# taz.de -- Filmbiografie über Brian Wilson: Elektrisch verstärkter Joghurt | |
> „Love & Mercy“ von Bill Pohlad widmet sich Brian Wilson, dem Kopf der | |
> Beach Boys. Schön: Die Arbeit im Tonstudio erhält viel Raum. | |
Bild: Der dreifache Wilson: Das Orginal ist eingerahmt von den Schauspielern Pa… | |
Braucht irgendwer noch ein Biopic? Ein Biopic über einen Musiker darüber | |
hinaus, über dessen weitgehend trostloses Leben eh schon viel zu viel, über | |
dessen Kunst dagegen viel zu wenig geredet worden ist? | |
Um Brian Wilson, Kopf der Beach Boys, deren Meisterwerk „Pet Sounds“ seit | |
vielen Jahren zuverlässig zur besten Pop-Platte aller Zeiten gewählt wird, | |
und seinen physischen und psychischen Zusammenbruch in den folgenden Jahren | |
sind ja zahllose Meinungen, Mythen und Genie-Spekulationen im Umlauf; | |
wenige reden darüber, welche ausgetüftelten konstruktiven Ideen ihn dazu | |
brachten, Joghurtbecher elektrisch zu verstärken. Und überraschenderweise, | |
ja, „Love and Mercy“ von Bill Pohlad hat durchaus etwas zu bieten, was man | |
von einer aus dem Inner Circle um das gezeichnete Genie in Auftrag | |
gegebenen Arbeit nicht unbedingt erwarten durfte: relevante und stimmig | |
erzählte Momente aus der Studioarbeit der Beach Boys in den mittleren | |
1960ern. | |
Die Erzählung, an der auch Oren Moverman beteiligt war, der mit Todd Haynes | |
an dem vorbildlichen Dylan-Theorypic „I’m Not There“ gearbeitet hat, läu… | |
auf zwei Ebenen. Ebene eins erzählt von den späten 80er und frühen 90er | |
Jahren. | |
Wilson wird seit über einem Jahrzehnt von dem ihn nach Strich und Faden, | |
finanziell und psychologisch ausbeutenden Psycho-Guru Eugene Landy nahezu | |
gefangen gehalten. Dafür wurde er zwar physisch etwas stabiler und | |
psychisch so berechenbar, dass er wieder arbeiten konnte, doch der | |
diabolische Dr. Landy sicherte sich Tantiemen und Songwriterrechte. | |
## John Cusack als glaubwürdiges Pharmaopfer | |
Wilson leidet noch heute unter den Folgen der überdosierten Psychodrogen. | |
Wäre nicht die aufopferungsvoll liebende Melinda Ledbetter in sein Leben | |
getreten und hätte es dem Doctor mit ihrem dermaßen auf dem rechten Fleck | |
sitzenden Herzen gezeigt! Sie alarmiert Brians Bruder Carl, und schließlich | |
werden in – im Film aber nur fürs Happy End erwähnten und nicht gezeigten �… | |
Prozessschlachten die Copyrights zurückgewonnen, und Landys | |
Patientenmissbrauch wird so genau dokumentiert, dass er seine Zulassung als | |
Psychiater verliert. Dieses all American beauty vs. Evil-shrink-Drama wäre | |
unerträglich ohne den Erfindungsreichtum, mit dem sich John Cusack als | |
Pharmaopfer immer neue Tics und Manierismen ausdenkt. | |
Die zweite Ebene schildert die Mid-Sixties: der musikalische Abenteurer im | |
Kampf gegen den Republikaner-Cousin Mike Love, der die Beach Boys auf ewig | |
als Surf- und Fun-Kapelle fixieren will, und den Prügel-Vater, der dasselbe | |
und Schlimmeres will. Die Tatsache, dass das zweite Meisterwerk ("Smile“), | |
auch wegen dieser Konstellation nie vollendet werden konnte, hat schon in | |
den frühen Tagen des CD-Zeitalters dazu geführt, dass den mittlerweile | |
geschichtsbewussten Fans jede Menge Outtakes, Varianten, angefangene Stücke | |
und anderes Material aus den Sessions zu „Pet Sounds“ und „Smile“ angeb… | |
wurden und immer neue, „vollständigere“ historisch-kritische Editionen der | |
Beach-Boys-Klassiker auf den Markt kamen: Im Extremfall wurden aus einer LP | |
fünf CDs. | |
## Feinste Details | |
Aus diesem Material wurden nun die Bausteine der großartigen Studioszenen | |
gewonnen. Als hätte man um die verschiedenen Versionen herum die | |
Arbeitsschritte rekonstruiert, die in immer tieferen Verfeinerungen den | |
Berg von weniger musikalischer als vor allem konzeptueller Komplexität | |
hervorgebracht haben, von dem Brian dann irgendwann nicht mehr herunterkam. | |
Feine Details wie ein Arbeitsgespräch mit einem der zahllosen | |
Sessionprofis, dem Schlagzeuger Hal Blaine, der mit jedem von Elvis bis | |
Sinatra und Steely Dan gespielt hat und Brian für seine Ideen lobt, oder | |
ein Plot, der um den Song „I Know There’s An Answer“ und dessen | |
ursprünglichen, von Mike Love als zu intellektuell abgelehnten Text „Hang | |
On Tor Your Ego“ kreist, vervollständigen eine Schilderung von | |
Pop-Musik-Produktion, die sich mal nicht an Hits und Heroin aufhängt, | |
sondern Arbeitsprozesse transparent macht. Es hilft, dass Paul Dano ein | |
großartiger junger Brian ist und es genügend Vorbildmaterial aus Werbung | |
und TV-Clips rund um die alten Beach Boys gibt, um ein variantenreiches, | |
aber dennoch typisches Californian-Dream-Outdoor-Set zu bauen, von dem sich | |
die Arbeitsphasen klar abheben. | |
Mithilfe der zahllosen charakteristischen Soundschnipsel aus den | |
Session-Outtakes ist es sogar gelungen, die akustischen Halluzinationen und | |
Soundalbträume einigermaßen plausibel und klanglich anregend zu gestalten, | |
über die Wilson damals geklagt hat und die seiner brillanten Studiokunst | |
schließlich eine Grenze gesetzt haben. So könnte man sich hier über ein zum | |
Leben erwecktes, längst verstorbenes Genre freuen, wenn da nicht auch der | |
offizielle Teil wäre: Die von ihr selbst koproduzierte Heiligsprechung der | |
Frau Wilson, die man sich irgendwie als Nachfolgerin von Dr. Landy | |
vorzustellen nicht umhinkann. | |
11 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
## TAGS | |
Drogen | |
Queer | |
Unter Schmerzen | |
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