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# taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Mein eigener Mount Wilson
> Jeder hat irgendwann und irgendwo seinen Berg zu erklimmen. So Beach Boy
> Brian Wilson und so auch ich.
Bild: Strandmenschen nach dem Barfußpfad
Als ich den Hügel hinaufstieg, der in der flachen Gegend, in der meine
Eltern wohnen, tatsächlich als [1][Berg] gilt, musste ich an Brian Wilson
denken.
Neulich hatte ich [2][den Film über sein Leben] sehen wollen, „Love and
Mercy“ heißt er. Ich kam zu Fuß von der Arbeit, jede Bewegung zählt, und
ging zufällig zur rechten Zeit an dem Kino vorbei, in dem der Film lief –
und kaufte mir kurz entschlossen eine Karte. Aber kaum dass ich in der
dritten Reihe in einem recht leeren Saal saß, fiel mir ein, dass ich noch
einen Termin hatte.
Absagen wollte ich nicht, verschieben war unmöglich – und vom Film würde
ich höchstens eine halbe Stunde sehen, wenn ich pünktlich sein wollte. Also
eilte ich wieder hinaus. Ich verkaufte mein Ticket zu einem günstigeren
Preis an eine Dame, die draußen auf ihre Begleitung wartete und fünf
Minuten lang in ihrem Rucksack nach dem passenden Geld kramte, und war
froh, rechtzeitig zur Physiotherapie zu kommen. Jede Hilfe zählt.
Aber das ist gar nicht die Geschichte, auf die ich hinauswill. Auf meinem
Weg den weithin einzigen niederrheinischen Hügel hinauf musste ich daran
denken, dass sich Brian Wilson in den siebziger Jahren – seine Hochphase
war lange vorbei, seine Brüder hatten das Kommando übernommen und eine
andere Art von kalifornischer Schwermut in die Musik gebracht, ohne an die
früheren Erfolge anknüpfen zu können – endlich einem Psychologen
anvertraute.
Der kurierte ihn von der Eigenart, sich im Schrank zu verstecken, wenn eine
Entscheidung getroffen werden sollte; er kurierte ihn von seiner
Koffeinsucht (Wilson soll täglich ganze Kannen getrunken haben) und der
lange währenden Lethargie, in der das einstige Genie Tage, Wochen, Monate
im Bett verbracht hatte.
Und schließlich sollte es einen Berg hinauf gehen. Eigentlich ein Ding der
Unmöglichkeit für den ängstlichen, behäbigen, unfitten Wilson. (Dass sein
Psychologe, Eugene Landy, sich zu einer Bedrohung für Wilsons Gesundheit
auswuchs, ist eine andere Geschichte, die in besagtem Film erzählt wird.)
## Den Schmerz wegficken
Interessant ist, dass Wilson seine psychotischen Abgründe meist nur
indirekt in seine Musik goss. In seinem Frühwerk ging es hauptsächlich um
Sonne, Sommer, Strand, Mädchen und Autos – und ums Surfen. Nur eine leichte
Wehmut schimmerte im Hintergrund – der musikalische Schmerz eines von
seinem Vater geschlagenen Kindes. Für Ratschläge wie „[3][Fuck the Pain
Away]“ (Peaches) war die Zeit eben noch nicht reif.
Fast zwanzig Jahre später, schon jenseits der lahmen und restverstrahlten
siebziger Jahre, sollte der Beach Boy also seinen Berg erklimmen, den „Mt.
Wilson“. Mein Berg, dachte ich, als ich ziemlich rasch und gleich beim
ersten Versuch oben angekommen war, ist dagegen vielleicht doch eben nur:
ein Hügel.
Ich zog die Schuhe aus, um den neu angelegten „Barfußpfad“ auszutesten, und
summte ein anderes Lied, das ich morgens im Radio gehört hatte. „The
miracle of love“, singt da Annie Lennox von den [4][Eurythmics], die
wahrscheinlich auch nicht von ungefähr so hießen, „will take away your
pain.“ Na dann. Warte ich also auf ein Wunder. „Love and Mercy“, den Film
über Brian Wilson, habe ich übrigens immer noch nicht gesehen.
11 Jul 2015
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Elten
[2] /Filmbiografie-ueber-Brian-Wilson/!5203388
[3] https://www.youtube.com/watch?v=GmFp0I8AZqw
[4] https://www.youtube.com/watch?v=s901V3GvELQ
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Unter Schmerzen
Beach Boys
Neue Musik
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Drogen
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