# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Schönen Gruß von der Erde | |
> Wie ein Zeichen senden, ein unverkennbares Signal, universal | |
> verständlich? Ein kleiner Leitfaden für die Verständigung mit | |
> Außerirdischen. | |
Bild: Das größte Teleskop (der Erde), in China | |
Ein Unwetter kommt auf, viel stärker als erwartet. Die Mannschaft war nicht | |
darauf vorbereitet. Das Schiff sinkt, doch du überlebst, an ein Wrackteil | |
geklammert. Erst nach Tagen wirst du an einer unbekannten Küste angespült. | |
Ein Rettungstrupp wird dich suchen. Wie machst du dich bemerkbar? | |
Das Problem ist nicht nur, dass du mitteilen musst, dass du hier bist. Du | |
musst das mit den Mitteln tun, die deine Umgebung dir bietet, und zwar so, | |
dass deine Signale von den Äußerungen der Natur zu unterscheiden sind. Sie | |
müssen erkennbar von Menschen stammen, sie müssen neu und universal | |
verständlich sein, denn du weißt nichts über die Sprache und Kultur der | |
Suchmannschaften. | |
Camper, Seeleute und Flugzeugpiloten in aller Welt kennen die Antwort. Sie | |
lautet: deutliche Muster und Lichtzeichen. Aus Steinen arrangierte | |
geometrische Figuren, etwa ein Dreieck oder ein SOS; oder ein | |
reflektierender Gegenstand, um rhythmische Blinksignale zu erzeugen; oder | |
ein Signalfeuer. | |
Wenn du den Rettern einen Suchpfad weisen willst, lege kleine Steinhügel, | |
schnitze oder brenne ein Muster in die Rinde von Bäumen. Doch was machst | |
du, wenn es um kompliziertere Mitteilungen geht? Etwa dass sie Insulin | |
abwerfen sollen oder dass hier kein sicherer Landeplatz ist oder dass du | |
Richtung Nordwest ins Landesinnere aufbrechen wirst, um nach Nahrung zu | |
suchen? | |
Machen wir es noch schwieriger: Du weißt nicht, wie die Suchmannschaft | |
operiert – aus der Luft, zu Fuß, vom Meer aus oder mithilfe von | |
Satellitenbildern. Ja, du weißt nicht einmal, ob überhaupt jemand sucht. Es | |
kann Monate oder Jahre – womöglich Jahrzehnte oder Jahrhunderte – dauern, | |
bis dein Zeichen entdeckt wird. Gehen wir außerdem davon aus, dass du nicht | |
einmal weißt, ob die Suchenden menschliche Wesen sein werden. Du weißt | |
nichts über ihre Anatomie und ihre Technologie, weißt nicht, was genau und | |
wie sie suchen. | |
## Ein Zeichen senden | |
Also, wie ein Zeichen senden? Die Wasserfläche um unsere kleine Insel | |
erstreckt sich in ozeanische Weiten, die sich nach Lichtjahren bemessen. | |
Das ist das Dilemma von uns Erdbewohnern. | |
Als wir begonnen haben, die Dimensionen und die Struktur des Sonnensystems | |
zu verstehen, erkannt haben, dass es irgendwo da draußen andere, der | |
unseren ähnliche Welten geben könnte, fingen wir auch an, über deren | |
Bewohner zu spekulieren. Und darüber, wie man mit ihnen Kontakt aufnehmen | |
könnte. | |
Während wir uns früher im triumphalen Zentrum des Universums wähnten, sind | |
wir heute nur noch „Isolatoes“, wie der US-amerikanische Schriftsteller | |
Herman Melville uns nannte: Bewohner einer isolierten Sterneninsel, deren | |
unvorstellbare Einsamkeit innerhalb des Alls mit der eines winzigen Atolls | |
in der Weite des Pazifiks vergleichbar ist. | |
Als wir den Mars und seine Monde studieren konnten, behaupteten einige | |
Astronomen, sie könnten Kanäle, Bewässerungsgräben und Wüstenstädte | |
erkennen – bleich schimmernde Zeugnisse einer weit entfernten Insel. Und | |
unter den Wolkenschichten der Venus wurden üppige Dschungellandschaften und | |
Inselgruppen vermutet, fast wie in Brasilien oder am Kongo. | |
Das aschgraue Licht, das zuweilen auf der Nachtseite der Venus zu | |
beobachten ist, führte der deutsche Astronom Franz von Paula Gruithuisen | |
(1774–1852) auf „allgemeine Feuerfeste der Venusbewohner“ zurück, die bei | |
„Regierungsveränderungen oder religiösen Perioden gefeiert werden möchten�… | |
Von Gruithuisen gibt es auch wunderbare Skizzen von skelettartig angelegten | |
Städten, die er in einem Mondkrater entdeckt zu haben glaubte. All das | |
legte die Vermutung nahe, dass die Mars- oder Venusbewohner uns ebenfalls | |
sehen konnten. Und damit stellte sich die Frage, wie man mit ihnen | |
kommunizieren könnte. | |
Die erste Antwort auf diese Frage erfolgte noch ganz im Sinne der | |
Schiffbrüchigen. Der große deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauß | |
(1777–1855) regte den Bau eines riesigen Spiegeltelegrafen an. Der von ihm | |
entwickelte „Heliotrop“ konnte Sonnenlicht über große Entfernungen | |
reflektieren und war zunächst für Vermessungszwecke vorgesehen. Ein | |
Riesenheliotrop mit 100 Spiegeln sollte Lichtsignale „nach außen“ senden. | |
## Aufmerksamen Marsianern zuzublinzeln | |
Es wäre ein Pendant zum Jantar Mantar in Jaipur, Indien, gewesen – einer | |
gigantischen, aus 14 Gebäuden bestehenden Anlage für astronomische | |
Messungen. Eine ähnliche Idee wurde ebenfalls Gauß – und dem | |
österreichischen Astronomen Joseph von Littrow – zugeschrieben: der Bau | |
eines riesigen, in geometrischen Figuren angelegten Kanals in der Sahara, | |
den man mit Kerosin füllen und nachts in Brand stecken sollte, damit das | |
Feuer dann auf dem Mars zu sehen wäre. Oder die Bepflanzung von Feldern in | |
Sibirien in Form eines Hypotenusenquadrats, das so riesig dimensioniert | |
sein sollte, dass es mit einem guten Teleskop von unserem Nachbarplaneten | |
aus sichtbar wäre. | |
Im späten 19. Jahrhundert kam das elektrische Licht dazu: Der französische | |
Astronom Camille Flammarion (1842–1925) dachte an eine Riesenfläche | |
künstlichen Lichts in der Sahara, das aufscheinen sollte, wenn der Mars in | |
der richtigen Position steht. Und sein Kollege Louis-Sébastien Mercier | |
erwog sogar den Bau einer mit einem Riesenspiegel versehenen Elektrolampe | |
mitten in Paris – passenderweise auf dem Champ de Mars. | |
Da damals jedoch schon der Bau des Eiffelturms viele Pariser in Rage | |
versetzt hatte, rechnete Mercier mit einem gewissen Widerstand gegen eine | |
Anlage, die so groß wie ein Stadion sein und das hellste Licht der Erde | |
erzeugen sollte. Deshalb schlug er vor, zwei Spiegel auf einem Berg zu | |
installieren, um das Licht der untergehenden Sonne auf die Schattenseite zu | |
lenken, von wo es in Richtung Mars leuchten sollte, da es vor dem dunklen | |
Hintergrund einen besseren Effekt erzielen würde. | |
Der US-amerikanische Physiker Robert W. Wood (1868–1955), ein bedeutender | |
Forscher auf dem Gebiet der Wellenoptik und speziell des ultravioletten | |
Lichts, schlug für die Wüste ein gigantisches Gebilde aus Fächern von | |
schwarzem Stoff vor, die mithilfe eines Motors geöffnet und geschlossen | |
werden könnten. Damit wollte er ein Netz von Lichtpunkten erzeugen, um | |
aufmerksamen Marsianern sozusagen zuzublinzeln. Und der Russe Konstantin | |
Ziolkowski (1857–1935), der große frühe Pionier der Raumfahrt, der an eine | |
kosmische Zukunft der Menschheit glaubte, hatte noch mehr verspiegelte | |
Flächen im Sinn. Wäre für die „Marsmanie“ der damaligen Jahrhundertwende | |
etwas mehr Kapital verfügbar gewesen, hätten wir heute irgendwo auf einem | |
Wüstenplateau vielleicht ein verlassenes Riesenfeld mit verstaubten, schräg | |
gestellten Reflektoren, in denen sich der Himmel spiegelt – ein Monument | |
der Leere und der Vergeblichkeit. | |
Was all diese frühen Ideen und Vorschläge gemeinsam hatten, war die | |
Kombination aus naturwissenschaftlichem Pioniergeist und philosophischer | |
Faulheit. Die ursprünglichen Ideen waren brillant. Sie lesen sich wie | |
Anregungen für Land-Art-Projekte und minimalistische Skulpturen im | |
Großformat, aber mit der Absicht, Beobachter in einer anderen Welt zu | |
erreichen. | |
## Sie sind älter als wir und kälter | |
Die gedankliche Faulheit ist offensichtlich: die Annahme, dass benachbarte | |
Welten von Leuten bewohnt würden, die uns mehr oder weniger ähneln, und | |
dass, sobald wir ihnen Beweise für unsere Existenz geliefert hätten, die | |
bloße Gegenseitigkeit eine Art Konversation ermöglichen würde. Die | |
Kommunikation würde wohl, wie Gauß annahm, mittels jener mathematischen | |
Betrachtungen und Ideen beginnen, die wir und sie gemeinsam haben. | |
All diese Riesenanlagen von Spiegeln, die ganze Berghänge bedecken, sollten | |
Kontakt mit Wesen herstellen, die uns nicht unähnlich, aber eben älter und | |
kälter waren – und uns wahrscheinlich „weit überlegen“, wie Flammarion | |
vermutete. Man fantasierte also über irgendwelche Super-Kants, die von | |
ihrem Schreibtisch aus auf die Marskanäle blicken, hinter denen sich der | |
höchste Berg des Mars, der Olympus Mons, erhebt. | |
Der Franzose Charles Cros (1842–1888) ist heute – wenn überhaupt – als | |
Autor von entzückend frustrierenden Gedichten und als einer der Verlierer | |
der Mediengeschichte bekannt. Er war ein Pionier der Farbfotografie und | |
Erfinder eines Phonographen, wobei er jedoch beide Erfindungen mehr oder | |
weniger gleichzeitig mit erfolgreicheren Projekten anderer anmeldete. Sein | |
Phonograph mit dem wunderbaren Namen Paléophone („alte Stimme“) glich in | |
vielerlei Hinsicht dem Zinnfolienphonographen, den Thomas Edison 1878 | |
patentieren ließ. Cros war ein Schriftsteller, der abseitige Themen mit | |
einem kryptisch-lakonischen Stil kombinierte. Neben seinen | |
kommunikationstechnischen Tüfteleien und der absichtlich gescheiterten | |
Verständigung mit seinen lesenden Mitmenschen fand er Zeit für eine | |
Petition an die französische Regierung mit der Forderung, | |
Kommunikationsversuche mit den Marsbewohnern zu finanzieren. | |
In seiner Schrift „Étude sur les moyens de communication avec les planètes�… | |
griff Cros auf das inzwischen allseits anerkannte Grundprinzip eines | |
riesigen Parabolspiegels zurück, der Lichtsignale in Richtung anderer | |
Planeten aussenden sollte. Aber er ging einen Schritt weiter und warf die | |
Frage auf, wie man Informationen übermitteln könnte, wenn die | |
Kommunikationswege erst einmal eröffnet seien. Zunächst dachte er an eine | |
Abfolge rhythmischer Lichtblitze, die kodierte Zahlen signalisieren, und | |
daran, mittels dieser Zahlen auch Bilder zu übermitteln. Er zog in | |
Betracht, dass eine Zahlenfolge binäre Bildpunkte – schwarze oder weiße – | |
in Linien auf einem strukturierten Gitter übertragen könnte und dass man | |
dafür eher ganze Zahlen verwenden sollte, als all die Signale einzeln zu | |
blinken – das heißt beispielsweise, dass statt „6-1 2-0 3-1 1-0“ | |
„XXXXXX00XXX0“ geblinkt würde. | |
Wer das heute liest, wird erkennen, dass Cros eine Version der Technik | |
entwickelt hat, die wir heute Lauflängenkodierung nennen: eine Methode zur | |
Kompression und Transmission von Bildern, wie wir sie von Faxgeräten, | |
frühen Rastergrafiken und den ersten Fernsehtechnologien kennen. Cros | |
brauchte für sein Vorhaben eine Kodierungsmethode, um Bilder – und | |
potenziell andere Kommunikationsträger – in Material für seine Apparatur zu | |
verwandeln. Als Vorbild dienten ihm dabei andere „analoge | |
Notationsverfahren, um Muster als Zahlenfolgen wiederzugeben“, etwa jene | |
von Web- und Stickereiapparaten. „Es ist ein ganzer Wissenschaftszweig, bei | |
dem die Praxis der Theorie vorausging, was gar nicht so selten ist.“ So war | |
etwa die numerisch kontrollierte Webmaschine von Joseph-Marie Jacquard | |
(1752–1834) eine ausschlaggebende Inspiration für den mechanischen Computer | |
von Charles Babbage. Und das Lochkartenverfahren von Herman Hollerith | |
(1860–1929) war die Ausgangsbasis für die Entwicklung des modernen | |
Computers – und für das Unternehmen IBM. | |
## Verwandlung der Erde in Grafikkarten | |
Für Cros war „das Studium von Rhythmen“, also von Mustern und | |
Kodifizierungsmethoden, „ein neuer und wichtiger Zweig der Mathematik“, der | |
sich neben dem „Studium der Zahlen“ etablieren würde. Was wir hier sehen, | |
ist mit anderen Worten ein Versuch, die Erde in Grafikkarten zu verwandeln | |
und Algorithmen zu erstellen, die alle Bilder und letztlich auch andere | |
Daten kodifizieren können, um sie zu übertragen und an anderer Stelle | |
sichtbar zu machen. | |
In der Entwicklung technischer Kommunikation ist vor allem das Problem der | |
Abstraktion, Kodifizierung und Kompression von Daten zu lösen, was sich im | |
Grunde ganz ähnlich in der Entwicklung rechnergestützter Medien stellt. | |
„Wir nennen das heute programmieren“, schrieb der englische Zoologe und | |
Medizinstatistiker Lancelot Hogben im Jahr 1952. | |
Hogben stellte sich das Universum viel einsamer vor als all die | |
Marsianerenthusiasten vor ihm. Er wusste, dass die Kommunikation mit | |
extraterrestrischen Lebewesen ein langsamer Prozess sein würde und dass er | |
wahrscheinlich über Radiowellen, die zu einem weit entfernten Stern | |
gesendet werden, und nicht mittels elektrischer Lampen oder sibirischer | |
Weizenfelder stattfinden würde. | |
Hogbens unbekümmerte, aber höchst elaborierte Idee einer | |
Kommunikationssprache trug den Namen Astraglossa, wobei es sich eigentlich | |
nicht um eine Sprache handelte, sondern um eine Analyse der Bedingungen für | |
die Kommunikation mit einem nichtmenschlichen unbekannten Gegenüber. | |
Nachdem er sich beruflich lange Zeit mit den hormonellen Signalen von | |
Krallenfröschen, farbwechselfähigen Reptilien und Lurchen beschäftigt | |
hatte, interessierte er sich nun für die kleinste Ordnung der | |
Signalübertragung: „eine Technik, auf Dinge hinzuweisen“, beruhend auf | |
Zeit, Zahl, Intervall, und Sternen. | |
Mithilfe einer rhythmischen Abfolge von Impulsen und Pausen wollte Hogben | |
Addition, Subtraktion und Identifikation mitteilen. Auch traute er seinem | |
System zu, Fragen anzudeuten. Sein Ehrgeiz beschränkte sich nicht darauf, | |
einen „Monolog einfacher Aussagen“ zu produzieren, vielmehr wollte er einem | |
tatsächlichen kommunikativen Austausch näher kommen. Dabei analysierte er | |
spielerisch und sorgfältig zugleich die Möglichkeit, gewisse Pronomen (wie | |
„euer“ und „unser“) einzuführen, aber auch Ausdrücke für Zustimmung … | |
Ablehnung, Zweifel und Vorbehalte, Ursachen und Folgen. Er entwickelte | |
sogar eine „überirdische“ Version von Schach. | |
Hogbens Ziel war eine „reziproke Kommunikation“ mit dem Unbekannten: etwa | |
auf dieselbe Weise, wie „unsere neolithischen Vorfahren“ mit uns durch die | |
Relikte von Zahlensymbolen und Kalendern aus eingekerbten Knochen und | |
Pfeilersteinen kommunizieren konnten oder wie wir „Anweisungen an die neuen | |
elektronischen Rechenmaschinen übermitteln“. | |
Hogbens Ansatz ist und bleibt der Rahmen für alle Bemühungen um möglichst | |
eindeutige Kommunikation mit Außerirdischen. Aber für welche Inhalte? Wie | |
steht es um die Substanz der Kommunikation mit nicht nur unbekannten, | |
sondern auch unkennbaren Gesprächspartnern? Fast immer wird man einen | |
Minimalbestand an Fakten übermitteln: ein Zahlensystem, einen Satz | |
stellarer Koordinaten, ein paar chemische Fakten, eine menschliche | |
Silhouette. | |
So hat auch der US-Astronom Frank Drake über das Radioteleskop von Arecibo | |
in Puerto Rico 1974 eine Botschaft ausgesandt, die aus einer Serie von 1679 | |
An- und Ausschaltimpulsen bestand. 1679 ist das Produkt der beiden | |
Primzahlen 23 und 73. Arrangiert man die Signale zu einem Raster aus 23 | |
Säulen und 73 Reihen, so entsteht daraus ein Bild. Wenn man das von oben | |
nach unten liest, ergeben sich binäre Zahlen, die bestimmte Informationen | |
enthalten: die Atomgewichte der wichtigsten chemischen Elemente und die | |
chemische Zusammensetzung der DNA, Angaben über die Weltbevölkerung und | |
über die physische Gestalt des Menschen, über unser Sonnensystem und | |
schließlich über die Antenne selbst. Die meisten solcher Botschaften sind | |
ähnlich aufgebaut: Ihr Informationsgehalt ist notgedrungen gering, und sie | |
konzentrieren sich vor allem auf die Struktur der Entzifferungsmethoden. | |
Aber selbst beim Aussenden minimaler Signale zu weit entfernten und stummen | |
Sternen gilt aller Ehrgeiz dem Ziel, die Kapazitäten dieser Kommunikation | |
zu erweitern. Ein wahrhaft exzentrisches intellektuelles Projekt des 20. | |
Jahrhunderts ist die Entwicklung einer „Lingua Cosmica“, abgekürzt Lincos. | |
Mit ihr wollte der niederländische Mathematiker Hans Freudenthal „die | |
Gesamtmenge unseres Wissens“ in eine Form bringen, in der sie jedem | |
intelligenten Lebewesen vermittelbar ist. Sein Entwurf einer „kosmischen | |
Sprache“, von dem nur der erste Band erschienen ist, verdient einen | |
Ehrenplatz in der Sammlung visionärer und bizarrer Dokumente. Der | |
US-Amerikaner Marvin Minsky, der große Erforscher der künstlichen | |
Intelligenz (und Berater von Stanley Kubrick bei der Produktion des Filmes | |
„2001: Odyssee im Weltraum“) schrieb über Freudenthal und sein | |
Lincos-Projekt: „Er beginnt mit elementarer Mathematik und zeigt auf, wie | |
viele andere Vorstellungen, einschließlich sozialer Ideen, auf diesem | |
Fundament errichtet werden könnten.“ | |
Es handelt sich um eine „Sprache“, die mit piepsenden Radioimpulsen zur | |
Übermittlung natürlicher Zahlen anfängt und mit der relativistischen | |
Mechanik von Albert Einstein endet. Hinzu kommt die Darstellung der | |
Mengenlehre, Aussagen wie: „Zukünftige Ereignisse sind nicht vorhersehbar“, | |
eine „kurze Geschichte des Großen Fermat’schen Satzes“, „Beispiele für | |
höfliche Rede“, eine Beschreibung von Wetten und Glücksspielen und vieles | |
mehr. All diese Darstellungen sind in einer immer komplexer werdenden | |
Zeichensprache abgefasst, die ihre mögliche Übermittlung durch Radioimpulse | |
abbildet. | |
Jenseits der Basiselemente, die in irgendeiner Form bei jedem | |
Übertragungskonzept auftauchen (Zahlen, räumliche Koordinaten, zeitliche | |
Abfolgen, mathematische Grundrechenarten), hatte Freudenthal – wie schon | |
Hogben – ein weitaus ehrgeizigeres Ziel. Er ersann eine Reihe menschlicher | |
Akteure, mit denen er eine ganze Serie logisch-minimalistischer | |
Dialogszenen gestaltete. Mithilfe der zwei Personen namens Ha und Hb | |
erzählt Freudenthal – durchweg in seiner eigenen Zeichensprache – | |
Geschichten über die Natur der Welt und speziell über die Grunderfahrungen | |
des Menschen. | |
## Ha und Hb simulieren das Leben der Menschen | |
Zum Beispiel: Ha wirft einen Ball weiter, als er für Hb zu fangen ist. | |
Oder: Hb weiß etwas, aber sagt es nicht, was heißt, dass Ha es nicht weiß; | |
Ha kann zu raten versuchen, was das ist, was Hb weiß. Oder: Ha und Hb | |
wissen, was in der Vergangenheit geschehen ist, aber nicht, was in Zukunft | |
geschehen wird, und sie wetten über die Frage, was passieren wird. Oder: Ha | |
hat etwas nicht gesehen und fragt Hb danach. | |
Die beiden Figuren leben gemeinsam in einer Welt, in der es noch viele | |
andere Dinge gibt, mit denen sie aber nicht auf dieselbe Weise | |
kommunizieren können, obwohl diese Dinge ebenfalls in der Lage sind, zu | |
sehen, zu hören, sich zu bewegen, die Vergangenheit zu kennen und einen | |
Ball zu fangen. Und Ha und Hb können sterben wie all die anderen Dinge, mit | |
denen sie ihre Welt teilen. Ha und Hb können wünschen, dass die Welt anders | |
aussieht, als sie ist. Und wenn einer von ihnen stirbt, können sie nicht | |
mehr miteinander reden. | |
Es würdigt die Freudenthal’sche Errungenschaft – das menschliche Leben im | |
Universum in totalisierter Form durch ein Grundmuster elektromagnetischer | |
Signale auszudrücken – keinesfalls herab, infrage zu stellen, ob sie für | |
den ursprünglichen Zweck geeignet sind. Schließlich ist das nächste | |
mögliche Leben räumlich so weit entfernt, dass jedes Mal Jahre oder | |
Jahrzehnte vergehen würden, bis ein Gegensignal zeigen könnte, ob die | |
Botschaft empfangen und verstanden wurde. | |
Freudenthal entwickelt einige Dialogszenen in Hunderten von | |
Einzelschritten, von denen viele einer Bestätigung bedürfen. Allein dieses | |
Hin und Her würde das Ganze zu einem Jahrtausendprojekt machen. Was | |
Freudenthal geschafft hat, nämlich die Eigenschaften und Verhaltensweisen | |
von Menschen darzustellen, entspricht viel eher den Erfordernissen einer | |
Kommunikation nicht mit Außerirdischen, sondern mit Maschinen. Seine | |
erstaunlichen Lehrstücke taugen also weniger dazu, an das Lichtjahre | |
entfernte Sternsystem Alpha Centauri gesendet zu werden, als vielmehr dazu, | |
die Befindlichkeiten des Menschen einem Empfänger zu vermitteln, der | |
lediglich über ein Gedächtnis und den Input einer sehr begrenzten Menge an | |
elektromagnetischen Symbolen verfügt. | |
Kein Wunder, dass Marvin Minsky, der das erste künstliche neuronale Netz | |
konstruiert hat, auf Freudenthal und seine Forschungen abgefahren ist. | |
Dessen Ideen zielten auf die Sterne, um am Ende im Labor für Künstliche | |
Intelligenz am Massachusetts Institute of Technology in Boston zu landen, | |
wo Minsky Grundlagenforschung betrieb. | |
Und doch haben wir es tatsächlich geschafft, eine Verbindung mit einem | |
fremden Planeten aufzubauen. Aber diesen Planeten haben wir selbst | |
erschaffen, und wir tun alles, um ihn zu erhalten. Wir lehren seine | |
Bewohner, ihre Welt räumlich zu erfassen, Geheimnisse zu bewahren, | |
Gesichter zu erkennen, Stimmen zu hören, zu komprimieren und zu filtern, | |
Konversation zu führen und eine breite Skala elektromagnetischer Strahlen | |
zu interpretieren, die weit über simple Radiowellen und das Lichtspektrum | |
hinausreicht. Und das alles mithilfe binärer Impulse und logischer | |
Verfahren sowie Ver- und Entschlüsselungstechniken. | |
Der kommerzielle und der private Austausch von Informationen vollzieht sich | |
in unserer eigenen Welt, auf dieser Erde, über ein dichtes Netz von | |
Marskanälen, die wir im Lauf der letzten 60 Jahre gegraben haben. Dieses | |
Netz besteht aus Unterseekabeln, Serverfarmen und Mobilfunkmasten, aus | |
Computern in Hosentaschen, auf Tischen, in Schuhen und in Körpern. Das | |
normalste Lebewesen auf unserer Insel ist mittlerweile der nichtmenschliche | |
Gesprächspartner mit fremder Adresse: Wir reagieren auf automatisierte | |
Warnsignale, sprechen mit einem Kundenservice, der mit automatischer | |
Spracherkennung arbeitet, wir lösen Captchas, um uns bei Facebook | |
einzuloggen, um dort unsere algorithmisch sortierte Timeline zu sehen. Und | |
rund um diese von uns geschaffene Insel liegt das Wogen und Schweigen des | |
endlosen Ozeans. | |
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke | |
13 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Finn Brunton | |
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