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# taz.de -- Internetradio BLN.FM: „Die größte Musikredaktion Berlins“
> Vor sieben Jahren hat Tim Thaler das Internetradio BLN.FM gegründet.
> Jetzt ist der Sender auf das RAW-Gelände gezogen und will mit neuen
> Sendungen durchstarten.
Bild: Das Radio bringt auch Musik aus dem Internet
taz: Herr Thaler, als wir uns vor fast vier Jahren das letzte Mal sahen,
haben wir uns in einer Parterrewohnung in Mitte getroffen, wo BLN.FM
seinen Sitz hatte. Jetzt sitzen wir in einem Café in Friedrichshain.
Warum?
Tim Thaler: Das ist die ganz normale Story: Das Haus, in dem wir bis vor
Kurzem waren, wurde verkauft und kernsaniert. Es war wirklich eine
Bruchbude. Unsere Gäste haben immer so schön gesagt: „That’s real
underground!“
Jetzt ist Schluss mit real underground?
Nur räumlich (lacht). Wir sind jetzt auf dem RAW-Gelände und dort im
„Beamtenwohnhaus“ direkt an der Revaler Straße Ecke Warschauer Straße. Ich
finde das Gelände super, und es ist für uns megawichtig, weil viele
Kooperationspartner, Clubs, DJs und Künstler genau hier sind.
Sie jetzt auch. Wie kam das?
Es gab den glücklichen Umstand, dass uns jemand an Lauritz Kurth von der
Kurth-Immobiliengruppe vermittelt hat. Ihr gehört seit letztem Jahr der
52.000 Quadratmeter große Westteil des RAW-Geländes. Lauritz Kurth und ich
haben über die Vertragsmodalitäten zwei Abende diskutiert. Er ist uns sehr
entgegengekommen.
Das heißt?
Alles ist größer, schöner und deutlich billiger als zuvor – besser kann es
nicht sein! Wir zahlen jetzt pro Monat etwas mehr als die Hälfte dessen,
was wir zuvor in Mitte bezahlt haben, und das für den doppelten Platz.
Zu dem Preis waren die Räume aber nicht bezugsfertig, oder?
Alles, was nicht Strom, Gas und Mauerwerk ist, mussten wir selber machen:
Türen abschleifen, Riesenlöcher in der Wand verspachteln und unfassbare
Mengen Gerümpel und Schrott da rausschaffen. Wir haben nicht zuletzt ein
komplett neues Studio gebaut. Sechs Leute haben sich drei Monate lang jede
freie Minute damit um die Ohren geschlagen.
Klingt anstrengend.
Anstrengend – the fuck ja! Wir gaben einige tausend Euro aus, die wir
zusammengekratzt hatten.
Nun sind weder die Investorenfamilie Kurth noch deren Pläne für das
RAW-Gelände unumstritten.
Ich kenne die Entwicklungspläne, sowohl für die kulturelle Seite als auch
den Rest des Geländes. Natürlich haben die Kurths auch
Gewinnoptimierungsgedanken. Aber die kooperativen Gedanken, die sie haben,
zwischen Sozialem, Kultur und ganz klassisch kapitalistischen Firmen, finde
ich unglaublich faszinierend, weil sie damit ein Stück Geschichte schreiben
können in Berlin. Und davon ein Teil zu sein, finde ich mega!
Wird sich BLN.FM in der neuen Umgebung verändern?
Mein Mann arbeitet mit einem kleinen Team am Relaunch der Webseite. Auch im
Programm wird sich was ändern: wir haben ein neues Moderatoren-Team, und
wir werden eine größere Live-Strecke als je zuvor anbieten: vier Stunden am
Tag! Diesen Weg – also mehr Tagesaktualität – sind wir aber auch schon
vorher gegangen. Außerdem haben wir eine technische Innovation entwickelt,
die ein total tolles Nachtprogramm bieten wird für Freitag, Samstag und
Sonntag. Gerade für Leute, die neu in Berlin sind.
Was genau?
„Club-Roulette“ lautet bislang der Arbeitstitel, und mit dem können wir
alle mitarbeitenden Clubs auf eine sehr schöne, eigene Art live abbilden.
Wir versuchen, für diese technische Neuerung noch Fördermittel zu
beantragen. Aber selbst, wenn uns die verwehrt werden, werden wir das Ding
realisieren können. Dann machen wir es nicht mit zehn Clubs, sondern mit
zweien.
Wann soll es starten?
Zum Herbst oder Winter, wenn auch die Clubs drinnen wieder mehr Programm
fahren. Fünf Clubs haben wir die Idee schon vorgestellt, und die fanden es
alle gut.
Derzeit laufen nur Musik und Jingles im Wechsel. Warum?
Es gab zwei Wege für den Umzug: Entweder, wir ziehen den Stecker, machen
zehn Minuten Notprogramm, gehen woanders hin, stecken den Stecker wieder
rein und fangen an, von der Baustelle zu senden. Das haben wir zwei-,
dreimal vorher gemacht. Aber das ist zu stressig. Wir wollten es richtig
machen. Ursprünglich haben wir kalkuliert: Wir brauchen eineinhalb Monate.
Dann hab ich gesagt, machen wir daraus gleich drei. Jetzt sind es vier
geworden. Aber wir wussten: Wir brauchen ewig lang, und in der Zeit werden
wir den Bach runtergehen.
Hat sich das bewahrheitet?
Wir haben zurzeit vielleicht noch 400 Hörer pro Tag – zu Hoch-Zeiten hatten
wir zwischen 8.000 und 10.000. Ich glaube, mit der Meldung: „Wir sind
wieder da“ werden wir relativ schnell wieder sichtbar sein.
Und mehr Hörer*innen haben als je zuvor?
Ich habe BLN.FM nie so gesehen, dass wir sagen: Wir lösen jetzt radioeins
oder so was ab und überholen die, weil wir mehr Hörer haben. Wir sehen uns
überhaupt nicht als Konkurrenten. Lieber erreiche ich 15.000 Leute jeden
Tag, die sagen: BLN.FM ist meine Marke from the heart, als 300.000
Menschen, die sagen: ich hör BLN.FM, aber wenn’s mir nicht gefällt, gehe
ich ganz schnell zu einem anderen Sender.
Wie groß ist denn das Team?
Derzeit sind es knapp 50 Leute. Wir waren mal bei 140, die haben aber alle
nur immer mal wieder was gemacht. Dadurch, dass wir die Tagesaktualität im
Vordergrund haben wollen, gibt es jetzt eine feste Tagesmannschaft mit fünf
Leuten: vier Praktikanten, die Leistungspunkte für ihr Uni-Pflichtpraktikum
bekommen, aber keine finanzielle Entlohnung. Dazu kommen mein Mann oder ich
als Chefredakteur.
Wie sieht ein normaler Tag bei Ihnen aus?
Morgens um 7.30 Uhr haben wir die erste Redaktionssitzung per Skype, dann
stehen bis 8 Uhr die Themen. Zu 10 Uhr kommen alle ins Büro, dort werden
Leute für Interviews angefragt, erste Artikel für unsere Webseite
geschrieben, erste Tweets und Facebook-Posts gehen raus – wir arbeiten
crossmedial. Abends um 18 Uhr geht die Büro-Mannschaft nach Hause, meist
gibt es danach noch jemand, der entweder eine Livesendung fährt oder eine
Sendung aufzeichnet, sodass 22 Uhr die Hütte wirklich leer ist. An
Wochenenden verschiebt sich das alles ein bisschen nach hinten, bis das
Bier alle ist.
Wie finanzieren Sie das Ganze?
Ich bin es ehrlich gesagt müde geworden, BLN.FM erklären zu müssen wie so
ein stinkendes Stück Fisch. Die Strategie, BLN.FM aus einem Dreiklang von
Werbung, Mitgliedsbeiträgen des hinter dem Projekt stehenden gemeinnützigen
Vereins und Fördergeldern vom Senat oder der Stadt zu finanzieren, ist
nicht aufgegangen. Entweder, die Leute spenden 5 Euro Mitgliedsbeitrag im
Monat oder lassen es bleiben. Wir haben inzwischen gelernt, auch ohne diese
5 Euro klarzukommen.
Zum Beispiel durch Werbung?
Ich scheue mich nicht davor, Werbung zu platzieren. Ich hab auch überhaupt
kein Problem damit, für 10.000 Euro den Player in Zukunft einen Monat lang
in die Farben der Telekom zu packen und einmal die Stunde zu sagen: Die
Telekom ermöglicht uns den Sendebetrieb. Aber: Wir betreiben sauberen
Journalismus – wenn Werbung drin ist, steht Werbung drüber. Native
Advertising oder Sponsored Posts gibt es bei uns nicht – dann mach ich den
Scheiß lieber selber.
Wenn es keine Werbung gibt und auch sonst kein Geld reinkommt, werden Sie
Ihr Team nie bezahlen können.
Nach klassischen Maßstäben eines UKW-Radiosenders: nein – auch mit Werbung,
denn Werbekunden geben für online einfach weniger Geld aus. Wenn wir
irgendwann tatsächlich den Fall haben sollten, dass wir am Ende des Jahres
10.000 Euro übrig haben, kann ich Ihnen garantieren, dass das ganze Team
sagt: dann schmeißen wir davon lieber eine Party, laden 200 Leute for free
in einen Club ein und feiern mit unseren Hörern zusammen. Zu sagen, wir
teilen dieses Geld jetzt auf und geben jedem 300 Euro als Obolus – das ist
nicht der Spirit von BLN.FM.
Womit können Sie denn Mitarbeiter*innen locken, wenn schon nicht mit Geld?
Mit Ausbildung. Ein großer deutscher Radiosender für elektronische Musik –
nicht aus Berlin – bemüht sich gerade um eine Sendelizenz in der Stadt. Da
bin ich beispielsweise mit für das Casting der Moderatoren verantwortlich –
und dafür suche ich natürlich vorzugsweise im BLN.FM-Team.
Noch ein neuer Sender für Electro! Haben Sie da keine Angst?
Es gibt in Berlin mehr als 120 Radiosender. Davon machen bestimmt 20
elektronische Musik: Seien es Pure FM, Dance FM, Gay FM oder Sunshine live,
um ein paar zu nennen. Ohne die schlecht reden zu wollen: Ich sehe die
nicht als Konkurrenz, denn sie spielen nur eine Hot Rotation der
klassischen Großraum-Rave-Tracks. Wir haben mit neun Leuten die größte
Musikredaktion in Berlin, so was hat kein anderer Radiosender mehr. Die
Redaktion hört jede Woche bis zu 5.000 Tracks durch. Wir liegen in einigen
Veröffentlichungen vor der BBC und bilden ein viel größeres musikalischen
Spektrum ab: von Experimental über Drone, Instrumental, Hip Hop, bis zu
Noise, Techno natürlich, oder Pop, wo Elektronik mit drin ist. Wir haben
nie die Situation, dass ein Lied innerhalb desselben Tages zweimal läuft.
Wir haben bis zu 250 Lieder, die wir jede Woche neu in die Rotation nehmen.
Das unterscheidet uns deutlich.
6 Aug 2016
## AUTOREN
Klaas-Wilhelm Brandenburg
## TAGS
elektronische Musik
Sender
UKW
Radio
Neue Musik
Musik
Netzneutralität
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