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# taz.de -- Digitalisierung unter Ampel-Koalition: Zurück in Merkels Neuland
> Deutschlands Verwaltung soll digitaler werden – doch die Bundesregierung
> will umverteilen und sparen. Kritik kommt von den Grünen und aus der FDP.
Bild: Zurück zur Büroklammer: Ampel plant Kürzungungen bei der Digitalisieru…
Berlin taz | Es waren vollmundige Versprechen, die die Ampel 2021 im
Koalitionsvertrag verankerte: Fortschritt sollte gewagt werden, es sollte
endlich eine digitale Verwaltung und Infrastruktur geben, die den
EU-Nachbarn in nichts nachsteht. Wie so oft wurde neidisch-bewundernd nach
Estland, Litauen oder in den Norden geblickt, wo von der Verlängerung des
Personalausweises über den Antrag für den Führerschein bis hin zur
Steuererklärung und der ID alles online möglich war.
Es sollte Schluss damit sein, Aktenberge auf einsamen Behördenfluren von A
nach B zu fahren, damit, dass Ämter die Bürger:innen mit Formularen hin
und her schickten. Überhaupt sollte weniger Papier nötig sein, stattdessen
Onlineplattformen und Datenbanken gebaut werden. Dafür sollte es Technik,
Know-how und vor allem Geld geben. Die Bundesregierung versprach ein
zusätzliches Digitalbudget und eine Art Digi-Check, den jeder Gesetzentwurf
durchlaufen muss – um endlich wegzukommen vom Image einer
Möchtegern-Digitalnation. Nun jedoch soll ab 2024 beim Ausbau digitaler
Verwaltung gespart werden.
Laut Haushaltsentwurf sind für den Posten Digitalisierung der Verwaltung
und Verwaltungsdienstleistungen, angesiedelt im Bundesinnenministerium,
statt bisher 377 Millionen nur noch 3,3 Millionen Euro eingeplant. Es geht
dabei auch – aber eben nicht nur – um das sogenannte Onlinezugangsgesetz
(OZG). Mit dessen Reform sollen künftig klassische Behördendienstleistungen
online abgewickelt werden. Dazu gehören Wohngeldanträge,
Führerscheinaktualisierung und vieles mehr, also Anträge, für die bisher
der Gang ins Bürgeramt notwendig ist – wenn die Bürger:in einen der
raren Termine erhält.
Auch beim viel gerühmten „Leuchtturmprojekt“ Digitale Identitäten soll
gespart werden. Mit dem von rund 60 Millionen auf etwa 40 Millionen Euro
gekürzten Vorhaben sollen Bürger:innen sich künftig im Netz rechtssicher
ausweisen können. Bis 2025 soll dieses zentrale Projekt der
Digitalstrategie kommen. Auf Meldungen über die Kürzung folgte große
Empörung. Als „unfassbar“ bezeichnete es die Bildungsministerin
Schleswig-Holsteins, Karin Prien, „gerade jetzt die Mittel für die
Digitalisierung der Verwaltung zusammenzustreichen. Das Gegenteil wäre
jetzt notwendig.“ Sie verschwieg, dass auch 16 Jahre CDU-Regierung unter
Kanzlerin Angela Merkel die Digitalisierung nicht voranbrachte.
## Jedes Ressort finanziert selbst
Das Bundesinnenministerium reagierte entspannt. Übriggebliebene Gelder – in
ähnlichem Rahmen wie 2023 – sollen auch 2024 zur Verfügung gestellt werden.
Außerdem hätte das von Nancy Faeser geführte Ministerium Länder und
Bundesressorts in der Vergangenheit gefördert, um die Umsetzung des
Onlinezugangsgesetzes voranzutreiben.
Es sei allen klar gewesen, dass es sich um eine zeitlich befristete
Finanzierung handle. Die Beträge wurden im Rahmen des Konjunkturpakets
während der Coronapandemie freigestellt. Künftig sollen also die Länder
selbst in ihren Haushalten schauen, welche Investitionen sie in die
Digitalisierung von Dienstleistungen stecken. Schleswig-Holstein hatte sich
bereit erklärt, federführend für alle Bundesländer etwa die
Onlinebeantragung des Wohngeldes auszuarbeiten. Laut FAZ wurde die
Vereinbarung nun gekündigt.
Was für die Länder gilt, gilt künftig auch für die Bundesministerien. Jedes
Ressort finanziert selbst die Projekte des Onlinezugangsgesetzes.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) kündigte an, dass „die
Digitalisierung von Wohngeld- und Bauanträgen“ für ihr Ministerium
„weiterhin große Priorität“ habe. Man werde beide OZG-Projekte auch im
nächsten Jahr ausreichend finanzieren und die bisherige gute Kooperation
mit den Bundesländern fortsetzen.
## Im Europäischen Vergleich deutlich hinterher
Weitere Finanztöpfe soll es aber für die Digitalprojekte von Ministerien
und Ländern geben. Laut Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sind
von 2024 bis 2027 rund 23,2 Milliarden Euro an Mehrausgaben eingeplant.
„Notwendige Zukunftsinvestitionen insbesondere in Digitalisierung,
Mobilität, Bildung und Forschung werden ermöglicht“, heißt es auf der
Webseite des Ministeriums.
Ob dieses Fundament so stabil ist, zieht Lindners Parteikollegin Ann
Cathrin Riedel in Zweifel. Riedel, die Mitglied im Digitalbeirat des
Verkehrsministeriums ist, verweist auf Vereinbarungen in der
Digitalstrategie, es in naher Zukunft in die Top 10 im Index für digitale
Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Dieser Index gilt als Barometer
für den digitalen Fortschritt in den EU-Staaten. Zu den Besten gehören die
nordischen und baltischen Staaten, Deutschland liegt bisher im Mittelfeld.
„Wenn im Haushalt so drastisch bei der Verwaltungsdigitalisierung gekürzt
wird, schaffen wir das nicht“, meint Riedel.
Deutlich schärfer ist die Kritik des stellvertretenden
Grünen-Fraktionsvorsitzenden Konstantin von Notz. „Aufgrund der massiven
Versäumnisse der Vorgängerregierungen und einer völlig falschen politischen
Prioritätensetzung hinken wir bei der Digitalisierung der Verwaltung im
europäischen Vergleich noch immer weit hinterher“, sagte er der taz. Die
Meldungen zum Haushaltsentwurf des BMI hätten die Parlamentsfraktionen
überrascht, abgestimmt seien sie nicht. Von Notz forderte Faeser auf, ihre
politische Prioritätensetzung noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
„Bei der weiteren Modernisierung unserer Verwaltung müssen wir endlich vom
Fleck kommen.“
4 Aug 2023
## AUTOREN
Tanja Tricarico
## TAGS
Ampel-Koalition
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Verwaltung
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