Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Doping in der Leichtathletik: Läuft der Verdacht mit?
> Usain Bolt ist erneut Weltmeister über 100 Meter. Muss man nach den
> Dopingskandalen nicht misstrauisch sein? Ein Pro und Kontra.
Bild: Usain Bolt läuft auf Bahn 5 zum Weltmeistertitel.
Klares Ja. Natürlich nervt das Thema Doping wahnsinnig. Man drängt es auch
weiterhin lieber zur Seite, wenn man ein 100-Meter-Finale bei einer
Weltmeisterschaft sieht, eine der vielleicht ästhetisch schönsten,
eindrucksvollsten, packendsten Disziplinen überhaupt. Immerhin hat es Usain
Bolt nun wieder geschafft, könnte man sagen – einer der Favoriten, der als
sauber gilt.
Die Leichtathletik erlebt derzeit eine Welle von Enthüllungen, wie sie der
Radsport in der Folge des Wirkens von Super-Doc Eufemiano Fuentes Mitte der
Nullerjahre erfuhr. Nach einer Doku von ARD und Sunday Times sowie einer
anonymen Umfrage der Uni Tübingen bei der 2011er WM kann man davon
ausgehen, dass ein Drittel der Sportlerinnen und Sportler regelmäßig
leistungssteigernde Substanzen einnehmen.
Zeit für eine Zäsur in der Leichtathletik! Abblasen hätte man diese WM
sollen! Stattdessen will der Weltverband IAAF die Veröffentlichung der
Tübinger Studie blockieren, der scheidende Präsident Lamine Diack erklärt,
die Presse zeichne ein „Monster“ namens Leichtathletik. Dessen Nachfolger,
Sebastian Coe, gibt sich als Antidopingkämpfer, meint aber, die jüngsten
Veröffentlichungen seien eine „Kriegserklärung“ an „seinen Sport“.
Athleten wie Robert Harting erklären derweil ihr Misstrauen in Sachen
Antidopingmaßnahmen gegenüber der IAAF. Die bequemt sich immerhin noch
dazu, Ermittlungen gegen 28 Athleten einzuleiten. Und die
Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) spricht davon, man müsse sich schützend vor
Athletinnen und Athleten stellen.
Schützen sollte man eher die Zuschauer, die doch längst wissen, dass sie
eine WM der Drogisten und Biochemiker und keine Leichtathletik-WM sehen.
Eine Debatte darüber, ob man nach den Vorfällen und nach dem Verhalten der
Verbände die WM überhaupt ausstrahlen sollte, wäre angemessen gewesen –
allein weil man es im Radsport seinerzeit auch so handhabte, dass man die
Übertragungen aussetzte. Der nicht in Peking weilende Robert Harting löste
das Problem auf seine Weise: „Ich schaue mir das Rennen nicht an, lege eine
offizielle Schweigeminute ein und schalte den Fernseher aus, bevor es
losgeht“, sagte er.
Ansonsten herrscht Achselzucken. Aufseiten der Verantwortlichen redet man
die Probleme klein. Und auf der Tartanbahn laufen mit Asafa Powell, Tyson
Gay und Justin Gatlin fröhlich drei ehemals wegen Dopings gesperrte Läufer
gegeneinander – lebenslange Sperren gibt es immer noch nicht. Champion Bolt
stellte vor dem Lauf allerdings auch eine beeindruckende Naivität zur
Schau. Auf die Veröffentlichung seiner Blutwerte angesprochen, sagte er:
„Ich wusste gar nicht, dass ich so einen Blutpass habe. Ich weiß nicht viel
von diesen Dingen.“Läuft also alles blendend bei der WM der Pharmazeuten –
bei den Leichtathleten hingegen nicht so. JENS UTHOFF
***
Nein. Bei mir läuft kein Verdacht mit. Ich habe beim 100-Meter-Finale der
Männer in Peking acht Menschen gesehen, sportliche Männer, die etwas
können, was ich nicht kann und gerne könnte: schnell laufen.
Dass dort Läufer wie Justin Gatlin oder Tyson Gay mitliefen, die schon
wegen Dopings gesperrt waren, stört mich definitiv weniger, als wenn in
einem Film jemand mitspielt, der schon im Gefängnis saß oder wenn bei einem
Konzert jemand auftritt, der schon mal in einem BTM-Verfahren belangt
wurde. Es stört mich also weniger als gar nicht.
Was Menschen wie Gatlin oder Gay oder auch der noch nie in irgendeiner
Weise ernsthaft mit Doping in Verbindung gebrachte Usain Bolt (der
gleichwohl stets dem Geraune ausgesetzt ist) mit ihrem Körper machen,
interessiert mich nicht. Und ich habe einen tiefen Unwillen dagegen, dass
es auf dieser Welt Berufskollegen von mir gibt, die sich für deren
Blutwerte interessieren und mit großer Leidenschaft Urin- und andere
Körperflüssigkeitskontrollen fordern, deren Praxis in jedem anderen Milieu
als dem des Spitzensports als totalitär gelten würde.
Die Argumente sind doch alle bekannt. Erstens: Das, was so oft als leider
notwendige Dopingkontrolle bezeichnet wird, ist der die Intimsphäre
verletzende Zwang, unter Aufsicht zu urinieren und die menschenrechtlich
haltlose Verpflichtung, seinen Aufenthaltsort immer und überall einer
Behörde mitzuteilen. Entsprechend werden regelmäßig Vorschläge laut, man
solle etwa Chips unter die Haut implantieren, um den jeweiligen
Aufenthaltsort nachzeichnen zu können.
Zweitens: Die Vorstellung, „saubere Körper“ sollten eine sportliche
Leistung vollbringen, ist eine, die mit einem modernen Menschenbild wenig
zu tun hat: Als sei der menschliche Körper nicht Ergebnis einer
Vergesellschaftung, als unterschiede nicht gerade der Umstand, dass er
Essen zubereiten kann, das aus sehr unterschiedlichen Ingredienzen besteht,
den Menschen vom Tier. Und als hätten entsprechend nicht alle Menschen
einen „gedopten“ Körper, gerade weil wir nicht mehr nur Früchte von Bäum…
und Wasser aus Quellen zu uns nehmen, sondern aus industrieller
Arbeitsteilung entstammende Lebensmittel und Medikamente, deren
„natürliche“ oder „saubere“ Zusammensetzung wir nicht nur nicht kennen,
sondern getrost bezweifeln dürfen.
Drittens: Die Vermutung, sportliche Leistungen seien nur mit Doping zu
erklären, blendet die komplizierte Struktur solcher Leistungen aus:
körperliche Voraussetzungen, Trainingsplanung, psychische und physische
Besonderheiten und nicht zuletzt die gesellschaftliche Bedingungen der
sportlichen Ausbildung eines Talents.
Gute Gründe, wie ich finde, das Dopingthema nicht so ernst zu nehmen. Ich
bin so frei und zitiere Bertolt Brecht: „Ich bin für den Sport, weil und
solange er riskant (ungesund), unkultiviert (also nicht gesellschaftsfähig)
und Selbstzweck ist.“ MARTIN KRAUSS
23 Aug 2015
## AUTOREN
Jens Uthoff
Martin Krauss
## TAGS
Leichtathletik
Doping
Usain Bolt
American Pie
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Korruption
Doping
Doping
Doping
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Leichtathletik-WM
Doping
Anti-Doping-Gesetz
Evi Sachenbacher-Stehle
## ARTIKEL ZUM THEMA
Doping-Verdacht in der Leichtathletik: Ein Sprinter als Premium-Shopper
Christian Coleman ist Weltklasseläufer, aber häufig nicht da, wenn die
Dopingkontrolleure bei ihm klingeln. Das sorgt für Ärger in der Szene.
Wada bestraft Russland: Anti-Doping-Agentur suspendiert
Die Welt-Dopingagentur Wada hat Russlands Anti-Doping-Agentur suspendiert.
Damit droht Russland ein Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio.
Kolumne Press-Schlag: Sumpf, Spikes und Scheinheiligkeit
Das Rennen um den Titel des korruptesten Sportverbands bleibt eng. Auch die
Leichtathletik-Vereinigung IAAF ist vorn mit dabei.
Doping im Spitzensport: Persönlich designte Moleküle
Den neuesten Trends der Leistungsmanipulation haben Dopingbekämpfer kaum
etwas entgegenzusetzen. Nur sehr Ungeschickte kann man noch erwischen.
Skisport in Österreich: Wieder so ein Einzelfall
Lasch reagiert Österreichs Skiverband auf einen mutmaßlichen Dopingfall.
Umso engagierter ist er in Vermarktungsfragen.
Dopinggeschädigter und Sportpolitik: Er ist der Böse
Uwe Trömer, Dopinggeschädigter der DDR, hat sich lange gegen
Sportfunktionäre gestellt. Nun arbeitet er mit ihnen zusammen. Das sorgt
für Aufregung.
Leichtathletik-Weltmeisterschaft in China: Schlechter Lauf in Peking
JournalistInnen beklagen die Zensur, SportlerInnen das Chaos: Anders als
bei Olympia 2008 gibt es bei der WM der LeichtathletInnen massive Probleme.
Neuer IAAF-Präsident: This Charming Man
Ex-Mittelstrecken-Champion Sebastian Coe ist neuer Präsident des
Leichtathletik-Weltverbands IAAF. Ob er als Reformer in der Krise taugt?
Blutpass in der Leichtathletik: Eine Frage des Profils
Der Leichtathletik-Weltverband fühlt sich zu Unrecht attackiert. Der
biologische Pass habe funktioniert. Wirklich?
Press-Schlag Doping: Von Pillen und vom bösen Wolf
Der kommerzielle Hochleistungssport begünstigt Doping, denn Fans und
Funktionäre wollen Medaillen sehen. Und Sportpolitiker regen sich wieder
auf.
Biathlet über Doping: „Ich bin froh um jedes härtere Urteil“
Biathlet Erik Lesser spricht über Doping und den Fall seiner Kollegin Evi
Sachenbacher-Stehle. Er fordert eine lebenslange Sperre für Ersttäter.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.