# taz.de -- Zukunft der Jungen Union: Jenseits weißer Sneaker | |
> Am Wochenende wählt die Junge Union einen neuen Chef: Johannes Winkel aus | |
> NRW. Kein leichter Job. Der CDU/CSU-Nachwuchs steckt in der Krise. | |
Bild: Sehr weiß: Das gilt sowohl für die JU als auch die Sneaker seiner Mitgl… | |
Die Diskussion mit den beiden Generalsekretären läuft bereits eine gute | |
halbe Stunde, als Johannes Winkel das Wort ergreift. „Wenn wir noch nicht | |
mal jetzt anfangen, Klartext zu reden, dann haben wir echt verloren“, sagt | |
er. „Ihr beiden habt es zu verantworten, dass in einem Bundestagswahlkampf | |
die Jusos und Olaf Scholz geschlossener waren als CDU und CSU“, schimpft | |
Winkel weiter. „Das ist eine absolute Frechheit.“ In der Münsterlandhalle | |
brandet Applaus auf. | |
Es ist Mitte Oktober im vergangenen Jahr, die Union hat gerade die | |
Bundestagswahl verloren, als die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU in | |
Münster [1][zu ihrem alljährlichen Deutschlandtag zusammenkommt]. Während | |
Paul Ziemiak, damals noch Generalsekretär der CDU, immerhin Verantwortung | |
übernimmt, lässt sein CSU-Kollege, Markus Blume, jede Kritik an sich | |
abtropfen. Die Delegierten im Saal werden ungehalten. Winkel, Landeschef | |
der JU in Nordrhein-Westfalen, nimmt die Stimmung auf. | |
Winkel war manchen schon mit seinem Grußwort aufgefallen. Kurz und klar gab | |
er darin sowohl dem gescheiterten Spitzenkandidaten Armin Laschet als auch | |
dessen Widersacher [2][Markus Söder] einen mit und forderte, innerhalb der | |
Union mit dem Lagerdenken aufzuhören. | |
## 30, Jurist, ohne Gegner | |
In der Münsterlandhalle könnte Winkels Aufstieg ganz nach oben begonnen | |
haben. Am kommenden Wochenende jedenfalls trifft sich der Deutschlandtag | |
wieder, dieses mal in Fulda. Winkel, 30, Jurist, wird dort zum neuen | |
Bundesvorsitzenden der JU und zum Nachfolger von [3][Tilman Kuban] gewählt | |
werden. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht. | |
Kuban ist mit 35 Jahren zu alt, um noch einmal anzutreten. Er hatte 2019 | |
mit einer Bierzeltrede eine Kampfkandidatur um den Vorsitz für sich | |
entschieden. Kuban hatte nach wenigen Minuten zu brüllen begonnen und damit | |
nicht mehr aufgehört bis zum Ende seiner Rede, die vor Polemik und | |
Feindbildern strotzte. Das Image vom polternden, konservativ-altbackenen | |
JU-Chef, der weiße Sneaker mit schwarz-rot-goldenen Streifen an | |
Parteigranden verteilt, weil er das für modernen Konservatismus hält, ist | |
Kuban seit dem nicht mehr losgeworden. | |
Winkel, ein schlanker Kerl mit dunklem Kurzhaarschnitt und Drei-Tage-Bart, | |
der im Hoodie nicht verkleidet wirkt, ist schon optisch ein anderer Typ. | |
Vor seiner Wahl will er kein Interviews geben. Doch viele erwarten von ihm | |
einen ruhigeren und sachlicheren Stil an der Spitze der Jungen Union. Und | |
weil nicht nur der Vorsitzende, sondern auch viele Mitglieder des | |
Bundesvorstands neu gewählt werden, könnte es tatsächlich einen Neustart | |
geben. | |
Der Nordrhein-Westfale, der gerade vier Wochen auf Deutschlandtour war, um | |
für sich zu werben, übernimmt die JU in einer schwierigen Zeit. Die | |
Nachwuchstruppe, die sich gern als größten politischen Jugendverband | |
bezeichnet, schrumpft. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr haben nur | |
zehn Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die Union gestimmt, ein Debakel. | |
Grüne, FDP und sogar die SPD waren deutlich beliebter. In der CDU-Zentrale | |
hieß es bei einer Wahlanalyse, was aus der Jungen Union zu sehen und zu | |
hören war, habe „eher abschreckend“ gewirkt. Und in der Parteispitze ist | |
die Überlegung zu vernehmen, ob die JU nicht vielleicht sogar eher ein | |
Hindernis dabei sei, bei jungen Leuten zu punkten. Die Vermittlung in die | |
Jugend, die die CDU so dringend braucht, schaffe die JU jedenfalls nicht. | |
Zitieren lassen aber will sich so niemand. | |
„In der Vergangenheit hat sich die JU vielleicht manchmal zu sehr für | |
gesellschaftspolitische Themen verkämpft, die letztlich nur intern von | |
Interesse sind“, hatte jüngst die stellvertretende Parteivorsitzende Karin | |
Prien dem Spiegel gesagt. Das gelte zum Beispiel für den Widerstand gegen | |
die Frauenquote. Auf Anfrage der taz heißt es nun aber auch, sie wolle sich | |
derzeit zum Thema nicht äußern. | |
## „Konservativer“ als die Union | |
Priens Aussagen haben in der JU für Verärgerung gesorgt. „Es kann nicht | |
wahr sein, dass die stellvertretende Parteivorsitzende der | |
Jugendorganisation in den Rücken fällt“, sagt etwa Lilli Fischer, | |
Vorsitzende der JU in Erfurt. Fischer wünscht sich mehr Kampagnenfähigkeit | |
und dass die JU Themen wie Bildung und Rente, die für die Jugend wichtig | |
seien, offensiver besetzt. Doch sie sagt auch: Wenn die JU „konservativer | |
und klarer“ wahrgenommen werde als die Mutterpartei, dann habe sie doch | |
vieles richtig gemacht. | |
Allerdings war es nicht immer so, dass der Parteinachwuchs besonders | |
konservativ war. Unter Vorsitzenden wie Hermann Gröhe etwa, der wenig | |
später zur legendären schwarz-grünen Pizza-Connection gehörte, galt die JU | |
zu Beginn der 90er Jahre im Vergleich zur CDU noch als liberal. | |
Einer aus der Parteispitze, der die Junge Union verteidigt, ist Jens Spahn. | |
Der ehemalige Gesundheitsminister und heutige Fraktionsvize war als | |
konservativer Gegenspieler der ehemaligen Kanzlerin lange ein Liebling der | |
JU, doch als es beim Parteivorsitz zum Schwur kam, schlug sich die Mehrheit | |
auf die Seite von Friedrich Merz. Er verstehe die Kritik von manchen aus | |
der CDU-Spitze am Parteinachwuchs nicht, sagt Spahn. „Die meisten würden | |
ihre Wahlkämpfe vor Ort ohne JU gar nicht hinkriegen.“ Auch könne der | |
Anspruch der Partei nicht sein, dass die Jungen allein die Probleme lösen, | |
die die CDU als ganzes habe. Das Image der JU werde zwar von manchen | |
mitunter „eher mit den 90er Jahren“ verbunden, in der Realität aber sei sie | |
die modernste Jugendorganisation. | |
## Die Sache mit Rezo | |
Ähnlich sieht das Ronja Kemmer, die mit 34 gerade noch im JU-Alter ist. | |
„Die CDU hat das Abschneiden bei den Erstwählern zu verantworten und nicht | |
die JU, die Motor vor Ort in den Wahlkämpfen ist“, sagt die | |
Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg. Ihre Partei habe mit manchen | |
Debatten bei den jungen Leuten viel Vertrauen verspielt. Kemmer erinnert an | |
den Uploadfilter, den die CDU 2019 trotz Protesten unterstützt, und an das | |
PDF, mit dem die Partei nach langem Hin und Her auf Rezos Youtube-Video | |
„Die Zerstörung der CDU“ reagiert hatte. „Da ist es natürlich ein Thema, | |
wie ansprechend wir für junge Leute sind.“ | |
Hört man sich in der JU um, werden der Uploadfilter und die verkrampfte | |
Reaktion auf Rezo immer wieder genannt. Auch habe die CDU sich gegen die | |
Klimaproteste von Fridays for Future gesperrt, die Nöte der jungen Leute | |
während der Pandemie nicht im Blick gehabt und sich zuletzt auch noch, | |
gegen den Willen der JU, für ein soziales Pflichtjahr ausgesprochen. Viele | |
betonen zudem, dass sich die JU unter Kuban durchaus modernisiert habe. Neu | |
sind digitale Formate wie „Der Pitch!“ zur Wahl des CDU-Vorsitzenden, die | |
Ansage, bei Deutschlandtagen auf der Bühne doch lieber auf ein Jackett zu | |
verzichten – und auch eine gewisse Frauenförderung. | |
Von der hat auch Ronja Kemmer profitiert. Sie sitzt als Vertreterin der JU | |
im CDU-Präsidium, dem höchsten Führungsgremium der Partei. Insgesamt sechs | |
JUler*innen gehören inzwischen dem größeren Bundesvorstand der CDU an, | |
vier von ihnen sind Frauen, so viele waren es noch nie. Das Problem: Sie | |
werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Das Bild wird weiter von | |
Männern wie Tilman Kuban oder dem Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor | |
geprägt. Der wirkt so, als sei er schon mit Seitenscheitel und Einstecktuch | |
auf die Welt gekommen. Moderner Konservatismus jedenfalls fällt als | |
Assoziation eher aus. | |
„Frauen bereichern das Leben, glauben Sie mir. Nicht nur privat, sondern | |
auch politisch“, so hatte auf dem Deutschlandtag 2018 die ehemalige | |
Kanzlerin Angela Merkel den Parteinachwuchs kritisiert. In der Wahlanalyse | |
der JU zur Bundestagswahl hat sie dieses Manko selbst ausgemacht. „Wir | |
brauchen mehr junge und insbesondere mehr weibliche Köpfe, die mit unserer | |
Generation auf Augenhöhe kommunizieren und mit Themen verbunden werden“, | |
heißt es darin. | |
Etwa 30 Prozent der JU-Mitglieder sind inzwischen Frauen, im Bundesvorstand | |
der Nachwuchsorganisation sind es sogar immerhin gut 40. Eine Frau an ihrer | |
Spitze hatte die JU allerdings erst ein Mal. Das war Hildegard Müller und | |
ist 20 Jahre her, danach kam keine mehr. Und derzeit stehen in nur drei | |
Landesverbänden der JU Frauen an der Spitze. | |
Eine von ihnen ist Wiebke Winter aus Bremen, die durch ihr Engagement für | |
die KlimaUnion wahrscheinlich die bekannteste JU-Frau ist. Im kommenden | |
Jahr will sie für die CDU in die Bremer Bürgerschaft einziehen. Auch sie | |
hält die Kritik für unberechtigt: „Ich nehme die JU anders wahr und Tilman | |
Kuban auch. Wir sind viel weiter als oft behauptet wird.“ Winter liegt die | |
Förderung von Frauen am Herzen, da ist ihr die JU noch nicht weit genug – | |
auch wenn sie in den vergangenen Jahren schon „wesentliche Schritte“ | |
unternommen habe. | |
Die Juristin leitet seit fast vier Jahren den AK Frauen in der JU, einmal | |
im Jahr organisiert sie den „Superwomanday“ mit, um politisch unerfahrenere | |
Frauen zu unterstützen. Von der Quote aber hält sie nichts. „Ich bin froh, | |
dass ich keine Quotenfrau bin und ich möchte auch keine sein“, so hatte sie | |
auf dem CDU-Parteitag gegen die Einführung argumentiert, für die die | |
Mehrheit der Delegierten dann doch votierten. | |
Weil gegen die Quote nur junge Frauen sprachen, wirkten sie, wie von der | |
JU-Spitze vorgeschickt. Der Vorwurf ärgert Winter, die nicht als eine | |
dastehen will, die sich vorschicken lässt. Doch schon dass die Erzählung so | |
eingängig ist, zeigt das Imageproblem der JU. Nicht nur daran wird Johannes | |
Winkel als neuer Bundesvorsitzender arbeiten müssen. Leicht wird das nicht. | |
18 Nov 2022 | |
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