# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Davos der Frauen | |
> In Frankreich setzen sich über 500 wirtschaftsnahe feministische | |
> Netzwerke für Frauen in Führungsetagen ein. Das nennt man | |
> Marktfeminismus. | |
Bild: Nur unter Ihresgleichen: Frankreichs Finanzfeministin Christine Lagarde | |
Als der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron am 2. | |
Dezember 2016 im Internationalen Kongresszentrum von Deauville sein | |
Programm zur Gleichstellung vorstellte, sprach er auf Englisch: „Es ist | |
unbedingt notwendig, Frauen den Aufstieg in leitende Positionen in | |
Wirtschaft und Politik zu ermöglichen.“ Im Saal saßen mehrheitlich | |
Geschäftsfrauen und Politikerinnen. Eingeladen hatte das Women’s Forum for | |
the Economy and Society (WF). Keine drei Wochen später unterzeichneten zwei | |
WF-Vorsitzende den Aufruf „Elles marchent“, um Macron im Wahlkampf zu | |
unterstützen. | |
Das Women’s Forum, dem die Presse den Spitznamen „Davos der Frauen“ | |
verpasst hat, hat seit seiner Gründung 2005 erheblich an Einfluss gewonnen. | |
Die alljährlichen Zusammenkünfte sind ein Treffpunkt für Organisationen und | |
Netzwerke, die mehr Frauen in die Führungsetagen bringen wollen. Die | |
Soziologin Sophie Pochic spricht von „Marktfeminismus“: In den 1980er | |
Jahren jenseits des Atlantiks entstanden, wurde der Marktfeminismus Anfang | |
der 2000er Jahre auch in Frankreich en vogue. Wozu französische | |
Tochtergesellschaften US-amerikanischer Multis entscheidend beigetragen | |
haben. | |
Françoise Picq, Historikerin, Soziologin und ehemalige Aktivistin der | |
Frauenbewegung MLF (Mouvement de libération des femmes), erklärt dazu: „In | |
den Vereinigten Staaten ist diese Allianz selbstverständlich. In einem | |
kapitalistischen System besorgt man sich das Geld eben da, wo es zu finden | |
ist – mittels Fundraising oder großer Stiftungen.“ | |
Während es in Frankreich noch vor 17 Jahren knapp 100 wirtschaftsnahe | |
feministische Netzwerke gab, sind es heute laut dem Cercle InterElles über | |
500.Weibliche Führungskräfte von France Télécom, IBM France, Schlumberger | |
und GE Healthcare haben 2001 diesen Eliteklub gegründet, der zugleich als | |
Schaufenster für die Multis und Informationsplattform für Frauen dienen | |
sollte, die leitende Funktionen anstreben. | |
## Wenn die Multis auf Feminismus machen | |
Erstes erfolgreiches Ergebnis ihrer Lobbyarbeit war im Jahr 2011 die | |
Verabschiedung des Gesetzes Copé-Zimmermann, das private und öffentliche | |
Unternehmen mit über 500 Angestellten und einem Umsatz von mehr als 50 | |
Millionen Euro dazu verpflichtete, ihre Kontrollgremien zu jeweils | |
mindestens 40 Prozent mit Männern und Frauen zu besetzen. Ausgenommen von | |
dieser Regelung sind allerdings die Vorstände und Geschäftsleitungen, bei | |
denen die tatsächlichen Entscheidungsbefugnisse liegen. Hier betrug der | |
Frauenanteil 2019 nur 17,9 Prozent. | |
Die einzige Gesellschaft im CAC 40, dem Leitindex der 40 börsennotierten | |
französischen Unternehmen, an deren Spitze derzeit eine Frau steht, ist der | |
Energieversorger Engie; Isabelle Kocher wird ihre Leitungsfunktion bei | |
Engie Anfang 2021 an Catherine MacGregor übergeben. Nichtsdestotrotz gehört | |
Frankreich nicht nur zu den wenigen Ländern, die überhaupt Quoten | |
eingeführt haben, es kann sich mittlerweile auch auf den höchsten | |
Frauenanteil in den Kontrollgremien großer Unternehmen berufen: 2019 lag er | |
bei 43,6 Prozent, im Vergleich zu 8,5 Prozent im Jahr 2007. | |
Außer in Frankreich gibt es verbindliche Regelungen bisher nur in Norwegen | |
(seit 2003), Italien (seit 2011) und im US-Bundesstaat Kalifornien (seit | |
2018). Ende November einigte sich nach langem Streit auch die | |
Regierungskoalition in Deutschland auf eine verbindliche [1][Frauenquote | |
für Aufsichtsräte.] | |
Dass der Feminismus von Eliten vorangetrieben wird, ist nicht neu. Berühmte | |
Beispiele aus dem vorigen Jahrhundert sind vor allem die Suffragetten, die | |
weltweit für das Frauenwahlrecht kämpften, oder in Frankreich die | |
Gesundheitsministerin Simone Veil, deren Gesetzesinitiative zur | |
Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen am 29. November 1974 von der | |
Nationalversammlung angenommen wurde. | |
## Die Angst der Chefin vor Radikalfeministinnen | |
In der Geschichte des Feminismus gab es immer schon unterschiedliche | |
Strömungen, die einander bisweilen sogar bekämpft haben. Auch Aude de | |
Thuin, die ihr Women’s Forum als „Wirtschaftsforum nach dem Vorbild von | |
Davos“ definiert, will auf keinen Fall mit radikalfeministischen oder | |
gewerkschaftlichen Organisationen in Verbindung gebracht werden. | |
Von Anfang an wurde das jährliche WF-Treffen, an dem zwischen 1000 und 2000 | |
Frauen teilnehmen, von internationalen Konzernen gesponsert. Engie, | |
McKinsey und das Facility-Management-Unternehmen Sodexo waren ebenso | |
darunter wie Renault, dessen ehemaliger CEO Carlos Ghosn einer der ersten | |
Unterstützer des Women’s Forum war. 2019 belief sich der Umsatz von Wefcos, | |
dem Unternehmen, das das Forum organisiert, auf 6,6 Millionen Euro: Ein | |
Ticket für zwei bis drei Kongresstage kostet zwischen 3000 und 4000 Euro. | |
Dieses Unternehmensmodell hat auch andere Organisationen inspiriert. Der | |
Club Journée de la femme digitale (JFD), der regelmäßig bei den Konferenzen | |
des Women’s Forum dabei ist, fördert weibliche Start-ups. Finanzielle | |
Unterstützung erhält JFD von einer Handvoll CAC-40-Unternehmen wie dem | |
Mineralölkonzern Total, der Telekomfirma Orange oder L’Oréal, aber auch von | |
US-Konzernen wie Google und Microsoft. | |
Gleichstellung fördere das Wachstum, ist das zentrale Argument für mehr | |
Frauen in Führungspositionen. Boris Janicek, ehemals leitender Angestellter | |
bei L’Oréal und Co-Präsident im Club 21e Siècle zur Förderung von | |
Diversität in Unternehmen, lobt beispielsweise die Bank Goldman Sachs, die | |
seit Juli 2020 nur noch Börsengänge von Unternehmen begleitet, in deren | |
Vorstand mindestens ein Mitglied mit „diversem Hintergrund“ sitzt und | |
Frauen bevorzugt werden sollen. Janicek versichert: „Hier geht es nicht um | |
Altruismus oder gesellschaftliche Verantwortung seitens der Firmen. In | |
Unternehmen, deren Leitung divers aufgestellt ist, liegt die Wertsteigerung | |
bei 44 Prozent in vier Jahren, in anderen bei nur 13 Prozent.“ | |
## Monitoring, Networking und Mentoring | |
Auch die großen Beratungsfirmen wie EY oder McKinsey vertreten die These, | |
dass die Gleichstellung gut für den Markt und der Markt gut für die | |
Gleichstellung sei. Einmal im Jahr bringt McKinsey in Kooperation mit dem | |
Women’s Forum die Studie „Women matter“ heraus. Darin wird privaten wie | |
öffentlichen Unternehmen ein Standardprogramm für das Personalmanagement | |
nahegelegt: zu „Monitoring“ (Überwachung der Kennzahlen), „Networking“… | |
Einrichtung von Netzwerken für Frauen in Führungspositionen) und | |
„Mentoring“ (individuelle Begleitung). | |
Seit das Gesetz Copé-Zimmermann Wirkung zeigt, schenkt der französische | |
Staat weiblichen Führungskräften zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Unter | |
Macrons Präsidentschaft sind ihre Interessenvertretungen regelrecht im | |
Aufwind. Regierungsmitglieder wie die ehemalige Arbeitsministerin Muriel | |
Pénicaud oder die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Agnès | |
Pannier-Runacher waren bereits beim Women’s Forum eingeladen, ebenso wie | |
Astrid Panosyan, die Mitbegründerin von Macrons Partei En Marche! (heute La | |
République en Marche). | |
Im Oktober 2019 gaben das Wirtschafts- und das Bildungsministerium bei | |
Chiara Corazza, Generaldirektorin des Women’s Forum, eine Studie in | |
Auftrag, die im Februar 2020 unter dem Titel [2][„Les femmes au cœur de | |
l’économie – La France pionnière du leadership] au féminin dans un monde… | |
pleine transformation“ (Frauen im Herzen der Wirtschaft: Frankreich als | |
Vorbild für weibliches Unternehmertum in einer sich wandelnden Welt) | |
veröffentlicht wurde. | |
Der Bericht stützt sich weitgehend auf die Arbeit der verschiedenen | |
Ausschüsse des Women’s Forums, die von verschiedenen Unternehmen geleitet | |
werden: Die Großbank BNP Paribas steht hinter „Frauen und Klima“, das | |
Versicherungsunternehmen Axa leitet den Ausschuss „Frauen und der Zugang zu | |
Gesundheitsdiensten“, und „Frauen und künstliche Intelligenz“ ist eine | |
Initiative von Microsoft. | |
„Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch des wirtschaftlichen | |
Erfolgs: 240 Millionen Arbeitsplätze können bis 2025 entstehen und das | |
globale Bruttoinlandsprodukt kann um 28 Billionen US-Dollar wachsen, wenn | |
Frauen und Männer gleichermaßen vertreten sind“, lautet das Fazit der | |
WF-Studie, die als Grundlage für einen Gesetzentwurf zur wirtschaftlichen | |
Emanzipation der Frau dienen soll, der jedoch noch aussteht. | |
## Gender Pay Gap? Nicht so wichtig | |
Von den 27 vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen die meisten den Zugang zu | |
technischen und wissenschaftlichen Berufen, die Einführung von Quoten, den | |
Zugang zu Förderprogrammen oder die Schaffung neuer Stipendien für | |
Hochbegabte. Nur an zwei Stellen werden der Gender Pay Gap erwähnt und | |
gleiche Gehälter gefordert, und nur an einer Stelle wird die Verlängerung | |
des Vaterschaftsurlaubs vorgeschlagen. Diese letzte Maßnahme wurde | |
inzwischen umgesetzt: Ab 1. Juli 2021 soll sich der Anspruch auf | |
Vaterschaftsurlaub von 14 auf 28 Tage verdoppeln. | |
Diese Wahlverwandtschaft zwischen den „Marktfeministinnen“ und der | |
„Macronie“ hat dazu beigetragen, dass die Gewerkschaften auf dem Feld der | |
beruflichen Gleichstellung an den Rand gedrängt wurden. 2018 ließ sich die | |
Regierung zum Beispiel von Sylvie Leyre beraten, die damals die | |
Personalabteilung des Konzerns Schneider Electric leitete. | |
Arbeitsministerin Muriel Pénicaud lud sie ein, an der Konzeption einer | |
Software zur Beurteilung ungleicher Arbeitsvergütung mitzuarbeiten. Auf | |
Grundlage dieser Zusammenarbeit entstand der Index der beruflichen | |
Gleichstellung, der in das im September 2018 ratifizierte „Gesetz zur | |
freien Wahl der beruflichen Zukunft“ eingeflossen ist. | |
Während die Regierung Macron die Expertisen von Unternehmenschefinnen und | |
weiblichen Führungskräften aus dem Privatsektor zu Rate zieht, um | |
Gesetzentwürfe auszuarbeiten, hat sie die Beziehungen zu anderen | |
feministischen Organisationen abgebrochen. „Eineinhalb Jahre hatten wir | |
keinen Kontakt zu Marlène Schiappa, der Staatssekretärin für | |
Gleichstellung“, erinnert sich Caroline De Haas, Gründerin des | |
Frauenkollektivs #NousToutes. „Das änderte sich erst nach unserer [3][Demo | |
gegen Femizide im November 2019], an der mehrere zehntausend Menschen | |
teilgenommen haben.“ | |
Auch Marilyn Baldeck, Chefdelegierte der Europäischen Gesellschaft zur | |
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz (Association européenne | |
contre les violences faites aux femmes au travail, AVFT), bedauert, dass | |
die „Kommunikationskanäle zu den staatlichen Instanzen“ seit 2017 | |
verschwunden seien. | |
## Eine mal mehr, mal weniger subtile Form von Zensur | |
Die Staatssekretärin Schiappa steht zu diesem Bruch mit den – wie sie sagt | |
– „Satellitenverbänden der sozialistischen Partei“, wobei sie betont, da… | |
die AVFT weiterhin bezuschusst werde. Hakt man nach, reagiert sie | |
aufbrausend: „Es handelt sich um eine politisch orientierte Vereinigung, | |
die den linken Parteien sehr nahesteht. Ich kann keine Gesetzentwürfe | |
erstellen, indem ich Menschen einen Stift in die Hand drücke, die in | |
Opposition zur Regierung stehen.“ Marilyn Baldeck verwahrt sich sichtlich | |
amüsiert gegen diese Vorwürfe: „Weder die AVFT noch ich selbst standen | |
jemals der sozialistischen Partei nahe, und übrigens auch keiner anderen | |
Partei.“ | |
Die wirtschaftsnahen Frauenverbände haben gute Verbindungen zu | |
Medienunternehmen, die ihnen politisch nahestehen. Sie nutzen diese Kanäle | |
zu Werbezwecken, im Gegenzug können sich die großen Medienkonzerne einen | |
feministischen Anstrich verpassen. Das „Davos der Frauen“ nutzte zunächst | |
die Kommunikationskanäle der „PR-Päpstin“ Anne Méaux, später diejenigen… | |
Agentur Publicis.Jedes Jahr ist dem Treffen eine lobende Berichterstattung | |
im Figaro sicher, in der Zeitschrift Elle sowie in den Wirtschaftsmagazinen | |
Challenges, Les Échos und La Tribune, allesamt Medienpartner des Women’s | |
Forum. | |
Diese Nähe kann zu einer mal mehr, mal weniger subtilen Form von Zensur | |
führen. Ein Journalist, der für eines der genannten Medien arbeitete, | |
erzählt von einem Telefonat, in dem eine leitende Redakteurin gegenüber | |
einer Freelancerin bestätigt: „Ein Porträt über Anne Méaux zu | |
veröffentlichen, wäre gewagt. Sie ist sehr einflussreich. Sie kennt alle | |
unsere Werbekunden. Wenn ich sie kritisiere, werde ich gefeuert.“ | |
Für dasselbe Blatt verfasste eine junge Journalistin einen Artikel über die | |
Personalpolitik bei L’Oréal, nachdem eine Mitarbeiterin gegen das | |
Unternehmen geklagt hatte, weil sie wegen ihrer Schwangerschaft | |
diskriminiert worden war. Allerdings war L’Oréal der zweitwichtigste | |
Werbekunde dieser Zeitschrift. Die Firma rief umgehend in der Chefredaktion | |
an, um den Artikel ändern zu lassen, der bereits online erschienen war, und | |
eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Seither erwähnt die Zeitschrift | |
den Kosmetikhersteller nur noch mit lobenden Worten. | |
## Business with Attitude | |
Schließlich legt L’Oréal als Sponsor des Women’s Forum Wert auf ein | |
feministisches Image. Das Unternehmen ist Partner des Beirats für | |
Gleichstellung, der 2019 von den G7-Staaten unter dem Vorsitz Frankreichs | |
eingerichtet wurde. Ähnlich ging auch die staatliche Eisenbahngesellschaft | |
SNCF vor. Im Frühjahr 2019, in der Hochphase der Proteste gegen eine Reform | |
zur Öffnung des Personenverkehrs für den Wettbewerb, rief die | |
Geschäftsleitung in der Redaktion an und bat um einen Artikel, in dem ihre | |
Unternehmenspolitik in Sachen Gleichstellung gelobt wird. Den Journalisten | |
bot sie dafür kostenlose Zugtickets an. | |
In den genannten Medien ist die Förderung weiblicher Führungskräfte nicht | |
nur ein wiederkehrendes Thema, sondern auch eine Finanzquelle. So verleiht | |
die Zeitschrift Madame Figaro seit mittlerweile vier Jahren den Preis | |
„Business with Attitude“. Ausgezeichnet werden Managerinnen an der Spitze | |
von Start-ups. Rund 100 Kandidatinnen werden von der Redaktion und einer | |
Jury unter die Lupe genommen, die sich weitgehend aus Führungskräften | |
großer Unternehmen zusammensetzt – dieses Jahr mit dabei: La Poste, das | |
Hotelunternehmen Accor, die Privatbank Oddo BHF, der | |
Energieversorgungskonzern Engie, Google und EY sowie die öffentliche | |
Investitionsbank Bpifrance in Gestalt ihres Kommunikationschefs und | |
Exekutivdirektors Patrice Bégay. | |
Die Zeitschrift Elle ihrerseits hat das Forum „Elle Active“ ins Leben | |
gerufen. 2019 waren die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine | |
Lagarde, und Jacques de Peretti, Generaldirektor von Axa France, | |
eingeladen, ihre Ideen zum Feminismus zu präsentieren. Mit von der Partie | |
waren die Netzwerke Force Femmes, Laboratoire de l’égalité, Financi’elles | |
oder InterElles. Ein Stand von L’Oréal Paris lud die Teilnehmerinnen dazu | |
ein, sich schminken zu lassen – mit dem Hinweis, dass bei | |
Vorstellungsgesprächen auch das Erscheinungsbild zählt. Printmedien wie – | |
Elle würden durch solche Veranstaltungen und das damit einhergehende | |
Markensponsoring mittlerweile ihr Überleben sichern, meint Sophie Pochic. | |
Die Feminisierung der Führungsetagen ist also auf gutem Weg. Anders sieht | |
es jedoch an der Basis der Pyramide aus: 2018 war fast jede dritte Frau in | |
Teilzeit beschäftigt; und weibliche Angestellte machten sogar 78 Prozent | |
der Teilzeitbeschäftigen aus. In stark weiblich dominierten Berufen im | |
Dienstleistungssektor (Reinigungswesen, Gastronomie, Einzelhandel, Pflege | |
und so weiter) sind Teilzeitverträge die Regel. | |
## Zwischen Wohltätigkeit und militantem Feminismus | |
Um diese Diskrepanz zu beheben, will Delphine Remy-Boutang, Chefin des | |
digitalen Beratungsunternehmens The Bureau und Initiatorin der Journée de | |
la femme digitale, die Unternehmen in die Verantwortung nehmen. Sie sollen | |
ihren Angestellten einen Ausweg aus unsicheren Arbeitsverhältnissen bieten: | |
„Viele Frauen haben einen Arbeitsplatz, der verschwinden wird. | |
Kassiererinnen zum Beispiel. Man muss diesen Frauen helfen, sich digital | |
weiterzubilden.“ | |
Diesen Weg verfolgt auch Force Femmes. In dem 2005 gegründeten Verein | |
machen teilweise dieselben Frauen mit, die sich auch im Women’s Forum | |
engagieren. Ihren Vorsitz führt die bekannte Unternehmerin Véronique | |
Morali. Mit der finanziellen Unterstützung großer Konzerne helfen die | |
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von Force Femmes arbeitslosen Frauen über | |
45 Jahren, eine Anstellung zu finden oder sich selbstständig zu machen. | |
„Bürgerliche Frauen haben bisweilen ihre Stellung genutzt, anderen Frauen | |
zu helfen“, meint Françoise Picq: „Die Grenze zwischen Wohltätigkeit und | |
militantem Feminismus ist oft fließend.“ Marion Rabier, Dozentin für | |
Politikwissenschaften an der Universität Mulhouse, wird deutlicher: „Ich | |
denke nicht, dass die Feminisierung der Geschäftswelt automatisch auch ein | |
Hebel für die berufliche Gleichstellung ist.“ Als Beispiel nennt sie eine | |
Unternehmerin, die sie beim Women’s Forum traf. Sie beklagte sich, dass | |
ihre beiden Sekretärinnen gerade im Mutterschutz seien, und vertraute | |
Rabier an, dass sie in Zukunft nur noch ältere Bewerberinnen einstellen | |
wolle. | |
Aus ideologischen Gründen befürworten diese Frauen eine Politik, die der | |
großen Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossinnen schadet. So lobte Laurence | |
Parisot, die Präsidentin des Arbeitgeberverbands Medef, im September 2017 | |
die Beschlüsse zur Reform des Arbeitsrechts, obwohl gut 60 Persönlichkeiten | |
und feministische Organisationen davor warnten, dass die Maßnahmen „die | |
beruflichen Ungleichheiten verstärken“ würden. | |
## Die Staatsekretärin spricht von Kundenzufriedenheit | |
Seit einigen Jahren streiken immer wieder Servicekräfte, die von | |
Subunternehmern in Hotels beschäftigt werden. Als im Sommer 2019 das Hotel | |
Ibis Batignolles im 17. Pariser Arrondissement bestreikt wurde, kündigte | |
Staatssekretärin Marlène Schiappa an, sich mit der Situation zu befassen. | |
2015 war Sébastien Bazin, Chef der Accor-Gruppe, zu der das Hotel gehört, | |
Gast des Women’s Forum. Im September 2019 besuchte Schiappa die | |
Streikposten des Ibis-Hotels, um klarzumachen, „dass sie sich nicht in die | |
geschäftlichen Entscheidungen des Unternehmens einmischen und folglich auch | |
nicht gegen die Vergabe an Subunternehmen vorgehen könne“, erinnert sich | |
eine Gewerkschafterin, die den Streik unterstützt hat. | |
Im Juli 2020 gab Marlène Schiappa ihr Amt an Élisabeth Moreno ab, die | |
beigeordnete Gleichstellungsministerin. Die ehemalige Geschäftsführerin des | |
Computer- und Smartphoneherstellers Lenovo France und später von | |
Hewlett-Packard Afrika ist laut Chiara Corazza eine „Freundin des Women’s | |
Forum“: „Ich werde ihr, so gut ich kann, helfen.“ Moreno war ebenfalls | |
Mitglied im Club 21e-Siècle, besuchte den Journée de la femme digitale und | |
unterstützte Women in Africa, eine 2015 von Aude de Thuin gegründete | |
Initiative. „Ich setze große Hoffnung in Élisabeth Moreno, ich kenne sie | |
gut“, erklärt Thuin, die Gründerin des Women’s Forum. | |
Kurz nach ihrem Amtsantritt empfing Moreno die feministischen | |
Organisationen, die ihre Vorgängerin ein wenig vernachlässigt hatte, zwar | |
zum Essen. Dennoch ist nicht gesagt, dass damit ein neues Kapitel | |
aufgeschlagen wird. Bei diesem Treffen erklärte eine Aktivistin der | |
Fédération nationale Solidarité Femmes, dass ihre Organisation eine | |
Notrufnummer für Opfer von Gewalt betreibe. Die Ministerin entgegnete | |
daraufhin ganz selbstverständlich: „Ach ja, verstehe, Sie sprechen von | |
Kundenzufriedenheit.“ | |
Einige Wochen später kündigte die Regierung an, dass sie den Betrieb dieser | |
Hotline zum Gegenstand eines Wettbewerbs machen wolle. „Eine Entscheidung, | |
die früher oder später dazu führen könnte, dass sie einem Betreiber | |
anvertraut wird, der sich mehr um die wirtschaftliche Rentabilität als um | |
die Qualität dieser Dienstleistung kümmert“, warnt Solidarité Femmes in | |
einer Onlinepetition vom 16. November. | |
Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein | |
12 Dec 2020 | |
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[1] /Frauenquote-in-Vorstaenden/!5730292 | |
[2] https://www.economie.gouv.fr/rapport-femmes-au-coeur-economie-chiara-corraza | |
[3] /Gewalt-gegen-Frauen-in-Frankreich/!5640539 | |
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