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# taz.de -- Der Spießer ist der andere: Solidarität mit Eigenheimbesitzern
> Die Probleme von Hausbesitzern auf dem Land lassen viele Linke in der
> Stadt kalt. Dabei ist, wer ein Haus besitzt, noch lange nicht reich.
Bild: Das Eigenheim hat in der linken Szene keinen guten Ruf
Irgendwo bei Tolstoi – ich glaube in der [1][„Auferstehung“] – gibt es
einen jungen Adligen, an den ich in letzter Zeit häufiger denken muss. Der
ist wie gesagt jung und außerdem noch ein Grundeigentümer, der mit der
Abschaffung des Grundeigentums sympathisiert. Die Details habe ich
vergessen, aber ich erinnere mich noch gut an meine Überraschung darüber,
wie vor rund 120 Jahren jemand seine Privilegien so sonderbar gegenwärtig
hinterfragt hat. Und vor allem fühle ich mich auch persönlich betroffen
davon, wie pubertär er dabei gezeichnet wird von einem Autor, der’s von der
Sache her ja gar nicht anders sieht.
Adlig bin ich nun zwar nicht, Grundeigentümer hingegen schon. Inzwischen
sogar mehrfach: Als ich aus der Großstadt raus aufs Land zog, habe ich mir
dort ein Haus gekauft. Und gerade erst vergangene Woche habe ich den
dritten Teil eines zweiten geerbt, weil nach dem Tod meines Vaters nun
sämtliche Vorfahren hinfort und die überschaubaren Reste des familiären Hab
und Guts bei mir und meinen Schwestern aufgelaufen sind. Reich macht mich
das nicht, ich habe nur mehr zu tun als vorher.
Das mit dem Eigenheim ist in meiner Bubble schon politisch ein Reizthema,
ganz sicher aber obendrein auch ein Stadt-Land-Problem: Die Solidarität
urbaner Linker mit bis an den Hals verschuldeten
Familiengründer:innen im Umland geht jedenfalls hart gegen null. Und
wer aus der Kleinstadtsiedlung über existenzielle Krisen angesichts
reihenweise implodierender Baufinanzierung klagt, kriegt immer noch
höchstens Häme zu spüren, obwohl sich die Lage seit Monaten zuspitzt. So
was gilt meinen Stadtfreund:innen als Luxusproblem – hier draußen
allerdings sind die Eigentümer:innen im Durchschnitt sicher nicht
wohlhabender als zur Miete wohnende Stadtmenschen.
Die Verhältnisse auf dem Land sind kompliziert und im Einzelfall bestimmt
auch wirklich mal bourgeois. Als Faustregel empfiehlt sich aber trotzdem:
Wer von Papas Geld Berliner oder Hamburger Mieten zahlen kann, sollte in
Sachen Privilegien und Eigentum auf dem Land grundsätzlich erst mal die
Klappe halten.
Offen bleibt allerdings die Frage, warum bauchlinke Ignoranz mich gerade in
dieser Angelegenheit so wütend macht. Vielleicht weil mich das Gelaber
sonst kaum betrifft? Oder liegt es doch daran, dass ich im Herzen schon
auch selbst einen irrational heftigen Ekel gegenüber Grundeigentum hege und
gegen Menschen, die davon leben, dass sie in fünfter Generation
irgendwelches Land geerbt haben, mit dem andere tatsächlich etwas anfangen
können und die ihnen darum ständig Pacht rüberschieben?
Denn natürlich ist das eine der vulgärsten Formen des Mitverdienens an
fremder Arbeit. Auch wenn Marx das Ganze im Kapital ja doch fast
liebenswert beschreibt als „einen Teil des produzierten Mehrwerts aus der
Tasche des Kapitals in seine eigene hinüberzuführen“.
Aber egal: Ich mache mir jedenfalls Sorgen um meine verschuldete
Nachbarschaft und ihre [2][steigenden Zinsen] und halte das auch für eine
Frage dringend gebotener Solidarität statt nur ein bisschen Mitgefühl. Es
ist jedenfalls ganz sicher zu kurz gedacht, den Kampf um bezahlbaren
Wohnraum allein als Duell zwischen mittellosen Mieter:innen und
freidrehenden Wohnungsgesellschaften zu begreifen. Wahrscheinlich rührt
daher irgendwie auch mein Tolstoi-Unbehagen. Weil diese Scheinwidersprüche
und Selbstzweifel ja gar nicht pubertäres Empfinden sind, sondern nach wie
vor ungelöste Probleme des Klassenkampfs.
Also: Wer von der Sparkasse nicht reden will, soll auch von [3][Vonovia]
schweigen? So ähnlich jedenfalls. Richtig catchy sind die Parolen der
ländlichen Mittelschicht leider noch nicht, aber das kann kein Grund sein,
sie der FDP zum Fraß vorzuwerfen.
20 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.theaterbremen.de/de_DE/programm/auferstehung.1177354
[2] /Folgen-der-EZB-Zinswende/!5857724
[3] /Vonovia/!t5256394
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Speckgürtelpunks
Zinsen
Solidarität
Klassenkampf
Theater
Grundsteuer
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