# taz.de -- 60 Jahre deutsch-französische Freunde: Eine Liebeserklärung an Fr… | |
> Friedensangebot, Élysée-Vertrag: Deutschland und Frankreich sind enge | |
> Partner geworden. Eine persönliche Liebeserklärung. | |
Bild: Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen: eine Liebeserklärung an … | |
Berlin taz | Vor 60 Jahren begann die deutsch-französische Zusammenarbeit. | |
Zum ersten Mal nach dem Krieg trafen ein deutscher und ein französischer | |
Staatschef zusammen. Charles de Gaulle empfing Konrad Adenauer auf seinem | |
Landsitz in Colombey-les-deux-Eglises. Der gemeinsame Abschlusskommuniqué | |
beschloss die Überwindung der lange währenden Feindschaft der beiden Länder | |
– und den Willen zum gemeinsamen Arbeiten „Seite an Seite“ in und an | |
Europa. | |
Ein paar Jahre später, am 22. Januar 1963, unterzeichneten die beiden | |
Regierungen dann den Élysée-Vertrag, der bis heute eines der symbolischen | |
Zeichen für die deutsch-französische Zusammenarbeit ist. Nach der Feier | |
seines 55-jährigen Bestehens soll es nun einen neuen Freundschaftsvertrag | |
geben. | |
Der Journalist und Frankreichkenner Ulrich Wickert betitelte sein Buch über | |
die französische Gesellschaft mit der These: „Frankreich muss man lieben, | |
um es zu verstehen“. Wer dieses kulturreiche und widersprüchliche Land mit | |
seiner bunten und zerrissenen Gesellschaft begreifen will, muss sich darauf | |
einlassen; ansonsten ist die Chance, zu verstehen, wer was warum tut, | |
gering. | |
Ich glaube, er könnte recht haben. So verrückt und unlogisch das | |
Zusammenspiel in der Politik, so unverständlich und rückschrittlich manche | |
Wirtschaftsentscheidungen und so paradox manche Gesellschaftsentwicklungen | |
zu sein scheinen – ein Vorschuss an Offenheit und Neugier können, finde | |
ich, auch Außenstehenden diese Welt öffnen. Wenigstens teilweise. | |
## Eine hart erprobte Frankreich-Liebe | |
Meine Frankreich-Liebe ist nicht naiv – und wenn, dann höchstens | |
selbstgewählt und bewusst etwas rosarot. Sie ist hart verdient – und hart | |
auf die Probe gestellt worden. Und sie ist immer noch da, nur | |
differenzierter und detailreicher; wie in einer langjährigen Beziehung. | |
Nach den ersten Schmetterlingen im Bauch und der rosaroten Brille, sind | |
Fehler und Nachteile irgendwann nicht mehr zu übersehen. Aber sie gehören | |
nun mal dazu. | |
Es sind die Menschen, die das Besondere ausmachen. Vielleicht hatte ich | |
viel Glück, und habe einfach die Richtigen getroffen; bestimmt sogar. | |
Französ*innen sind in manchem anders als Deutsche, und natürlich ist das | |
eine Pauschalisierung; aber das Lebensgefühl einer Gesellschaft scheint mir | |
einfach viel auszumachen, und das für viele Menschen. Das Treiben- und | |
Auf-sich-zukommen-lassen – und trotzdem mit einer Leidenschaft und | |
Zielstrebigkeit bei der Sache sein – ist nur einer der Unterschiede, die | |
mich die Mentalität schätzen lässt. | |
Freiwilligenjahre im Ausland packen junge Menschen in Watte – so auch bei | |
mir –, aber sie geben uns trotzdem einen ersten und wunderbar | |
verklärt-positiv-neuen Einblick in eine andere Gesellschaft. Ja, und die | |
französische kann man dann einfach nur lieben. Eine gute Grundlage für | |
weitere – realistischere und zurück in die Realität holende – Erfahrungen, | |
wie ich glaube. | |
Hart verdient ist diese Liebe bei mir trotzdem, denn dabei blieb es nicht. | |
Ich habe in Frankreich auch härter gearbeitet als je in meinem Leben. Die | |
Französ*innen legen wert auf ihre Ausbildung und auf ihre Elitenbildung | |
ganz besonders. Dem Anspruch der Egalité gemäß muss, wer viel Macht oder | |
Geld verdienen wird, vorher schon was leisten, und das macht die | |
Eliteschulen zu den mitunter herausforderungsreichsten Bildungsstätten. Wie | |
Eliteunis und Gleichheit tatsächlich zusammenpassen, das ist schwierig zu | |
verstehen, ich weiß. Ich kann es auch nicht besser erklären, aber nach dem | |
Jahr dort doch nachvollziehen. Womit Wickerts These hier schon mal | |
zutreffen würde. | |
## Die Französ*innen sind auch nicht perfekt | |
Die französische Partneruniversität meines Politikwissenschaftsstudiengangs | |
war eine Eliteuni. „SciencesPo“ heißt das Netzwerk. Und ich habe noch nie | |
so mühevoll und unter so viel Druck gearbeitet. Zeitweise habe ich dieses | |
die-Studierenden-ganz-bestimmt-absichtlich-überfordernde Elite-Milieu ganz | |
schön verflucht. Und doch das Kunststück gemeistert, das in Ehrgeiz zu | |
verwandeln – im Nachhinein vermutlich das beabsichtigte Ziel, das würde | |
mich wenigstens ein bisschen versöhnen. Und wurde mit einem ganz neuen | |
Blick auf Soziologie und Politik, auf Zusammenhänge und gesellschaftliche | |
Funktionsweisen belohnt, denn da sind die Französ*innen uns in ihrem Denken | |
um Einiges voraus. | |
Die politische Diskussion in Frankreich dreht sich gerade um Macrons Plan | |
gegen Armut, mit der er unter anderem seinem Image als „Präsident der | |
Reichen“ entgegenwirken will. Acht Milliarden Euro sollen über vier Jahre | |
dafür zur Verfügung stehen – was ungefähr dem Rest seiner derzeitigen | |
Amtszeit entspricht. Dazu gibt es eine neue „nationale Strategie zur | |
Prävention und zum Kampf gegen Armut“. Große Worte und | |
Revolutionsanspielungen nutzt Macron gerne. 14 Prozent der Franzosen leben | |
unter der Armutsgrenze, wieviel der neuste Plan bewirken könnte, wird nach | |
französischer Manier heftig diskutiert. | |
Macrons Politik bleibt umstritten, in alle Richtungen. Ich war mitten in | |
der Zeit seiner ersten Reformen nach Frankreich gekommen, und habe die | |
französische Politkritik kennengelernt. Und mitgelebt. Unibesetzung, | |
Assemblée général, blockierte Prüfungen. Demonstrationen, zu denen sich | |
unterschiedliche Gesellschaftsteile zusammentaten, Studierende, | |
Bahnmitarbeiter*innen, Postbeamt*innen. Eine Gesellschaft, die über Monate | |
mit Streiks und Blockaden lebt – und das akzeptiert. Kritik an Macrons | |
Reformen ist Kritik am Regierungskurs – und das ist per se immer | |
unterstützenswert. | |
Ich glaube, Frankreich lebt seine Demokratieideale noch. Nicht alle und | |
nicht immer und bestimmt nicht immer rational – aber oft eben doch. | |
Frankreich gilt den Französ*innen als Geburtsort der Demokratie, und deren | |
Schutz gehört für sie ins eigene Selbstverständnis. Mir ist klar, dass | |
Frankreich nicht das Paradies ist; die Asylpolitik ist trotz großzügiger | |
Rhetorik untragbar, Privatisierung und Sozialstaatsabbau – „nach deutschem | |
Vorbild“ – schreiten voran. Von politisch interessierten Studierenden | |
umgeben bleibt aber kaum ein politischer Schritt, kaum ein | |
gesellschaftlicher Umstand unkritisiert, unkommentiert, unwidersprochen. | |
Auch deswegen liebe ich Frankreich. | |
14 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Sarah Kohler | |
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