# taz.de -- Brian Wilson auf Deutschlandtour: Aus dem Koma erwacht | |
> Zurück auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Brian Wilson zeigt sich | |
> zum Auftakt seiner Deutschlandtour in München als inspirierter Schatten | |
> seiner selbst. | |
Bild: Brian Wilson macht wieder, was er in den 60ern verlernt hatte: Brian Wils… | |
"Were trying to do the best concert we can. Were not the Beatles … were | |
just us." Gut, dass es Brian Wilson zum Auftakt seiner Deutschlandtour in | |
München erwähnt. Es muss eine Zeit gegeben haben, als solche | |
Identitätsgewissheiten im Drogenwahnsinn untergegangen sind. Nun kommt er | |
wackligen Schrittes auf die Bühne, setzt sich hinter sein Keyboard. | |
Um ihn herum gruppieren sich neun Musiker, die auch so etwas wie einen | |
Betreuungsstab bilden, ihm kurz vor der Pause, als die Laune zu schwinden | |
droht, aufmunternd die Schultern massieren und selbstlos einspringen, wenn | |
der Text mal hakt. Und die aufpassen, dass der Mann in ihrer Mitte das tut, | |
was er irgendwann in den 60ern verlernt hatte, nämlich Brian Wilson zu | |
sein, der wundersamste Komponist, der bis dato auf die Popwelt gekommen | |
war. | |
So geht es mittlerweile seit acht Jahren, nachdem Wilson von irgendeinem | |
guten Geist aus einem langen Koma erweckt wurde, in das ihn Ende der 60er | |
das Scheitern an seiner Gott zugedachten Sinfonie "Smile" versetzt hatte. | |
Schon in den Neunzigern gab es Lebenszeichen, aber Anfang des Jahrhunderts | |
war er tatsächlich zurück auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die | |
Nachrufe, die bereits in den Schubladen lagen, konnten umgeschrieben werden | |
zu Elogen auf ein wiedererwachtes Genie. | |
Man bestaunte diesen sichtlich gealterten Mann, weil ihm noch immer das | |
Wunderkind ins Gesicht geschrieben stand. Die Stimme war die | |
herzzerreißende Reminiszenz an die des jungen Wilson; sie traf nicht jeden | |
Ton, aber doch die Stimmung eines jeden Stücks. Und mit der Stimme und den | |
Songs stand auch die gesamte Geschichte im Raum - der etwas pummelige | |
Brian, der im Kinderzimmer auf dem Klavier die Harmonien der Four Freshmen | |
nachspielt, der vom Vater, einem erfolglosen, cholerischen Komponisten, zum | |
Hitlieferanten getrimmt wird; mit seinen Brüdern die amerikanische Antwort | |
auf die Beatles gibt; die betörendste Musik seit Bach schreibt und das | |
Studio als riesiges Instrument mit erfindet. Wilson revolutioniert die | |
Popmusik mit seinen Einfällen, obwohl er auf einem Ohr fast taub ist und in | |
seinem Kopf seltsame, unverwirklichbare Dinge hört. 2004 hat er "Smile" | |
doch zu Ende gebracht und das große Trauma überwunden. | |
Ob ihm seine seither regelmäßigen Auftritte Freude bereiten? An seinen | |
Zügen kann man es schwerlich ablesen, wenn er im nicht ausverkauften | |
Deutschen Theater in München angestrengt auf den Teleprompter starrt. Die | |
Show jedenfalls ist - abgesehen von anfänglichen Soundproblemen - | |
musikalisch perfekt: Von solchen Darbietungen hatte Wilson geträumt in den | |
Sechzigern, als die Verstärker noch rumpelten und die Mädchen das, was vom | |
Klang übrig blieb, niederkreischten. | |
Im Mittelpunkt des Konzerts steht das Frühwerk: Zwei Stunden lang reiht | |
sich Surfhit an Liebessehnsuchtshymne, die meisten davon hat dieser Mann | |
innerhalb von drei, vier Jahren zwischen 1962 und 1966 geschrieben. Es sind | |
Songs, die an der Oberfläche etwas von himmlischen Chören erahnen lassen | |
und deren Harmonien pazifisch tief erscheinen: Dort unten im Dunkel lauern | |
die Begierden nach einem anderen Leben - wouldnt it be nice. Brian Wilson | |
verkörpert diese Ambivalenz; seine Lieder dringen vor ins Unbewusste eines | |
idealen Surfers, der besungen wird und Traumgespinst bleibt. Selbst wenn | |
sie das heiterste Leben feiern, können sie die Angst vorm Ertrinken nicht | |
verleugnen. | |
Coverband seiner selbst | |
Dieser Auftritt der besten Beach-Boys-Coverband ever, die sich um einen | |
Gezeichneten schart, hat weder etwas Nostalgisches noch etwas | |
Zukunftsweisendes und leider auch wenig Auratisches: Sie zelebriert ein | |
zeitloses Erbe, vergegenwärtigt eine inspirierte Musik, die tatsächlich | |
historisch geworden ist und gleichwohl noch immer von ihren Ideen glänzt. | |
Die Dinge, über die Wilson einst gesungen hat - "Dance Dance Dance" und | |
"Fun Fun Fun" - hatten schon damals wenig mit ihm selbst als Person zu tun: | |
Es sind Kunstlieder im wahrsten Sinne des Wortes, Fantasien in Dur, in die | |
sich unversehens Mollakkorde einschleichen. | |
Brian Wilson singt, wenn er vom Schönen singt, immer auch von seinem | |
Gegenteil. Ein wenig scary ist das, und nichtsdestotrotz ist es wundervoll | |
und trostreich, dass man dem Leid etwas Erhabenes abringen, sich mit | |
Engelsstimmen des Teufels erwehren kann. Die Zuhörer - von Michael Schanze | |
über herumzappelnde Jugendliche und Opernglasgucker bis zu | |
Stars-n-Stripes-Fahnen schwingenden Amis - hats jedenfalls gefreut. Sie | |
haben umso ausgiebiger für die mitgeschunkelt und -geklatscht und | |
-gejubelt, die an diesem Sommerabend nicht dabei waren. | |
6 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Rüdenauer | |
## TAGS | |
Drogen | |
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