# taz.de -- Deutsch-russische Beziehungen: Ein Abschied folgt dem nächsten | |
> Moskau begrenzt die Zahl deutscher Staatsbediensteter in Russland. Dass | |
> die Spannungen wachsen, spürt auch die kleine Tochter unserer Autorin. | |
Bild: Auch mehr als zwanzig deutsche Diplomaten müssen Russland verlassen | |
MOSKAU taz | Seit Monaten schreibt unsere siebenjährige Tochter | |
Abschiedsbriefe. Die Wörter „traurig“ und „vermissen“ beherrscht sie | |
mittlerweile perfekt. Seit Russland seinen Krieg in der Ukraine begonnen | |
hat, schrumpfen auch die diplomatischen Kanäle zwischen Deutschland und | |
Russland. Es gibt gegenseitige Ausweisungen, geforderte Reduzierung des | |
Personals und jetzt auch Schließungen von diplomatischen Vertretungen, hier | |
wie dort. Berlin fürchtet um die Sicherheit Deutschlands und Europas und | |
will die russischen Geheimdienstler unter den Diplomaten loswerden. Moskau | |
reagiert pikiert und greift zu Maßnahmen, die über die sogenannte | |
Spiegelbildlichkeit hinausgehen. Diese treffen die Bediensteten in ganz | |
Russland, Deutsche wie Russen. Sie treffen auch uns und unseren Alltag. | |
„Es ist traurig, dass du gehen musst. Ich werde dich soooooo vermissen.“ | |
Die Anzahl der o variiert unsere Erstklässlerin und setzt, je nach | |
Adressaten, Katzen, Hasen oder Dinos darunter. Für die Freundin, den besten | |
Freund, eine Schulkameradin, die geliebte Erzieherin, die Lehrerin, die | |
Hortbetreuerin. Unsere Tochter geht auf die deutsche Botschaftsschule in | |
Moskau, eine Schule, die deutsche wie russische Kinder und auch | |
deutsch-russische, türkische, belgische nicht nur in Mathematik und Deutsch | |
unterrichtet(e), sondern viel auch in gegenseitigem Verständnis für | |
unterschiedliche Meinungen, Kulturen, Gesellschaften. | |
Für Verständnis lässt Russlands Angriffskrieg keinen Raum. Gleich zu Beginn | |
der Invasion hatten mehrere Familien Russland verlassen. Manche, weil sie | |
keine Zukunft mehr für ihre Kinder hier sahen, andere, weil sie Jobs | |
verloren oder weil Moskau sie auswies. | |
In der vergangenen Woche folgte der nächste Schlag: Nun greift die von der | |
russischen Regierung festgesetzte Höchstgrenze [1][für das Personal in | |
deutschen Institutionen quer durch Russland] – in der Botschaft, den | |
Konsulaten, Schulen, Kindergärten, Goethe-Instituten, aber auch russischen | |
Schulen, die mittels von Deutschland finanzierter Programme deutsche | |
Lehrkräfte beschäftigen. Das russische Außenministerium hatte bereits seit | |
April von „Obergrenzen“ gesprochen, nachdem auf Drängen des Auswärtigen | |
Amtes [2][eine zweistellige Zahl russischer Diplomat*innen aus | |
Deutschland ausgereist war]. | |
## „Es war ein Meer voller Tränen“ | |
Dass seit Freitag auf deutscher Seite nur noch 350 Bedienstete in Russland | |
bleiben dürfen, ist Moskaus Retourkutsche. Andere müssen oder mussten | |
bereits gehen. Darunter deutsche Diplomat*innen, aber auch russische | |
Lokalbeschäftigte: von Sachbearbeiter*innen an der Botschaft über | |
Kindergärtnerinnen bis hin zu Putzfrauen in den jeweiligen Einrichtungen. | |
Manche sind seit Jahrzehnten dabei – und stehen nun auf der Straße. Wie | |
auch Familien, die von einem Tag auf den anderen Kündigungen aus dem | |
Kindergarten bekamen. | |
Innerhalb von nur wenigen Stunden entschieden die Verantwortlichen in | |
Botschaft und Schule, wer gehen muss und wer bleiben darf. „Es war ein | |
Meer voller Tränen“, sagen Betroffene. Die Deutsche Schule muss mehr als | |
die Hälfte ihres Personals kürzen, dadurch reduziert sich teils auch der | |
Unterricht. Das Goethe-Institut, das knapp 20 Sprachlernzentren betreibt | |
und an die 10.000 Lehrer*innen betreut, schränkt die Arbeit ebenfalls | |
ein und will nur noch in Moskau und Sankt Petersburg geöffnet bleiben. | |
Andere Einrichtungen müssen den Betrieb einstellen. Auch die deutschen | |
Konsulate in Jekaterinburg, Nowosibirsk und Kaliningrad schließen im | |
November. Als Reaktion hat das Auswärtige Amt Russland aufgefordert, vier | |
der fünf Konsulate in Deutschland zuzumachen. | |
## Ungewissheit als ständiger Begleiter | |
Berlin sieht im Vorgehen Moskaus, die Obergrenze einzuführen, eine „durch | |
nichts gerechtfertigte Entscheidung“ und nennt es einen „Schritt zur | |
Eskalation“. Moskau weist die Verantwortung weit von sich. „Im Eifer einer | |
feindseligen Politik verliert Berlin jegliche Orientierung“, schreibt das | |
russische Außenministerium und kündigt an: „Diese provokativen Aktionen | |
werden nicht ohne angemessene Reaktion bleiben.“ | |
[3][Die Ungewissheit, seit dem 24. Februar 2022 ohnehin ein ständiger | |
Begleiter] des Lebens und Arbeitens in Russland, wird größer, die Brücken | |
reißen weiter ein. „Irgendwann ist keiner mehr hier“, sagt unsere | |
Siebenjährige – und setzt sich an den nächsten Brief. „Es ist so traurig.… | |
2 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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