| # taz.de -- Suche nach außerirdischen Signalen: Ein fast religiöses Motiv | |
| > Astrophysiker und Alienjäger Seth Shostak vom Seti-Institut in | |
| > Kalifornien sucht im All nach Aliens. Er glaubt, dass es sie gibt. | |
| Bild: Würde gerne mal ein Alien treffen: der US-Astrophysiker Seth Shostak. | |
| Heute ist ein guter Tag, was die Suche nach Außerirdischen angeht. Seth | |
| Shostak ist nicht schlecht erstaunt. Was dem ranghöchsten Alienjäger der | |
| Menschheit selten passiert. „Die Nasa will die Region des Wow-Signal | |
| untersuchen? Das ist ’ne Story!“, sagt er. Er steht vor der Kaffeeküche und | |
| hebt anerkennend prostend seine Kaffeetasse in Richtung Chris, ranghöchster | |
| Techniker unter den Alienjägern. Chris bastelt an Antennen rum. Er hat | |
| einen kugelrunden Bauch, graue Haare und strahlt die Gelassenheit eines | |
| Mannes aus, der sein Leben lang voller Vergnügen erfolglos etwas sucht: | |
| Außerirdische. | |
| Genau wie Shostak. Er ist Astrophysiker, 71 Jahre alt, ein kleiner Mann mit | |
| grauen Haaren, Hemd unterm Pullunder und bisweilen ziemlich viel | |
| Begeisterung in den Augen. Er radelt jeden Tag durch das sonnige Mountain | |
| View in Kalifornien. Silicon Valley, am Südende der San Fransico Bay | |
| gelegen. Er radelt in sein Institut, das jeder Aliens-Fan kennt: das | |
| Seti-Institut. Die Hauptquartiere von Apple und Facebook sind gleich um die | |
| Ecke. | |
| Seti steht für Search for Extraterrestrial Intelligence, eigentlich ein | |
| Sammelbegriff für diverse, allesamt erfolglose und bereits eingestellte | |
| wissenschaftliche Projekte, die sich einer absonderlichen Aufgabe widmeten: | |
| der wissenschaftlichen Suche nach außerirdischer Intelligenz, so die | |
| Übersetzung. In Kalifornien hatte ein gewisser Frank Drake 1960 die Idee, | |
| das Universum nach zufällig oder absichtlich gesendeten Signalen einer | |
| außerirdischen Zivilisation abzuhören. Drake hat heute noch einen | |
| Schreibtisch im Seti-Institut. | |
| Über fünfzig Jahre lauschen sie nun schon, wenn auch mit Unterbrechungen. | |
| Seit 2007 hat das Seti-Institut ein eigenes Teleskop, das Allen Telescope | |
| Array, 470 Kilometer von San Francisco entfernt. Bald wird es 350 | |
| Parabolschüsseln mitten in der Wüste umfassen. Das Ganze ist dann das Ohr | |
| der Menschheit. Benannt ist es nach Microsoft-Gründer Paul Allen, dessen | |
| Spenden den Bau erst möglich machten. | |
| Ein Erfolg bei der Suche könnte den Wissenschaftler Seth Shostak | |
| weltberühmt machen, mindestens in der Liga von Neil Armstrong. Er wäre | |
| derjenige, der vor die Presse tritt und in etwa sagen würde: „Wir haben ein | |
| Signal von Außerirdischen empfangen. Es ist von mehreren unabhängigen | |
| Forschergruppen bestätigt worden.“ Darauf angesprochen, wie das so wäre, | |
| runzelt Shostak die Stirn, als ob der Gedanke sehr abwegig sei: „Das hätte | |
| schon einige Vorteile“, sagt er. | |
| ## Schwierige Finanzierung | |
| Zumindest hätte das Institut endlich genug Geld. Shostaks Alienjäger-Dasein | |
| besteht nämlich aus der ständigen Sorge, dass die Spenden nicht ausreichen | |
| könnten. Kein Staat der Welt will Geld in die Suche nach Aliens stecken. | |
| Also beantwortet Shostak geduldig die Mails von Seti-Fans und Spendern. | |
| Leuten, die meinen, von Außerirdischen entführt worden zu sein, empfiehlt | |
| er einen Psychiater. Zudem muss er Forschungsaufträge akquirieren. Nur fünf | |
| der fünfzig Mitarbeiter des Instituts beschäftigen sich tatsächlich mit der | |
| Suche, der Rest betreibt normale astrophysikalische Forschung. | |
| Shostak schlendert von der Kaffeeküche zurück, setzt sich an seinen | |
| Schreibtisch und erwartet die Frage, die ihm alle stellen: Warum zum Geier | |
| finden Sie nichts da draußen? Kann es sein, dass da schlicht nichts ist? | |
| „Wenn das Universum die Weltmeere wäre, hätten wir bisher vielleicht so | |
| eine Kaffeetasse voll Wasser nach Außerirdischen abgesucht“, sagt er und | |
| nimmt einen Schluck. Außerdem sind die irdischen Radioteleskope schwach. | |
| Die Aliens müssten in unmittelbarer kosmischer Nachbarschaft zum | |
| Sonnensystem der Erde leben und sie müssten ein direktes, gebündeltes | |
| Signal zur Erde schicken. Alles andere würde im Rauschen des Alls | |
| untergehen. | |
| Doch selbst solche zielgerichteten Signale aufzufangen sei extrem schwer, | |
| sagt Shostak. „Und woher sollten die wissen, dass es uns Menschen gibt?“ | |
| Bisher sind nur ein paar Signale von der Erde zum Zwecke der interstellaren | |
| Kommunikation ins All geschickt worden. Eines in Richtung Schütze, Richtung | |
| Wow. | |
| Dann zählt Shostak Sterne auf: Vielleicht zweitausend davon haben sie | |
| abgehört. In unserer Galaxie, der Milchstraße, gibt es hundert Milliarden | |
| davon. Und es gibt hundert Milliarden Galaxien im All. Kepler, jenes | |
| Teleskop, das für die Nasa nach Planeten außerhalb unseres Sonnensystems | |
| sucht, es findet Planeten um fast jeden Stern. Das Universum muss also voll | |
| sein von Orten, an denen es potenziell lebt. | |
| ## Alienforschung als Religion | |
| „Wenn ich Vorträge halte, dann frage ich regelmäßig die versammelten | |
| Wissenschaftler, wer glaubt, dass es intelligentes Leben im All gibt. | |
| Neunzig Prozent der Hände gehen nach oben“, sagt Shostak. Die Wissenschaft | |
| glaubt an etwas, das größer ist als sie selbst, irgendwo da oben. Ein fast | |
| religiöses Motiv. „Das stimmt“, sagt Shostak. „In diesem Sinne hat die | |
| Suche nach Außerirdischen etwas Religiöses. Auch wenn wir keine Kirche hier | |
| haben.“ | |
| Er lässt das Argument nicht gelten, dass die Wissenschaft noch nicht mal | |
| weiß, wie genau Leben auf der Erde entstanden ist. Wie soll man dann | |
| abschätzen, wie oft es im All vorkommt? „Das Experiment des Universums geht | |
| wie folgt: Man nehme eine paar hundert Millionen Erden, lasse sie für ein, | |
| zwei Milliarden Jahre vor sich hinköcheln, und dann schauen wir, wo überall | |
| Affen oder Ähnliches entstanden sind“, sagt Shostak. Für ihn wäre es ein | |
| Wunder, wenn die Erde einzigartig wäre. | |
| Und wie würden sie aussehen? So wie die Alien-Knubbelfiguren in den | |
| Bücherregalen von Shostaks Büros? Grau mit Insektenaugen, grün und pelzig, | |
| orangefarben, roboterähnlich? „Ich bekomme ständig solche Figuren | |
| geschenkt“, entschuldigt sich Shostak, der auch immer wieder | |
| Hollywood-Science-Fiction-Drehbücher zugeschickt bekommt, um ihnen ein | |
| klein wenig Plausibilität einzuhauchen. Momentan steht das Script der | |
| Neuverfilmung von „Species“ in seinem Regal. | |
| Aber so wie in den Filmen stellt er sich die Aliens nicht vor. | |
| Wahrscheinlich werden es künstliche Lebensformen sein, sagt er. „Menschen | |
| sind dabei, künstliche Intelligenz zu erfinden. Selbst wenn wir noch | |
| hundert Jahre brauchen würden, bedeutet das, dass eine Zivilisation | |
| zweihundert Jahre nach der Erfindung des Radios denkende Maschinen | |
| entwickelt.“ | |
| ## Über das „Wow“-Signal | |
| Vielleicht muss man so denken, wenn man im Silicon Valley forscht? „Hat | |
| damit nichts zu tun“, versichert Shostak und spricht von seiner | |
| Schlussfolgerung: „Wenn Sie ein Signal einer anderen Zivilisation | |
| auffangen, ist sie technisch viel weiter als wir und wahrscheinlich eine | |
| Art von künstlicher Intelligenz.“ | |
| Der Satz hängt in der kalifornischen Luft – wäre das nicht irgendwie | |
| traurig? Die Menschheit sucht seit Jahrtausenden da oben nach Antworten. | |
| Und am Ende: Sprechen wir mit einem Computer? „Oder einem Hybridwesen. | |
| Glauben Sie, wir Menschen werden ewig so bleiben wie jetzt?“ | |
| So allmählich will sich Shostak den Koordinaten des Wow-Signals zuwenden. | |
| Das heißt so, weil 1977 ein Techniker ein Signal auf einem Ausdruck | |
| eingekreist und „Wow!“ daneben geschrieben hat. Das Signal war | |
| wahrscheinlich künstlich, und es hatte genau die Form, die es haben muss, | |
| um aus den Tiefen des Alls stammen zu können. Aber weil es nie | |
| wiederaufgetaucht ist, sind Fehler nicht auszuschließen. Ein | |
| wissenschaftlicher Beweis für die Existenz einer außerirdischen | |
| Zivilisation sei das Wow-Signal deshalb eindeutig nicht, sagt Shostak. Doch | |
| in seinem Satz schwingt noch etwas Unausgesprochenes mit: Aber daran | |
| glauben kann man ja. | |
| 9 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
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