| # taz.de -- Debütsoloalbum von Beatrice Dillon: Freude am Hören | |
| > Von Malerei inspiriert: Wie die britische Elektronik-Produzentin Beatrice | |
| > Dillon mit ihrem Soloalbumdebüt „Workaround“ die Instinkte berührt. | |
| Bild: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos: Beatrice Dillon | |
| Streifen, Linien, Wellen, von denen einem schwindelig werden könnte – die | |
| Vertreter:innen der Op-Art begannen in den 1960er Jahren mithilfe der | |
| Gesetze der Physik den Betrachter:innen die Sinne zu verwirren: mit Farben, | |
| die auf der Bildfläche erscheinen, aber gar nicht da sind; mit räumlichen | |
| Täuschungen und flimmernden Bildern, die sich vor den Augen in Bewegung | |
| setzen, nicht wirklich natürlich, aber immerhin scheinbar und mitunter | |
| überaus intensiv. | |
| [1][Bridget Riley], eine von ihnen, ging es jedoch weniger um die bloße | |
| Irritation als vielmehr um die emotionale Regung, die sie mit ihren Bildern | |
| beim Publikum auszulösen versuchte. „Freude am Sehen“ betitelte sie | |
| entsprechend einen ihrer vielen Essays. Es ist eine Freude, die offenbar | |
| auch die britische Musikerin Beatrice Dillon teilt. | |
| Für ihr Solodebütalbum „Workaround“ nannte Dillon nämlich unter anderem | |
| die Schriften der britischen Op-Art-Künstlerin als eine Inspirationsquelle. | |
| Und das passt sehr gut: Wie Riley betonte die Londoner Musikerin und DJ in | |
| Interviews bereits mehrfach, es ginge ihr darum, Menschen emotional und | |
| instinktiv zu berühren. Und auch mit Dillons Musik verhält es sich ein | |
| wenig wie mit Rileys Kunst. Zuerst ist da nur eine Struktur, ein Raster, | |
| das sich jedoch bei intensiverer Zuwendung ins Dreidimensionale stülpt. | |
| ## Mäandernder Rhythmus | |
| Was bei Riley die akkurat gezeichneten Muster sind, ist bei Dillon der | |
| Rhythmus. Er treibt ihr Album voran, in 150 bpm verharrend, jedoch zwischen | |
| den Stilen mäandernd und immer wieder überraschend. Dillon, die ihr Studium | |
| als Verkäuferin in Londoner [2][Plattenläden] finanzierte, klingt mal ganz | |
| konzentriert-minimal, mal hypnotisch-technoid, dann wieder fast poppig, | |
| deutlicher nach Dub, mal wie eine aktualisierte Version von Folk. | |
| Letzteres hat vor allem damit zu tun, dass sie für das Album eine ganze | |
| Reihe Gastmusiker:innen um sich versammelte, die eine Vorliebe für sehr | |
| spezielle Instrumente vereint: Kuljit Bhamra an der Tabla, Jonny Lam an der | |
| Pedal-Steel-Gitarre, Kadialy Kouyaté an der Kora und Lucy Railton am Cello; | |
| auf „Workaround Two“ steuert [3][Laurel Halo] Stimme und Synths bei, Verity | |
| Susman Saxofonklänge. | |
| Drei Jahre arbeitete Dillon an der Musik für ihr Album, nicht permanent, | |
| sondern immer wieder hat sie an den 14 Tracks geschraubt. „Workaround“ | |
| entstand in London, Berlin und New York. Was die Einflüsse betrifft, so | |
| nennt sie – man hätte es sich denken können –, die Kunst und nicht etwa | |
| Musik studiert hat, hauptsächlich bildende Künstler:innen. | |
| ## Abstrakte Kunst | |
| Riley, wie schon eingangs erwähnt, die abstrakte Malerin Tomma Abts und | |
| Jorinde Voigt. Die Berliner Künstlerin, mit der Dillon schon seit Längerem | |
| kooperiert – 2017 vertonte sie in der Londoner Lisson Gallery deren | |
| Ausstellung –, ist quasi ihr Counterpart: Voigt hat eine klassische | |
| Musikausbildung, arbeitet nun visuell, bleibt aber von Musik inspiriert. | |
| Voigts Zeichnung „Yes or No Study“ von 2014 widmete Dillon nun den Song | |
| „Square Fifth“– bitte googeln und beim Hören betrachten. Es ist einer der | |
| besten auf „Workaround“. | |
| Kunst ist auch das Cover des Albums, ein digital bearbeitetes Fotogramm von | |
| Thomas Ruff, quasi eine zeitgemäße Version von Op-Art. Bleibt die Frage, | |
| was man mit der Ac-Art von Dillon eigentlich anstellen soll. Andächtig | |
| lauschen? Oder kann man, soll man darauf tanzen? Am Ende ist die Antwort | |
| einfach: wieder und wieder hören, und agieren, wie es einem gerade ankommt, | |
| ganz instinktiv. | |
| 18 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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