# taz.de -- Deutschlandtag der Jungen Union: Versuch der Sachlichkeit | |
> Johannes Winkel, der neue Chef der JU, will diese zum Vordenker der Union | |
> bei Klima und Demografie machen. Merz fordert Einlenken beim Bürgergeld. | |
Bild: In welchem Verhältnis zu Merz (l.) die JU unter dem ihrem neuen Chef Joh… | |
FULDA taz | Bevor Friedrich Merz am Samstagmorgen mit seiner Rede beginnt, | |
dankt ihm der neue Vorsitzende der Jungen Union. Dass der CDU-Chef sich | |
[1][so standhaft gegen die Bürgergeldpläne] der Ampel stelle, sei richtig – | |
und eine „Überzeugungstat“. Und dass die Union endlich wieder mehr | |
„Überzeugungstäter“ werde, habe die JU ja bereits vor einem Jahr geforder… | |
nach der verlorenen Bundestagswahl. Applaus in der Esperantohalle in Fulda, | |
[2][wo sich an diesem Wochenende die JU zu ihrem jährlichen Deutschlandtag | |
trifft]. | |
Am Freitagabend hatten die Delegierten Johannes Winkel, 31, | |
Wirtschaftsjurist aus Nordrhein-Westfalen, zu ihrem neuen Vorsitzenden | |
gewählt. Mit knapp 87 Prozent der Stimmen, einen Gegenkandidaten gab es | |
nicht. Winkel hatte sich in seiner Rede ruhig und sachlich präsentiert – | |
und damit ganz anders als sein Vorgänger Tilman Kuban. Das mag daran | |
liegen, dass Winkel ein ganz anderer Typ als Kuban ist. | |
Man kann es aber auch als bewusste Abgrenzung verstehen. Kuban ist | |
besonders für seinen polternden Stil bekannt, mit dem hat er auch vor vier | |
Jahren die Kampfabstimmung um den JU-Vorsitz für sich entschieden. Winkel | |
dagegen hat sich vor seiner Wahl mit öffentlichen Äußerungen | |
zurückgehalten, hat vor allem intern für sich geworben. Vier Wochen lang | |
ist er dazu kreuz und quer durch Deutschland gereist. | |
Die JU, sagt Winkel in seiner Bewerbungsrede, solle unter seiner Führung | |
zum Vordenker bei den Themen werden, die für die Jugend wichtig seien – | |
Klima etwa und der demografische Wandel. Er spricht sich dabei vor allem | |
für die weitere Nutzung von Atomkraft aus. Die JU fordert am Samstag dann | |
auch mit großer Mehrheit, dass nicht nur die drei laufenden AKWs weiter in | |
Betrieb bleiben, sondern zudem drei schon abgeschaltete wieder ans Netz | |
gehen sollen. | |
Als Winkel spricht, ist es bereits nach neun am Freitagabend, die ersten | |
Biere sind längst ausgetrunken, immer wieder steigt der Lärmpegel in der | |
Halle an. Als Winkel vor der Deindustrialisierung Deutschlands warnt, kommt | |
zum ersten mal Jubel auf. „Lasst uns mit aller Kraft für den Erhalt der | |
Industrie, Produktion und Innovation in Deutschland kämpfen.“ Die Union | |
solle die erste Partei sein, die Deutschland zu einem klimaneutralen | |
Industrieland mache. Winkel fordert „mehr Migration in den Arbeitsmarkt“ | |
und „ein echtes Familiensplitting“, was für einen JU-Chef keine | |
Selbstverständlichkeit ist. | |
## Winkel mit versteckter Merkel-Kritik, Kuban mit Tränen | |
Wie er es mit der von der JU lange bekämpften Ex-Kanzlerin hält, wird indes | |
nicht so ganz klar. Einerseits weißt er Kritik aus der Ampel an ihrer | |
Regierungszeit zurück, anderseits aber sagt er auch: „Man legt die | |
Energieversorgung nicht in die Hände eines Mannes, der sein Leben dem | |
sowjetischen Geheimdienst gewidmet hat. Man überantwortet Kontrolle über | |
Grenzen und Migration nicht an einen Mann, der die Türkei von einer | |
Demokratie in eine Diktatur verwandelt hat“. Was nur als Kritik an Angela | |
Merkel verstanden werden kann. | |
Winkel rockt den Saal nicht, am Ende aber gibt es stehenden Applaus und | |
Glitter-Konfetti für den neuen Vorsitzenden. „Lasst uns gemeinsam Vollgas | |
geben“, sagt er dann. Deutlich emotionaler war es zuvor [3][bei der | |
Verabschiedung seines Vorgängers Kuban] zugegangen, der inzwischen 35 Jahre | |
alt ist und deshalb nicht erneut kandidieren konnte. Kuban, der seit einem | |
Jahr Bundestagsabgeordneter ist, war mit langanhaltenden Standing Ovations | |
verabschiedet worden – und musste immer wieder mit den Tränen kämpfen. | |
Als Merz dann am Samstagmorgen auf der Bühne steht, lobt er den alten und | |
beglückwünscht den neuen JU-Vorsitzenden, und natürlich kritisiert er | |
Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor allem aber nutzt er die Chance, beim | |
Bürgergeld noch einmal deutliche Zugeständnisse von der Ampel zu fordern. | |
„Wir erwarten von dieser Regierung, dass sie auch einen Schritt, und zwar | |
einen großen Schritt auf uns zugeht, wenn wir eine gemeinsame Lösung für | |
dieses sogenannte Bürgergeld finden wollen. | |
Arbeitslose müssten möglichst schnell wieder in den Arbeitsmarkt integriert | |
werden, in Deutschland würden alle verfügbaren Arbeitskräfte gebraucht. | |
„Das kann auch, das muss auch mit Sanktionen begleitet werden“, sagt Merz, | |
Karenzzeiten dagegen solle es nicht geben. [4][Der Begriff Bürgergeld] | |
könne so verstanden werden, dass es allen Menschen in Deutschland | |
eigentlich zustehe. Die Botschaft aber müsse lauten: „Nicht alle rein, | |
sondern so schnell wie möglich wieder raus, damit aus denen, die | |
Sozialleistungen bekommen, schnell wieder Beschäftigte werden.“ Da ist ihm | |
der Applaus des Parteinachwuchses in der Esperantohalle sicher. | |
19 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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