| # taz.de -- Demos gegen sexuelle Gewalt in Spanien: In Bewegung | |
| > Das Urteil zu einem Sexualverbrechen hat in Spanien zu Demos geführt. | |
| > Ohne feministischen Protest ändert sich der Umgang mit sexueller Gewalt | |
| > nie. | |
| Bild: Protest gegen das Urteil im November in Madrid | |
| In 40 verschiedenen Städten sind in den vergangenen Tagen Tausende | |
| Spanier*innen demonstrieren gegangen. „Nein heißt nein, sonst ist es eine | |
| Vergewaltigung“ oder „Schluss mit der sexistischen Justiz“ stand auf den | |
| Schildern der feministischen Demonstrant*innen. | |
| Auslöser war ein Urteil vom vergangenen Freitag: Sieben Männer waren der | |
| Gruppenvergewaltigung einer 14-Jährigen angeklagt gewesen. Zwei von ihnen | |
| wurden freigesprochen, die übrigen fünf zu einer Haft von zehn bis zwölf | |
| Jahren verurteilt. Entscheidend aber: Der Richter in Barcelona sah in dem | |
| Fall, der sich 2016 auf einer Party in Katalonien zugetragen hatte, keinen | |
| Tatbestand der Vergewaltigung, und zwar allein deshalb, weil das Mädchen | |
| aufgrund von Alkohol- und Marihuana-Konsum die „sexuelle Beziehung nicht | |
| akzeptieren oder ablehnen konnte“. | |
| Weil die Täter also keine physische Gewalt anwenden mussten, konnte der | |
| Tatbestand sexueller Gewalt, unter den Vergewaltigungen im spanischen | |
| Strafrecht gefasst werden, nicht angewendet werden, so die Logik. | |
| Stattdessen wendete das Gericht den Tatbestand sexuellen Missbrauch an, mit | |
| einem deutlich geringeren Strafmaß. | |
| Das Hashtag zu den Protesten #justiciapatriarcal („Patriarchale Justiz“) | |
| bringt die Absurdität des Urteils auf den Punkt: Der bewusstlose Zustand | |
| des Opfers wirkt sich strafmildernd aus. Ein klassischer Fall von | |
| Victim-Blaming – die Verantwortung wird beim Opfer gesucht. Implizit heißt | |
| es: Hätte die Minderjährige nicht so viel getrunken, hätte sie sich ja | |
| wehren können. | |
| ## Ja-heißt-ja-Gesetz | |
| Das Strafmaß, das muss dazugesagt werden, ist verglichen mit Deutschland | |
| relativ hoch. Doch den Demonstrant*innen geht es nicht primär darum, wer | |
| wie lange sitzen muss. Sie wollen einfach, dass Vergewaltigungen auch dann | |
| als solche gelten dürfen, wenn keine körperliche Gewalt stattgefunden hat. | |
| Dass Feminist*innen immer wieder in Sachen sexuelle Gewalt auf die Straße | |
| gehen, ist notwendig. Dass es obendrein etwas bringt, zeigt sich an | |
| Schweden und Deutschland. | |
| [1][2018 führte Schweden das „Ja heißt Ja“-Gesetz ein]. Auslöser war die | |
| Kritik nach einem Urteil von 2014: Damals wurde ein Mann freigesprochen, | |
| obwohl die Frau „Nein“ gesagt hatte. Der Täter gab an, diese Aussage für | |
| den Teil eines Spiels gehalten zu haben. Nach mehreren Demos und | |
| kontroversen Debatten entschieden die Schwed*innen: Künftig ist Sex nur mit | |
| ausdrücklicher Zustimmung legal. | |
| Ausgelöst durch die Vorfälle in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 begann | |
| auch in Deutschland die Diskussion um eine Verschärfung des | |
| Sexualstrafrechts. Der Debatte wurde dann im Sommer durch den Fall um das | |
| Ex-Topmodel Gina-Lisa Lohfink die nötige Aufmerksamkeit gegeben. Lohfink | |
| hatte zwei Männern Vergewaltigung vorgeworfen. Fast jeder Verhandlungstag | |
| wurde von Demonstrant*innen begleitet, die vor dem Gerichtsgebäude „Nein | |
| heißt Nein“ in die Fernsehkameras riefen. Lohfink verlor ihren Prozess, | |
| doch wenige Monate später wurde ein deutlich strengeres Sexualstrafrecht | |
| verabschiedet: Künftig muss eine Frau sich in Deutschland nicht mehr verbal | |
| oder körperlich wehren, damit die nicht einvernehmliche Tat als | |
| Vergewaltigung gilt. Ein „Nein“ reicht aus. | |
| ## Wunsch nach Wandel | |
| In Spanien ist dieses übrigens nicht das erste Urteil, das für Protest | |
| sorgt. Vor wenigen Jahren wurde eine 18-Jährige aus Madrid bei den | |
| Stierfesten in Pamplona von fünf jungen Männern in einem Treppenhaus | |
| vergewaltigt. Auch hier fiel das Urteil milde aus, da es weder Schläge noch | |
| Drohungen gegeben habe. [2][Nach landesweiten Protesten] wurde das Urteil | |
| vom obersten Gericht dieses Jahr aufgehoben und die Haftstrafen der Täter | |
| erhöht. | |
| Was aktuell in Spanien passiert, ist nicht nur eine Forderung nach einer | |
| neuen Gesetzgebung, sondern der Wunsch nach einem gesellschaftlichen | |
| Wandel. Dahin, dass Vergewaltigungen immer dann als solche gelten können, | |
| wenn kein gemeinsamer Konsens hergestellt wird. Um ein Umdenken anzuregen, | |
| Debatten auszulösen und letztendlich auch Gesetze zu verändern, können | |
| Proteste ein erster Schritt sein. Wenn Feminist*innen auf die Straße gehen | |
| und sich bewegen, dann bewegt sich auch etwas in der Gesellschaft. | |
| 5 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /Protest-gegen-sexualisierte-Gewalt/!5516043 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolina Schwarz | |
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