# taz.de -- Demonstrationen in London: „Patrioten“ gegen Antirassisten | |
> Neben Black Lives Matter marschieren GegendemonstrantInnen im | |
> Regierungsviertel auf. Darunter rechtsextreme „DenkmalschützerInnen“. | |
Bild: London 13. Juni: Ein Black-Lives-Matter-Demonstrant bringt einen verletzt… | |
LONDON taz | „Fuck off, wir wollen euch hier nicht“, „Ihr seid alles | |
Lügner, ihr beschreibt uns eh nur als Rechtsradikale“, „Macht ja keine | |
Fotos“, „Verpisst euch“ – mit solchen Worten wurde gedroht. Einige | |
Journalist*innen wurden wiederholt bedrängt, darunter auch der Autor dieses | |
Berichts. Einem Fotografen wurde laut Daily Mirror sogar ins Gesicht | |
geschlagen, mit vermuteten Nasenbeinbruch. Die Polizei musste sich | |
Beschimpfungen und einen Regen von Bierdosen und Flaschen gefallen lassen. | |
Mit Hunden, Pferden, Kampfmontur und Schlagstöcken versuchte die Polizei in | |
London am Samstag, im Herzen des Regierungsviertels zwischen Trafalgar | |
Square und Parliament Square „patriotische Beschützer*innen britischer | |
Denkmäler“, wie sie sich selbst bezeichneten, von | |
Black-Lives-Matter-Demonstrant*innen zu trennen. | |
Neben den Black-Lives-Matter-Protesten hatten nämlich verschiedene | |
Organisationen, manche davon aus dem extrem rechten Milieu, zur Bewachung | |
von Denkmälern in Westminster aufgerufen. In Reaktion hatte nicht nur Black | |
Lives Matter ihre offizielle Beteiligung an antirassistischen Protesten in | |
London am Wochenende abgesagt, sondern auch das Londoner Antifascist | |
Assembly, das sich sonst fast immer ultrarechten Versammlungen | |
entgegenstellt. Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan und die britische | |
Regierung riefen dazu auf, nicht an Demonstrationen am Samstag | |
teilzunehmen. | |
Dennoch versammelten sich mehrere Hundert Antirassist*innen im Hyde Park zu | |
einer friedlichen Kundgebung, zu der die Organisation Stand Up To Racism | |
aufgerufen hatte. Anschließend begab sich ein kleiner Teil der Versammelten | |
in Richtung Stadtmitte und stoppte am Trafalgar Square, wo rund um die | |
zentrale Nelson-Säule „Denkmalschützer*innen“ bereit standen. | |
Die große Mehrheit dieser „patriotischen Beschützer*innen“ hatte sich | |
jedoch am Parliament Square versammelt, wo eine gerade kontrovers | |
debattierte Statue steht, nämlich die Winston Churchills. | |
Als am vergangenen Wochenende [1][das Denkmal des Sklavenhändlers Edward | |
Colston in Bristol ins Hafenbecken geworfen] wurde, hatte zugleich jemand | |
an diese Statue Churchills der Zusatz „Rassist“ geschrieben. Churchill, | |
Premierminister Großbritanniens während des Zweiten Weltkriegs, hatte sich | |
zu Lebzeiten rassistisch über verschiedene Bevölkerungsgruppen des Empire | |
artikuliert. Selbst der amtierende Premierminister Boris Johnson, der | |
immerhin aus Bewunderung einst eine Biografie Churchills verfasst hat, | |
gestand [2][in einem Tweet] öffentlich, dass Churchill durchaus „manchmal | |
Meinungen vertrat, die heute inakzeptabel wären“. Seiner Meinung nach | |
bleibe Churchill jedoch ein Nationalheld, da er Europa vor dem Faschismus | |
gerettet habe, schrieb er. | |
Am vergangenen Montag entfernte eine kleine Gruppe konservativer | |
Parlamentsabgeordneter die Graffiti an der Statue Churchills, während eine | |
Gruppe stark rechts angehauchter und älterer weißer Männer über 50, wie sie | |
angaben, „die Statue bewachten.“ Ähnliche Menschen, überwiegend weiß, | |
bevölkerten nun am Samstag den gesamten Platz, „zum Schutz der Statuen und | |
Denkmäler“ und mit reichlich Bier. | |
Die wohl einige Tausend waren jedoch nicht genug, um den gesamten | |
Parliament Square zu füllen, wie noch bei den Protesten für Black Lives | |
Matter in der Vorwoche. Die Statue Churchills war auf Order des Londoner | |
Bürgermeisters zu ihrem Schutz mit Brettern eingekastet worden, ebenso die | |
Statuen von Nelson Mandela und Mahatma Gandhi. Alle drei wurden als | |
potenzielle Zielscheiben zorniger Demonstrant*innen eingestuft. | |
Als „Denkmalschützer*innen“ und Antirassist*innen größtenteils voneinand… | |
getrennt blieben, erklärten Erstere als Ersatz die Polizei und die Medien | |
zum Feindbild. Doch wollten gegenüber der taz einige klarstellen, dass sie | |
überhaupt nicht zur Garde der Rechtsextremen gehörten. Ein einstiger | |
Fallschirmjäger mit mehreren Verdienstorden am T-Shirt, der ungenannt | |
bleiben wollte, bezeichnete den bekannten rechtsextremen Tommy Robinson | |
sogar als „Scheißkerl“ und sagte, er selbst stehe hinter Black Lives | |
Matter. „Ich bin heute aus Lincolnshire hergereist, weil ich gegen die | |
Schändung von Denkmälern bin, die jene ehren sollen, die in Kriegen | |
gefallen sind.“ Der Versuch einiger, beim Black-Lives-Matters-Protest vor | |
einer Woche, am Hauptkriegsdenkmal Londons, dem Cenonatph, Gedenkfahnen | |
wegzureißen, gehe ihm gegen den Strich. Auch andere äußerten diese Meinung. | |
An der Nelson-Säule am Trafalgar Square fingen einige | |
„Denkmal-Bewacher*innen,“ darunter auch Schwarze, sogar spontan an, die | |
Aktivist*innen von Black Lives Matter zu beklatschen und mit erhobener | |
Faust zu begrüßen. „Wir sind alle aus verschiedenen Gründen | |
hierhergekommen, aber hauptsächlich um Kriegsdenkmäler zu schützen“, | |
bestätigte dort ein weiterer Veteran und verurteilte zugleich scharf einen | |
jüngeren Mann, der neben ihm stand, weil dieser das Wegreißen der | |
britischen Fahne letzte Woche als „Kriegserklärung“ bezeichnete. Unter der | |
Menge identifizierten sich aber auch einige mit rechtsextremen | |
Organisationen, während sie im gleichen Zug behaupteten, den Mord an George | |
Floyd abscheulich zu finden. | |
Andere rechte Randgruppen, laut Beobachtern gehörten viele teilweise | |
rechtsextremen Fußballnetzwerken an, versuchten wiederholt die | |
Polizeisperren zu durchbrechen. Bierflaschen und anderes flogen dabei durch | |
die Luft. Doch immer wieder scheiterten diese Angriffe. | |
Auf die Frage, wieso einige Black-Lives-Matter-Aktivist*innen trotz der | |
offiziellen Absage und der Gefahr zum Trafalgar Square gekommen waren, | |
erklärte Dailey, eine 19-jährige Studentin, dass sie Familie in den USA | |
habe: „Ich möchte mein Recht, friedlich zu demonstrieren, unbedingt | |
wahrnehmen, und lasse mir das nicht von Rechtsextremen nehmen.“ Per | |
Lautsprecher forderten Sprecher*innen der Gruppe die Aktivist*innen immer | |
wieder zur Ruhe und Selbstdisziplin auf und zur Kooperation mit der | |
Polizei. „Wir gewinnen den Kampf, erwidert keinen der Angriffe, stellt | |
Frauen und Kinder in eure Mitte“, rief eine Frau, bevor sie und andere | |
gemeinsam „Justice!“ skandierten. | |
Als gegen 17 Uhr sämtliche Demonstrationen in London geräumt wurden, | |
durchbrachen einige der rechten Gruppen dennoch die Polzieisperren und | |
lieferten sich am Trafalgar Square sowie später am Bahnhof Waterloo | |
Schlägereien mit BLM-Aktivist*innen. Dabei kam es zu einem ikonischen | |
Moment, als ein Schwarzer Demonstrant einen zusammengeschlagenen | |
mutmaßlichen Rechtsextremisten auf seiner Schulter in Sicherheit trug. | |
Die Londoner Bilanz des Tages: 100 Festnahmen, 15 Verletzte, zudem 6 leicht | |
verletzte Polizeibeamt*innen. | |
14 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Black-Lives-Matter-Protest-in-England/!5687866/ | |
[2] https://twitter.com/BorisJohnson/status/1271388180193914880 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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