# taz.de -- Donald Trumps Wahlsieg: Aufstand der Bedauernswerten | |
> Elitäres Empowerment für die unteren Schichten: Wie Clintons Niederlage | |
> die links-grünen Milieus in Deutschland und Europa betrifft. | |
Bild: Trump-Bekundungen in Michigan | |
BERLIN taz | Über das, was Donald Trump in den USA repräsentiert, muss in | |
unseren Kreisen nicht lange gesprochen werden. Er ist ein Schrecknis, er | |
und seine Wähler und Wählerinnen wollen offenbar eine Welt, die sich vom | |
ersten bis zum letzten Buchstaben so buchstabiert: Wir zuerst. Klimawandel, | |
Teilhabe von Minderheiten, das Soziale überhaupt: Das soll ein Ende haben. | |
Und zwar zugunsten einer gesellschaftlichen Atmosphäre, die wieder, wie es | |
in allen Reaktionen auf den Wahlsieg der Republikaner heißt, den weißen, | |
heterosexuellen Mann in den Mittelpunkt aller Sorgen stellt. | |
Ein aktueller Fall mag das illustrieren: Die Bürgermeisterin einer kleinen | |
Gemeinde in West-Virginia likte einen Post, der sich darüber freute, dass | |
im Weißen Haus endlich eine First Lady mit Geschmack einziehe – und nicht | |
mehr ein „Affe auf Pumps“ das öffentliche Bild der Präsidentengattin | |
verkörpere. Sie musste zurücktreten, gut so. Dass sie dies aber überhaupt | |
dachte und nicht einmal für sich behalten wollte, zeigt das Unappetitliche | |
gewisser Atmosphären in den USA nach den Wahlen. | |
Es wird noch viel zu beklagen geben, unsererseits. Die einzig spannende | |
Frage ist allerdings, wie das passieren konnte. War die Rate der | |
Arbeitslosigkeit nicht niedrig, gemessen an den Jahren mit George W. Bush? | |
Hatte es während Barack Obamas Amtszeit nicht einen Jobaufschwung gegeben? | |
Hinter diesen Fragen verbirgt sich freilich die Vermutung, das Wahlvolk sei | |
undankbar. | |
Und hinter dieser Unterstellung steckt auch genau das Problem, an dem | |
Hillary Clinton und ihre Partei scheiterten. Es sind Probleme, die auch die | |
Grünen in Deutschland haben und eigentlich alle Parteien in Europa, die | |
sich als libertär und ökologisch orientiert verstehen: Clinton scheiterte, | |
weil sie kulturell für eine Politik steht, die Weltläufigkeit, | |
Durchblickertum und Strebsamkeit verströmt. Nichts war für sie im Wahlkampf | |
so verheerend wie die Bemerkung über die „deplorables“, die | |
Bedauernswerten, die nicht an den Segnungen der neuen, digitalen Ökonomie | |
teilhaben können. | |
## The „deplorables“ | |
Ein fieses Wort. Deplorable: bedauerlich, erbärmlich, kläglich. Mitfühlend | |
sei das gemeint gewesen, hieß es aus dem Lager der Demokraten, im Sinne von | |
„sie müssen aus ihrem Elend befreit werden“. Die Spindoktoren Trumps | |
wendeten die Bemerkung freilich ins Giftige: Guckt mal, für die seid ihr | |
kläglich. In den Gebieten, die Clinton den Wahlsieg kosteten – den | |
kapitalistisch ausgeweideten Industrierevieren des Nordens etwa –, kam das | |
nicht gut an: Menschen, die dem für Ökologie und Minderheiten | |
aufgeschlossenen Caffè-Latte-Lifestyle nicht angehören, sahen sich | |
diffamiert. Bei ihnen hakte die Demagogie Donald Trumps ein. | |
Aber demagogisch war es eben zugleich auch nicht: Aus Perspektive der | |
„aufgeklärten“, am eigenen Lebensstil berauschten Menschen in den | |
Metropolen waren es wirklich die „Abgehängten“, die keine Perspektive | |
haben. Die Dummen, die schlechte Musik hören, falsche Drogen nehmen, mieses | |
Essen lieben und grob sprechen. Auch wenn manche Hillary Clinton als zu | |
perfekt und streberhaft empfunden haben: Im Vergleich mit einem Mann, der | |
sein Haar grell färben lässt und verbalen Schmutz absondert, schien sie | |
doch die bessere, die klare Wahl. | |
Trump gewann, weil er die Ressentiments gegen eine aufgeklärte liberale | |
Politik bündeln konnte – aber zugleich, weil ein Teil dieser Gefühle eben | |
die Richtige treffen konnte: eine Politikerin, die für alles steht, was man | |
mit Neid und Missgunst bedenken kann. Sie hat Erfolg, sie wusste sich | |
durchzusetzen, sie hatte die Mittel, mit exzellenter Ausbildung den Weg | |
nach oben zu schaffen. | |
## Grüne Weltdauerdurchblicker | |
Weshalb man nun auf die Grünen zu sprechen kommen kann. Alles, was sie | |
vorschlagen, wirklich alles leuchtet ein. Die Essensgeschichten | |
(„Veggie-Day“), die Liebe zum öffentlichen Nahverkehr, die ewige Einübung | |
in Sensibilität im Umgang miteinander, vor allem beim Sprechen („Politische | |
Korrektheit“) – und die Botschaft, mit Bildung sei alles zu schaffen. Das | |
klingt, unterm Strich, gleichwohl auch wie eine Drohung: Wer sich nicht | |
anstrengt, wer also aus offenbar selbstverschuldeter Dummheit nicht den | |
grünen Lebensstil wählt oder anstrebt, muss unten bleiben. | |
Mit anderen Worten: Die „grünen“ Schichten werden als belehrend | |
wahrgenommen. Schließlich sind sie es, die durch Empowerment-Pädagogik dem | |
guten Leben auf die Sprünge helfen wollen – sprachlich vor allem. Hinter | |
dem Unmut über politische Korrektheit steckt die Angst, durch falsche Worte | |
von oben herab korrigiert zu werden. Ein Stil des Missionarischen | |
sozusagen. Glaubt jemand ernsthaft, dass das die zu Bekehrenden dauerhaft | |
aushalten wollen? Und das noch von Leuten, die aus jedem Knopfloch | |
verströmen, über sämtliche Privilegien der Mittelschicht zu verfügen? | |
Als die Grünen ihren Siegeszug begannen, in den frühen Achtzigern, | |
kursierte unter Sozialdemokraten in kommunalen Parlamenten die Klage, die | |
Grünen seien die Kleinen, aber sie sprächen stets von oben herab, ihre Art | |
des Miteinanders sei, wie man heute formulieren würde, exkludierend. Die | |
Parteiökos – eine Formation von Weltdauerdurchblickern. Nicht dass sie | |
recht hatten (und haben), ist mithin das Problem, sondern dass ihre | |
öffentlichen Äußerungen nur gelesen werden können als: Wer uns nicht | |
begreift, ist blöde. | |
Clinton war, so gesehen, auch eine ungebetene Kämpferin gegen falsche | |
Lebensstile. Der Soziologe Niklas Luhmann äußerte einmal sinngemäß über die | |
Grünen: Sie mögen ja richtig liegen – aber ihr Ton sei unerträglich. Dass | |
die Sozialdemokraten an der Klassenfrage im Verhältnis zu den gutsituierten | |
Grünen nicht mehr leiden, hat übrigens sehr viel mit deren habitueller | |
Angleichung an das etablierte Ökolifestylemilieu zu tun. | |
Jedenfalls: Der Ton Clintons (und der der meisten in ihrer Partei) war | |
erbarmungswürdig antiplebejisch. Es hat nicht gereicht für die Mehrheit in | |
ehemaligen Demokraten-Hochburgen – die Obama alle noch gewann. Eine | |
Tragödie, die politisch vier Jahre lang aufgeführt werden wird. Eingebrockt | |
haben wir Grünen-nahe Weltverbesserungskreise uns das Grauen selbst: | |
Hochmut kommt immer vor dem Fall. | |
17 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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