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# taz.de -- Labelporträt PAN-Records: Musik von Menschen, die nie schlafen
> Eine Anlaufstelle für visionäre elektronische Musik: der griechische
> Produzent Bill Kouligas und sein Berliner Label PAN.
Bild: Black Sites (Helene Hauff & f#x).
Unnachgiebig wiederholen sich Synthesizersequenzen, unterschwelliger Lärm
bringt den Boden ins Wanken, Acid-Zwitschern dringt in die Ohren, die
Bassdrum hämmert auf jedem Schlag des Viervierteltaktes. Die Tracks von
Black Sites, dem gemeinsamen Projekt der Hamburger KünstlerInnen Helena
Hauff und F#x, klingen nach einer düsteren Vision von zerstörten
Tanzflächen.
Es ist Techno, der Funktionalität und Experiment verbindet und damit
beispielhaft für die clubtauglichere Seite des Elektroniklabels PAN aus
Berlin steht. Insgesamt vereint die Musik auf PAN einen Sound, der mehr
Kanten hat als Harmonien, mehr Irritationen erzeugt und weniger Wohlgefühl.
Seit seiner Gründung 2008 durch Bill Kouligas sorgt das Label mit einer
unverwechselbaren Klangsignatur für Aufsehen.
PAN gelingt der Spagat zwischen Clubmusik und Klangkunst. Mit seinem Ansatz
bleibt das Label in beiden Sphären Außenseiter. Weder als Label-Ganzes noch
durch einzelne Veröffentlichungen bedient PAN Genreschubladen. Musikalisch
beackern die KünstlerInnen ein weites Feld. Das fängt an beim Ur-“Genialen
Dilettanten“ Frieder Butzmann, von dessen Arbeit Kouligas seit Langem
überzeugt ist.
Überraschend unkompliziert sei der Kontakt entstanden, der schließlich zu
Butzmanns Album „Wie Zeit vergeht“ führte, meint der Labelchef im
Interview. Butzmann, seit Ende der 70er in Westberlin künstlerisch tätig,
verbindet auf dem Album Geräusche und Klänge mit Spoken-Word-Passagen aus
einem Text des Komponisten Karlheinz Stockhausen zu einer Collage.
An Klangforschung ganz anderer Art arbeitet der Produzent Luke Young alias
Helm. Auf seinem zweiten Album für Kouligas’ Label, „Olympic Mess“,
versetzt der Londoner die HörerInnen mit Loops aus warmen Flächen und
rauschigen Sounds in Trance. In dieser erwirkten Entspannung schwingt durch
vibrierende, ausgreifende Geräusche eine konstante Beunruhigung mit.
## In Zwischenräumen
Musikalisch bewegt sich PAN in Zwischenräumen. Und als Person fühlt sich
Kouligas, der in Athen aufgewachsen ist und dann einige Jahre in London
verbrachte, randständig. Der zugezogene Grafikdesigner und Leiter einer
Plattenfirma gehört zwar zur Berliner Kreativbranche, daher wird Kouligas
immer wieder in Zusammenhang mit der Gentrifizierung von angesagten
Stadtvierteln gebracht. Einem Vorwurf, dem der 33-Jährige rational
begegnet, indem er auf die Komplexität des Problems hinweist, dessen
Ursachen nicht allein bei immigrierten Kreativen wie ihm liegen. Ohnehin
brachte Kouligas das Kapital für sein Label mit nach Berlin.
Die Erfolgsgeschichte von PAN wirkt auch – zu seinem eigenen Nachteil –
anziehend auf andere. Trotzdem fühlt sich Kouligas in Berlin als Teil der
Kulturszene. Seit 2009 lebt er in der Stadt, organisiert Konzerte, tritt
selbst auf und arbeitet mit lokalen Kräften, wenn er als Produzent, DJ,
Labelchef und Designer in einer Person nicht gerade in der Welt unterwegs
ist. Seine Freunde nennen Kouligas einen „Menschen, der niemals schläft“.
Klar, dass sein Engagement auch über Berlin hinaus zeigt.
Er hat zum Beispiel vor zwei Jahren in New York mit Unterstützung unter
anderem des Goethe-Instituts das zweiwöchige PAN_ACT-Festival auf die Beine
gestellt und gestaltet auch eine regelmäßige Sendung beim Londoner
Internetradio NTS. Die KünstlerInnen, die zum Umfeld von PAN gehören, leben
auf der Welt verstreut. Engerer Lokalbezug ist durch diese geografische
Dynamik kaum möglich. Kouligas setzt sich ein, um spannende Musik und Kunst
miteinander zu verknüpfen. Das ist weniger an Orte und spezifischer an
Künstler gebunden, und so bleiben Kouligas und sein Label immer ein
bisschen außen vor, scheinen nie voll und ganz Teil der Berliner
Elektronikszene zu sein, die sich gerne als Familie sieht. Das bringt auch
Vorteile mit sich. Der Labelchef kann immer wieder einen Schritt
zurückgehen und das Ganze von der Außenperspektive betrachten und bekommt
durch die Distanz neue Ideen.
Als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Athen wurde Kouligas mit Punk
sozialisiert, später in London war er Teil der Szene für experimentelle
elektronische Musik. Vereinzelungstendenzen von Subkulturen kennt Kouligas
also aus eigener Anschauung, er empfindet sie einschränkend. Auch wenn
Abgrenzung nach außen Gemeinschaft stifte, findet Kouligas, verenge sie
doch die Sicht und erschwert die Kommunikation.
Schon die Stilvielfalt der veröffentlichten Musik verhindert, dass PAN voll
vereinnahmt werden kann. Genauso wenig möchte Kouligas an Hypes von
elektronischer Musik andocken und so auf ein möglichst breites Publikum
abzielen. Er weiß, was er will – Hipness gehört nicht dazu. Jemand, der
Mixed-Media-Hörspiel-Collagen von Frieder Butzmann herausbringt, könne
nicht hip genannt werden, meint Kouligas. „Wenn irgendjemand zu einem
bestimmten Zeitpunkt entschieden hat, dass etwas angesagt ist, liegt das
nicht an mir.“ Obwohl er nicht auf Trends aufspringen will, er hält sie
trotzdem für nötig, um das Interesse der HörerInnen für Neues zu wecken.
## Die Kunst der Illustration
Genauso bedeutsam wie die Musik sind für Kouligas die Cover-Illustrationen,
die auf eine Mehrdimensionalität der Labelidentität hinweisen. Bei der
Gestaltung bekommt er Unterstützung von Kathryn Politis. Zunächst
gestalteten sie noch Grafikserien, die durch gemeinsame Bildelemente
verbunden waren und damit sichtbare Kontinuität schufen. Geometrische
Figuren und Linien sind auf durchsichtige Plastikhüllen gedruckt, die sich
so über die zweite, ebenfalls bedruckte Plattenhülle legen. Die
verschiedenen grafischen Schichten ergeben zusammengenommen etwas Neues,
Drittes, wie auch die verschiedenen Musiken gemeinsam den Klangraum PAN
bilden. Inzwischen sind Kouligas und Politis von der Reihengestaltung etwas
abgerückt.
Die Cover sind nun stärker auf die jeweilige Musik zugeschnitten als auf
die Fortsetzung grafischer Elemente. Nach wie vor stehen die Cover in ihrer
Unterschiedlichkeit für das Label, auch wenn der rote Faden nicht mehr
offensichtlich ist, sondern im Kontext sichtbar wird. „Obwohl sich Stimmung
und Herangehensweise unterscheiden, gibt es eine ästhetische Identität, die
alle unsere Veröffentlichungen verbindet“, sagt Kouligas.
Immer wieder überrascht PAN, ob musikalisch oder visuell. So fordert
Kouligas auch, seine Veröffentlichungspolitik nicht mit der Arbeit eines
klassischen Musiklabels zu vergleichen. PAN soll ein dynamisches Netzwerk
von unterschiedlich arbeitenden AkteurInnen sein. „Wir entwickeln eher neue
Ideen und Formen, als dass es um einen bestimmten Klang geht“, erklärt
Kouligas. „Ich arbeite mit Menschen zusammen, die in verschiedenen
Bereichen tätig sind, ob in Webdesign, bildender Kunst, Performance oder in
der Wissenschaft. PAN ist eine Community aus Leuten, die sich austauschen.“
Mit den unterschiedlichen Veröffentlichungen und Ansätzen passt das Label
weder vollständig in den Clubmusik-, noch in den Kunstkontext – Musik und
KünstlerInnen bleiben damit immer zwischen den Stühlen. Vorausgesetzt, man
will in Zuordnungen denken, die bei der Arbeit von PAN, ob musikalisch,
disziplinär oder was die lokale Bindung angeht, keine Rolle spielen.
Kategorisierungen stellt PAN infrage und hinterfragt damit auch die
Festlegung, wer drinnen ist und was draußen. Und damit letztlich auch die
eigene Rolle als Außenseiter.
4 Jul 2015
## AUTOREN
Philipp Weichenrieder
## TAGS
Neue Musik
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Noise
Beatrice Dillon
In a Paraventral Scale
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Techno
Unter Schmerzen
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