| # taz.de -- Die royalen Mountbatten-Tagebücher: Dickie und die Naziverwandscha… | |
| > Die Freigabe der Tagebücher durch die britische Regierung ist ein Erfolg. | |
| > Deutschland könnte sich daran ein Beispiel nehmen. | |
| Bild: Edwina und Louis Mountbatten in einer Aufnahme von 1943 | |
| Premierminister Boris Johnson arbeitet seit längerer Zeit an einem Buch | |
| über William Shakespeare. In „The Riddle of Genius“ soll es um | |
| „Rassismus, Eifersucht und politische Korruption“ gehen. Alles Themen, mit | |
| denen er sich gut auskennt. Was jedoch besonders beeindruckt, ist sein | |
| fulminantes Zeitmanagement. | |
| Schon als Bürgermeister der Kleinstadt London schrieb er nebenher „The | |
| Churchill Factor: How One Man Made History“. Das Werk bot der | |
| Churchill-Forschung nicht wirklich neue Erkenntnisse, aber es ergänzte | |
| Johnsons Bewerbungsunterlagen. 2019 bekam er den Job in der Downing Street | |
| 10. Seitdem kann er ungestört an seinem Shakespeare-Buch arbeiten. | |
| Es ist für britische HistorikerInnen natürlich erfreulich, einen | |
| Premierminister zu haben, der in Literatur- und Zeitgeschichte dilettiert. | |
| Aber es gibt ein Problem: Normalen WissenschaftlerInnen stehen in der Regel | |
| keine Phalanx von Rechercheuren zur Verfügung, sie müssen eigenständig nach | |
| Quellen suchen. Und ausgerechnet die Regierung des Hobbyhistorikers Johnson | |
| hat diese Suche behindert. | |
| Jahrelang kämpfte der Biograf Andrew Lownie darum, Einsicht in die | |
| Tagebücher von Louis Mountbatten (1900–1979) und seiner Frau Edwina | |
| (1901–1960) zu erhalten. Die Familie Mountbatten hatte den Nachlass 2011 | |
| für 2,8 Millionen Pfund an die Universität Southampton verkauft. Das | |
| Schnäppchen wurde mit britischen Steuergeldern finanziert. Herzstück der | |
| Sammlung sind die Tagebücher Mountbattens, doch ausgerechnet die durfte man | |
| nur bis zum Jahr 1934 einsehen. Alles andere blieb gesperrt. | |
| ## Mountbattens Katastrophen im Zweiten Weltkrieg | |
| Aber was ist an Lord Mountbatten (Spitzname Dickie) eigentlich so wichtig? | |
| Seine Marine-Einsätze während des Zweiten Weltkriegs und seine Rolle als | |
| letzter Gouverneur Indiens 1947/48 gelten als allgemein anerkannte | |
| Katastrophen. Netflix-Zuschauer kennen Dickie heute nur noch als | |
| IRA-Mordopfer aus der [1][Serie „The Crown“]. | |
| In Staffel 4 löst er eine Kettenreaktion aus, nachdem er Prinz Charles | |
| brieflich ermahnt, endlich zu heiraten. Kurz darauf jagt die IRA Dickies | |
| Boot in die Luft, und der gebrochene Charles beschließt zur Buße, eine | |
| Heilige namens Diana zu ehelichen. Damit ist sein Schicksal für alle Zeiten | |
| besiegelt. | |
| Dickies fataler Kettenbrief wurde von den Netflix-Drehbuchautoren erfunden | |
| und ist daher mit Sicherheit nicht im umkämpften Archivgut. Aber der Grund, | |
| warum man bisher nicht an den Rest des Mountbatten-Nachlasses herankam, hat | |
| durchaus etwas mit den Royals zu tun: Dickie wird in seinen Tagebüchern | |
| private Details über noch lebende Mitglieder der Familie notiert haben. | |
| [2][Vor allem aber wird er über die Kontakte der Royals mit ihrer deutschen | |
| Naziverwandtschaft bis 1939 berichtet haben]. Es ist daher anzunehmen, dass | |
| Dickies Notizen das TV-Gejammere von Meghan Markle um einige Dezibel | |
| überbieten. Bisher hatte die Royal Family es immer geschafft, unangenehme | |
| Archivalien aus den dreißiger Jahren unter Verschluss zu halten. | |
| ## Versiegelte Post der deutschen Naziverwandtschaft | |
| In den Royal Archives in Windsor darf man keine Briefe der deutschen | |
| Naziverwandtschaft aus der Zwischenkriegszeit einsehen. Auch in den | |
| staatlichen Archiven – den National Archives in London – sieht es schlecht | |
| für HistorikerInnen aus. Der Public Records Act bestimmt, dass nach 30 | |
| Jahren Akten freigegeben werden müssen. Davon werden ein Teil als „geheim“ | |
| eingestuft und nicht öffentlich gemacht (Akten der Nachrichtendienste und | |
| des Verteidigungsministeriums), aber merkwürdigerweise eben auch | |
| Unterlagen, die die königliche Familie betreffen. | |
| Laut den Recherchen des ehemaligen liberalen Abgeordneten Norman Baker sind | |
| Hunderte von Akten zu den Royals gesperrt. Daran wird sich auch in Zukunft | |
| wenig ändern, aber der Biograf Andrew Lownie hat jetzt einen großen Sieg | |
| errungen. Nach sechs Jahren Auseinandersetzung und 250.000 Pfund | |
| Anwaltskosten sind die Mountbatten-Tagebücher Ende Juli – mit einigen | |
| Lücken – freigegeben worden. Die Regierung von Boris Johnson hat endlich | |
| nachgegeben. Ein Erfolg, mit dem keiner mehr gerechnet hatte. | |
| In Deutschland sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen. Bis heute | |
| [3][haben bei uns viele Adelsarchive kein Interesse daran, die dort | |
| dokumentierte NS-Vergangenheit untersuchen] zu lassen und gewähren nur | |
| ausgewählten „Vertrauenspersonen“ Zugang. Dass eine solche Archivpolitik | |
| nicht mehr zeitgemäß ist, hat jetzt sogar Boris Johnson verstanden. | |
| 5 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karina Urbach | |
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