# taz.de -- Die Suche nach außerirdischem Leben: Krümel der Schöpfung | |
> Ein Flug zum Mars muss sein. Nicht um eine zweite Erde zu schaffen. | |
> Sondern um die erste zu retten. Die Idee sollte zum Projekt der | |
> Weltgemeinschaft werden. | |
Bild: Zukunftsvision: So stellte sich die Nasa im Jahr 1992 die Marsmission vor. | |
Die alles entscheidende Frage ist doch, ob wir allein sind mit dem Ich in | |
unseren Köpfen. Das zu klären ist die wissenschaftliche Frage des 21. | |
Jahrhunderts. Ist der Mensch, sein Freuen, Trauern, sein Erschrecken und | |
seine Faszination über die eigene Nase oder Farbe auf Leinwänden nur eines | |
von vielen Wesen, das ein komplexes Bewusstsein empfindet? | |
Angenommen, vom Nachbarstern funkt uns eine andere Zivilisation an und | |
fragt, was wir über Mathematik und Liebe denken und was unser | |
Lieblingsessen ist. Oder wir verstünden Wale oder Affen und die würden | |
sagen: Wir sind nicht primitiver als ihr, wir haben uns nur schon längst | |
aufs Grübeln über die eigene Existenz verlegt. | |
Zwei Momente, die dem Mensch das letzte Gefühl der Einmaligkeit nehmen | |
würden. Ein wahrlich kopernikanischer Moment. Einer, der neue Wahrheiten | |
schafft, hinter die nicht mal die querschädeligsten Religiösen zurückfallen | |
könnten. Vermutlich auch ein Moment, der Demut lehrt. Und allzu weit liegt | |
er nicht weg. Mit ein wenig Glück circa 100 Milliarden Dollar und je nach | |
Stellung zur Erde mindestens 55,6 Millionen Kilometer. Wir müssen, kurzum, | |
auf den Mars. | |
Die Reise zu dieser These beginnt im Büro von Alessandro Airo, Professor | |
für Sedimentologie am Institut für Geologische Wissenschaften der Freien | |
Universität Berlin. Er trägt eine graue Wollmütze, als käme er gerade vom | |
Fischen, dazu Dreitagebart. Er scheint urtümlich begeistert von Steinen, | |
Mikroben, vom Mars und ist nur schwer vom Studenten im Vorzimmer zu | |
unterscheiden. | |
Diverse geschliffene, grobe, korallige oder zum Mikroskopieren fein | |
geschnittene Mineralien liegen in den Regalen umher. Airo schnappt sich | |
einen Geschliffenen. Sieht ein wenig aus wie ein gestreifter Marmorkuchen. | |
„Das ist Sandstein, im Prinzip ist das ein versteinerter Strand. Und das | |
hier“, er deutet auf schwarze Streifen in dunkelbraunen Schichten, „das war | |
mal grüner Schleim, vor 3,2 Milliarden Jahren“. | |
## Bis heute fließt Wasser auf dem Mars | |
Genau genommen, sagt Airo, handelt es sich um eine der ältesten fossilen | |
Spuren von Leben auf der Erde. Mikroben, die sich zum Schutz vor der damals | |
extremen UV-Strahlung in winzigen Hohlräumen im Gestein versteckt haben, | |
bedeckt vom seichten Wasser eines Ur-Ozeans. Sehr viel deutet darauf hin, | |
dass es auf dem Mars damals genauso ausgesehen hat. Ob es dort jemals Leben | |
gab, ist völlig unklar. Dass es flüssiges Wasser gab, gilt als sicher – | |
schließlich findet sich heute noch genug davon in Form von Eis, gebunden im | |
Boden oder fast in Reinform an den Polen. | |
Eine der erstaunlichsten Entdeckungen 2015 war vermutlich, dass es selbst | |
heute bisweilen noch fließt. Der „Mars Reconnaissance Orbiter“ der Nasa | |
fand deutliche Hinweise darauf, dass an manchen Sommertagen auf dem Mars | |
eine salzige Lauge an Hängen hinabfließt, die auch Wasser enthält. | |
Obwohl der Planet seit Milliarden Jahren eine staubige, eiskalte Wüste ist, | |
könnte das Leben überdauert haben. Wie wahrscheinlich ist das? Airo: „Es | |
ist absolut möglich.“ | |
Dafür spricht, wo überall es auf der Erde lebt. In schwefeligen | |
Vulkanschloten, kochend heißen Quellen oder tief unter uns. Dass in zwei | |
Kilometern Tiefe Mikroben, Bakterien und Pilze leben, ist seit den 1920ern | |
bekannt. Doch erst seit 2013 ist klar, dass es in der Erdkruste eigene | |
Ökosysteme gibt. Mikroben, die sich unendlich langsam vermehren, manche | |
Zellen teilen sich nur alle paar tausend Jahre. Und sie scheinen mit | |
geringsten Energiemengen in seit Jahrmillionen von der Oberfläche | |
isolierten, winzigen Poren im Gesteinen zu überleben. | |
Und der Mars? „Weniger Hitze im Untergrund, weniger Auflast durch das | |
Gestein wegen der geringeren Gravitation und deshalb größere Porenräume. | |
Man kann gut erwarten, dass es Grundwasser tief unter der Oberfläche gibt, | |
in der Mikroben sehr gern leben. Diese Habitate könnten seit hunderten | |
Millionen Jahren ungestört existieren“, sagt Airo. | |
Deshalb suchen sie ja alle. Russen und Europäer wollen im Frühjahr dieses | |
Jahres eine Sonde zum Mars schicken, die 2018 einen Rover absetzt, der, nun | |
ja, immerhin zwei Meter tief unter der Erde nach Lebenszeichen suchen kann. | |
Fünf Satelliten, drei der Nasa, einer der ESA und ein indischer, umkreisen | |
derzeit den Planeten, die Nasa-Rover „Opportunity“ und „Curiosity“ kurv… | |
auf der Oberfläche umher. | |
## Wenn es zweimal klappt, klappt es millionenfach | |
Dass sie und künftige Robotermissionen Leben finden werden, selbst wenn es | |
dort noch existiert – alles sehr unwahrscheinlich. Es braucht Menschen vor | |
Ort, ihre Mobilität, ihre Ideen. Um die entscheidende wissenschaftliche | |
Frage des 21. Jahrhunderts zu beantworten: Wie oft entsteht Leben? | |
Außerirdische Mikroben auf dem Mars, die biochemisch anders funktionieren | |
als das Leben bei uns – das wäre eine Entdeckung ähnlich der, dass die Erde | |
rund ist. „Wenn in unserem Sonnensystem das Leben zweimal unabhängig | |
voneinander entstanden sein sollte – dann muss es im Universum davon | |
wimmeln“, sagt Airo. | |
Der Mensch wäre endgültig nicht Krone, sondern Krümel der Schöpfung. | |
Jedenfalls nicht einmaliger Herr. Wenn sich alsbald weitere Milliarden | |
Menschen auf der Erde tummeln, könnte das Wissen darum der entscheidende | |
Kipppunkt in unseren Köpfen sein, um so bescheiden zu handeln, dass die | |
irdische Biosphäre überlebt. Analog zum Apollo-Programm der Nasa. Es mag | |
aus einem Wettrüsten zweier atomarer Supermächte entstanden sein: Doch das | |
von der Mondfähre „Apollo 17“ aufgenommene Bild des zerbrechlichen blauen | |
Planeten vor unendlichem Schwarz ist ikonografisch für das 20. Jahrhundert | |
und die Erkenntnis, dass wir dabei sind, uns selbst zu zerstören. | |
Nun stelle man sich Astronauten vor, die durch eine unendliche, rote Wüste | |
laufen – auf einem Planeten, der einst lebte. Kleiner kann einen | |
Fortschritt nicht mehr machen. | |
Jetzt kommen die Gegenargumente. Die Kosten? Mindestens 100 Milliarden | |
Dollar, schätzt die Nasa; frühestens in 35 Jahren geht’s los, die ESA. So | |
viel Geld für ein paar Alien-Mikroben und heroische Wüstenbilder? Haben wir | |
nicht genug irdische Probleme, warum Geld in so einen Mars-Quatsch stecken? | |
## Gründen wir eine globale Space-Genossenschaft! | |
Die Frage ist doch, ob mit einem Verzicht auf Wissenschaft auch nur ein | |
irdisches Problem gelöst wird. Die Welt ist kein Krämerladen, in dem etwas | |
fehlt, wenn jemand Teile für eine Marsrakete kauft. Die Herausforderung des | |
21. Jahrhundert ist, wie die Menschheit jenseits nationaler Egoismen, | |
wirtschaftlicher Gier und Naturzerstörung einen neuen Ordnungsrahmen | |
entwickelt, der das Vorhandene besser verteilt. Dafür braucht es, neben | |
einem Bewusstsein der eigenen Schwäche und Endlichkeit, praktische Übung. | |
Ein Flug zum Mars wäre also kein Selbstzweck, er muss unter den richtigen | |
Bedingungen stattfinden. Nicht als Wettbewerb, sondern als Projekt einer | |
Weltgemeinschaft. | |
Denkbar wäre eine Art globale Space-Genossenschaft. Gleiches Recht für | |
alle, jenseits des Geldbeutels. Der erste Mensch auf dem Mars ist eine Frau | |
aus Somalia, Tuvalu oder Bhutan. Die Technik, die entwickelt wird, ist Open | |
Source, keine Patente. Vorbilder gibt es: die Internationale Raumstation | |
ISS, das Kernforschungszentrum Cern. | |
Möglicherweise gibt es Marsmissionen mit erstaunlichen wissenschaftlichen | |
Erkenntnissen auch in billiger. Wer weiß, was Roboter in einigen | |
Jahrzehnten alles können. Vielleicht pickelt sich aus Kostengründen nicht | |
ein Mensch, sondern ein Android in den Marsboden, findet ein paar lebende | |
Bakterien und denkt sich in dem Moment: Wer hat’s entdeckt? Heilige | |
Scheiße: ICH hab’s entdeckt. ICH. | |
9 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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