt auf Zeit. Gewerkschaften erhoffen sich | |
| Rückenwind. Über eine Million Euro wurden an die Streikkasse gespendet. | |
| Zehntausende protestieren in Paris: Scharfe Kritik an Macron | |
| Zehntausende sind in Paris gegen den Reformkurs der Regierung auf die | |
| Straße gegangen. Macron sei ein „Präsident der Reichen“. Weitere Proteste | |
| sind geplant. | |
| Kommentar Ein Jahr Emmanuel Macron: Die Zustimmung bröckelt | |
| Seit einem Jahr, seit seiner Wahl zum Präsidenten, missachtet Macron die | |
| Bindeglieder zwischen Staat und Gesellschaft. Das wird er bereuen. | |
| Kolumne Liebeserklärung: Die Männerfreundschaft | |
| Ein ungutes Gefühl überkommt uns, wenn Trump und Macron sich herzen. Dabei | |
| sollte uns ein wenig Restwärme beruhigen. | |
| Frankreichs Präsident vor US-Kongress: Auf Küsschen folgt Kritik | |
| In seiner Rede bekräftigt Macron eine ganz andere Politik als die seines | |
| neuen Freundes Donald: mehr Klimaschutz und Kritik an Handelskriegen. |