# taz.de -- Freies Radio auf FM 91,0 in Berlin: Endlich richtig auf Sendung | |
> Seit Oktober ist der Radiosender Alex berlinweit über eine eigene | |
> Frequenz zu hören. Ein Gewinn für die rund 200 ehrenamtlichen | |
> RadiomacherInnen. | |
Bild: Jetzt braucht es keinen Rechner mehr für Alex FM – ein olles Radio tut… | |
Vor den Mikrofonen im Studio stehen drei junge Männer. Noch läuft Musik, | |
doch gleich geht’s los. „Wir fangen um 16.13 Uhr an. Das ist in 50 | |
Sekunden“, sagt Lucas routiniert zu den anderen Kollegen. Kurz besprechen | |
sie, wer welchen Programmpunkt übernimmt. „Ich sag was über den Typen“, | |
sagt Clemens Zabel. „Und ich erzähl, warum das alles Blödsinn ist“, sagt | |
Maurice Matthieu. | |
Er stellt sein Mikro auf die richtige Sprechhöhe, Lucas gibt das Zeichen, | |
drückt einen Knopf auf dem Technikpult, startet damit den Jingle für die | |
Sendung. Die roten Lampen über den Mikros gehen an, kurze Begrüßung, und | |
schon sind die drei mitten in der Diskussion darüber, ob Leben auf dem Mars | |
möglich ist. | |
## Leben im Weltraum | |
Der Millionär Elon Musk habe inzwischen ziemlich konkrete Pläne, wie er den | |
Mars besiedeln möchte, erzählt Lucas. Aber worum geht es hier eigentlich? | |
Um Leben im Weltraum? Oder auf einem Planeten? Kurz danach dreht sich das | |
Gespräch um Filme, in denen der Mars besiedelt wurde. Sie diskutieren, wie | |
wahrscheinlich es ist, das Musk seine Expedition realisiert, und darüber, | |
wie teuer diese wohl wäre. „Ich find’s jedenfalls cool, dass wir in einer | |
Zeit leben, in der die Menschen darüber nachdenken, zum Mars zu fliegen“, | |
sagt Lucas. | |
Seit sieben Jahren machen die drei Mittzwanziger gemeinsam Radio bei Radio | |
Alex. Der Sender bietet die Räume und Produktionsmöglichkeiten, das | |
Programm machen Bürgerinnen und Bürger. In seiner jetzigen Form ist der | |
Radio- und Fernsehsender Alex aus dem Offenen Kanal Berlin (OKB) | |
hervorgegangen. Der Sender befindet sich in einem ehemaligen Fabrikgebäude | |
der AEG in der Voltastraße in Gesundbrunnen. | |
Offene Kanäle, Freie Radios und Bürgerfunk entstanden in den späten 1980er | |
Jahren als Reaktion auf die Privatsender. Sie sollen allen interessierten | |
Bürgerinnen und Bürger einen Zugang zu Medien und die Teilhabe ermöglichen, | |
vor allem also Produktionsmittel bereitstellen. | |
„In das Programm reden wir nicht rein, aber wir geben den Leuten inzwischen | |
schon eine Rückmeldung dazu“, sagt Anna Wolowski, die den Radiobereich | |
betreut. Ihrer Ansicht nach sei das Programm dadurch besser geworden, die | |
Bürgermedien hätten nun einen besseren Ruf. | |
Lucas, Zabel und Matthieu haben sich in der Jugendsendung „Hörsturz“ | |
kennengelernt und nach der Schulzeit mit „Ninja Pirate Radio“ ihre eigene | |
Sendung entwickelt. Darin sprechen die drei alle zwei Wochen über Filme, | |
Comics, Spiele und Technik. „Wir sind das Nerd Feuilleton“, scherzt | |
Matthieu. „Über die Woche sammeln wir Themen, über die wir uns in der | |
Sendung unterhalten“, sagt er. Groß vorbereiten müssten sie sich meistens | |
nicht. Die meisten Themen liefen ihnen eh über den Weg, sagt Lucas. | |
Eine Stunde später haben sie weitere Gesprächsrunden mit ein paar Songs | |
dazwischen aufgenommen. Die Sendung wird diesmal nicht live ausgestrahlt, | |
sondern für einen späteren Zeitpunkt vorproduziert. | |
Es ist dennoch eine besondere Sendung, die sie am heutigen | |
Mittwochnachmittag Ende September aufgenommen haben. Denn sie wird direkt | |
auf der neuen, eigenen UKW-Frequenz von Radio Alex ausgestrahlt werden. | |
Seit Oktober ist der Sender rund um die Uhr über die Frequenz 91,0 in | |
Berlin zu hören. Damit können nun alle Sendungen über UKW verbreitet | |
werden. Das war bisher nur für etwa die Hälfte der Sendungen möglich, alle | |
anderen liefen über den Internetstream. | |
## Sendungen im Wochentakt | |
Insgesamt machen etwa 200 Menschen bei Radio Alex Programm. Die meisten | |
ehrenamtlichen Radiomacher bereiten ihre Sendungen zu Hause vor und kommen | |
dann ins Studio, um live zu senden oder die Sendung zur späteren | |
Ausstrahlung vorzuproduzieren. 110 verschiedene Sendungen laufen | |
regelmäßig, entweder im Wochentakt, zweiwöchentlich oder monatlich. Es gibt | |
Programme über Sport, Stadtleben, Kultur, über Politik oder Esoterik. | |
Die zwanzigjährige Lara Schneider produziert gemeinsam mit einer Freundin | |
die Sendung „Hauptstadtsafari“, darin geht es um Stadtkultur. „Wir machen | |
viel über Musik, laden Bands ein, haben aber auch schon Talksendungen | |
ausprobiert“, sagt sie. Seit sie 14 Jahre alt ist, produziert sie ihre | |
Sendungen bei Alex Radio. Sie schätze das Angebot, weil sie sich hier | |
ausprobieren könne, sagt sie. | |
So geht es auch Jens Fritze, der bei „Rock City Radio“ alle zwei Wochen | |
Hardrock oder Heavy Metal Bands vorstellt. Über 200 Interviews hat er | |
inzwischen geführt und dabei viele Idole seiner Jugend getroffen. „Ich | |
mache eher eine Fan-Sendung“, sagt er. | |
Manche Musiker überraschen ihn. So wie der Sänger von den Eagles of Death | |
Metal, auf dessen Band im November 2015 während eines Konzert im Bataclan | |
in Paris ein Terroranschlag verübt wurde. „Der ist in den USA in der | |
Waffenlobby und hat eine sehr positive Einstellung zum Besitz von | |
Schusswaffen“, sagt Fritze. „Man denkt immer, Rockmusiker sind doch | |
irgendwie Rebellen, aber dann kommen da manchmal ganz konservative | |
Ansichten.“ | |
Viele Sendungen bei Radio Alex werden von nur einer Person gemacht, andere | |
arbeiten in kleinen oder größeren Teams zusammen. „Die Zeit, wo wir | |
irgendwie entscheiden mussten, wer in die UKW-Sendeschienen kommt und wer | |
über den Internetstream sendet, ist zum Glück vorbei“, sagt Anna Wolowski. | |
„Über die UKW-Frequenz erreicht man immer noch die meisten Leute. Für alle, | |
die bei uns mitmachen, ist es ein großer Anreiz, wenn die eigene Sendung | |
einen Platz im UKW-Programm hat“, sagt sie. Dass sie die Frequenz bekommen | |
haben, sei für sie auch eine Bestätigung dafür, was die ehrenamtlichen | |
Radiomacher auf die Beine stellen. Nun könnten auch mehr Sendungen live | |
laufen. | |
## Besser als Internetradio | |
Die Situation im Studio bei einer Livesendung ist im Prinzip die gleiche | |
wie bei der Vorproduktion. „Aber live hat es schon eine andere Dynamik, es | |
macht mehr Spaß“, sagt Lucas. „Der Gedanke, dass das, was ich sage, jetzt | |
draußen ist, ist was Besonderes.“ Auch wenn es in ihrer eigenen Sendung | |
viel um Internetphänomene geht, finden die drei nicht, dass das Internet | |
das Radio ablösen oder ersetzen könnte. | |
„Die Menschen haben immer noch viele Radios, sie hören viel über UKW, zum | |
Beispiel auch im Auto“, sagt Lucas. „Generell ist es für uns alle auch eine | |
große Wertschätzung, dass der Sender eine eigene Frequenz bekommen hat“, | |
sagt er. „Klar, wir sind Amateure“, sagt Matthieu. „aber Alex ist schon | |
professioneller als Internetradio. Es macht mehr Spaß, hier im Studio etwas | |
zu machen, als nur zu Hause etwas für einen Podcast mitzuschneiden.“ | |
In Bürgermedien wie Radio Alex finden vor allem Themen Platz, die sonst | |
wenig Beachtung finden. Das können Beiträge über kleine Proteste sein, die | |
von den großen Medien nicht aufgegriffen werden. Oder Sendungen, die viel | |
mit den persönlichen Interessen der Moderatoren und Redakteure zu tun | |
haben. Die Idee ist, dass sie das Angebot der lokalen Medien ergänzen und | |
nebenbei auch Medienkompetenz vermitteln. | |
## Radio zum Beruf machen | |
Auch wenn Lucas, Matthieu und Zabel im echten Leben in ganz anderen | |
Bereichen arbeiten und studieren, könnten sie sich grundsätzlich schon | |
vorstellen, auch mal professionell Radio zu machen. Er zählt einige Namen | |
von Freunden aus der früheren Hörsturzredaktion auf, die inzwischen bei | |
Fritz, Radio Eins oder einem privaten Lokalradio gelandet sind – und das | |
gerade durch die Erfahrungen, die sie bei Alex gemacht hätten. | |
„Wenn jemand käme und mir anböte, damit Geld zu verdienen, würde ich nicht | |
Nein sagen“, sagt Lucas. „Aber andererseits, die Freiheit, die Alex bietet, | |
Radio so zu machen, wie wir wollen, die Musik zu spielen, die wir mögen, | |
oder für meine andere Sendung Bands zu interviewen, die mich interessieren, | |
das gefällt mir dann vielleicht doch besser.“ | |
5 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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