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# taz.de -- Debütalbum von Lyra Pramuk: Posthumanes Singen
> Lyra Pramuk gibt auf dem Album „Fountain“ ihrer sphärischen Stimme viel
> Raum. Auch der Trans-Community verschafft die US-Sängerin mehr Gehör.
Bild: Flamboyantes Äußeres: Lyra Pramuk
Als wär’s eine halbe Ewigkeit her, so diktiert die aktuelle
Corona-Isolation bereits das Zeitgefühl: Erst vor wenigen Wochen, Ende
Januar, bekam man man beim Festival CTM in Berlin noch aufregende Musik
live geboten. In vollen Clubs lauschte man, ohne für einen Augenblick über
fremden Atem im Nacken nachzudenken. Wie an jenem Abend, als die
US-Sängerin Lyra Pramuk mit sphärischer Stimme das Berghain durchflutete.
Mit ihrer flamboyanten Erscheinung – wallende blonde Mähne, schillerndes
Make-up, azurblau-schwarz-gelbes Designerkleid, verzauberte sie, umgeben
von einem fast übertrieben schönen Blumenbouquet, ihr Publikum. So
abgedroschen das jetzt freilich klingen mag.
Nun ist Pramuks Debütalbum beim Label Bedroom Community erschienen.
„Fountain“ heißt es und enthält sieben Songs, die das Visuelle zwar nicht
mitübertragen können, dafür aber reichlich Gelegenheit bieten, sich auf das
Wesentliche zu konzentrieren: Pramuks Gesang. Auf der Stimme beruht das
gesamte Album. Sie ist die Signatur von Pramuks Musik, das Instrument, das
hauptsächlich zu hören ist, nur ein wenig elektronisch umspielt und
natürlich aufbereitet und moduliert.
## Studium in New York
Eine Stimme sein will Pramuk auch über das Singen hinaus für die queere und
die Trans-Community. Pramuk wuchs in einer Kleinstadt in Pennsylvania auf.
Schon früh, so heißt es, bemerkte sie, dass sie, der bei der Geburt das
männliche Geschlecht eingetragen wurde, mit den üblichen Genderrollen nicht
zurechtkam. Sie floh in die Großstadt, studierte an der Eastman School of
Music in New York klassische Musik, Musikpädagogik und Performance. 2013,
nach ihrem Abschluss, kam sie mit einem Graduiertenstipendium des DAAD nach
Berlin, damals noch als scheinbar queerer Mann, verliebte sich in die Stadt
und fasste Mut, ihren Weg zu gehen.
In Berlin entschied sie sich, auch äußerlich Frau zu werden, was sich
auszugsweise auf ihrem Instagramprofil nachverfolgen lässt, inklusive
Vorher-nachher-Bildern und Aufnahmen nach der Gesichts-OP. Transparenz und
Öffentlichkeit versteht Pramuk, so scheint es, als einen Aspekt ihres
Aktivismus.
Musikalisch hatte sie bislang vor allem im Hintergrund gewirkt, für andere
Künstler:innen, die wie sie für eine durchaus politisch zu verstehende
Rückbesinnung auf die Kraft der menschlichen Stimme stehen, dabei gleichsam
aber auch eine Neugier und Offenheit gegenüber Technologien mitbringen,
etwa für Colin Self. Pramuk modelt außerdem und tritt in Kunstperformances
auf.
## Neuerfinden beim Verwandeln
Letzteres etwa für die Künstlerin Donna Huanca, die nun im Gegenzug das
Cover für Pramuks Debütalbum gestaltet hat. Dass dieses „Fountain“ betite…
ist, hat übrigens eine simple Erklärung: Der Name Pramuk stammt aus dem
Tschechischen und bedeutet dort so viel wie „Quelle“. Gleichzeitig lässt
sich der Titel natürlich auch im übertragenen Sinne verstehen, für den
Prozess der Künstlerin, durch den sie sich neu gestaltet hat.
Zurück zur Musik: Das Auffällige an Pramuks Gesang ist, dass es dabei viel
mehr um das Wie als das Was zu gehen scheint. Texte sind kaum auszumachen
oder zu verstehen, das meiste sind einfach Töne, Vokale, loopartig
aneinander gereihte Silben, die mal an abstrahierte Gesangsübungen, mal an
gregorianische Choräle erinnern, mal an Roboterstimmen, Klänge, die wabern
und flirren, fordern und dann wieder elfengleich wispernd das Ohr
umschmeicheln. Ein treibendes Spiel mit Stimmlagen ist etwa „Gossip“, der
zweite Song nach „Tendril“, den Pramuk vorab als Single veröffentlicht
hatte.
Pramuk hat durchaus einen Sinn für Sprachen, spricht selbst mehrere,
arbeitet zudem schriftstellerisch. Dass sie bei ihren Songs bewusst darauf
verzichtet, sich stattdessen ganz auf deren sinnliche Wirkung konzentriert,
ist umso bemerkenswerter.
## Ungemein entspannend mit ASMR-Geflüster
Auf ein paar der Songs arbeitet Pramuk mit ASMR-Geflüster, jener sonoren
Tonlage, die ungemein entspannend wirken soll. Musik war für sie Teil ihrer
persönlichen Heilung, nicht ganz ausgeschlossen, dass ihr Werk auch auf
andere eine heilende Wirkung haben könnte.
Jedoch ist es dabei so wie bei so mancher Medikation: Mitunter wird es
anstrengend. Zum fröhlichen Mal-eben-so-Zuhören eignet sich das Album kaum.
Ohnehin würde das nicht zum selbstgesetzten hohen Anspruch passen.
„Fountain“, so steht in der Pressemitteilung, erkunde ein posthumanes,
nichtbinäres Verständnis von Leben und dessen fragile Ökosysteme.
Bleibt zu hoffen, dass man diesem Erkunden bald nicht mehr alleine lauschen
muss, man Pramuk, wie auch alle anderen Musiker:innen der Stadt, mal wieder
auf Bühnen singen hören und dabei sehen kann.
9 Apr 2020
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
Trans-Community
Stimme
USA
Beatrice Dillon
CTM Festival Berlin
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