| # taz.de -- Debütalbum von Jayda G: Killerwal auf dem Dancefloor | |
| > Jayda G hat zwei Standbeine: Meeresbiologie und elektronische Tanzmusik. | |
| > Ihr upliftendes Debütalbum „Significant Changes“ vereint beides. | |
| Bild: Ein Dancefloor ist kein Parkplatz: Jayda G | |
| „Free Willy“, die dramatische, nicht nur Kinderherzen erwärmende Story von | |
| der Befreiung eines gefangenen Orcawals, der im viel zu kleinen Bassin | |
| eines Vergnügungsparks behämmerte Kunststückchen vollführen muss und dann | |
| abgemurkst werden soll, damit sein Besitzer die Versicherungssumme für den | |
| Meeressäuger einstreichen kann, findet jetzt eine rührende Fortsetzung auf | |
| dem Dancefloor. Wie bitte? Auch das noch! Gegenfrage: Warum eigentlich | |
| nicht? | |
| Es ist der Lieblingsfilm von Jayda Guy, die sich als Houseproduzentin Jayda | |
| G nennt. Aber nicht nur deshalb hat die 30-jährige Kanadierin auf | |
| „Significant Changes“, ihrem geradezu befreiend upliftend klingenden | |
| Debütalbum genau in der Mitte den Track „Orca’s Reprise“ platziert. Einf… | |
| so würde man die Aufnahmen vom schnatternden und freundlich fiependen Sound | |
| eines niedlichen Killerwals als musikalisches Zwischenspiel, versehen mit | |
| einem subaquatisch wabernden Piano und fließenden Flöten-Keyboard-Sounds | |
| möglicherweise kitschig finden. Andererseits ist Kitsch im Fach Popmusik | |
| auch nicht grundsätzlich verboten. | |
| Außerdem muss man dazu noch wissen, was auch kaum ein Text über die | |
| Musikerin zu erwähnen vergisst, dass Jayda Guy im richtigen Leben | |
| Meeresbiologie sowie Umwelt- und Ressourcen-Management studiert hat. Zu | |
| ihrer Fächerwahl hatte sie eben der Spielfilm „Free Willy“ inspiriert. Guys | |
| Masterarbeit (Note: sehr gut) hat Wasserverschmutzung durch Chemikalien zum | |
| Thema, etwas, was das Leben von Schwertwalen vor der Westküste Kanadas | |
| bedroht. Bei vielen anderen Dancefloor-Produzenten ist das Motiv ja auch | |
| drei Tage wachbleiben und Ketamin mampfen, bis die Kinnlade klemmt. Jayda | |
| G hat in einem Job für das Gesundheitsamt von Vancouver schon mal invasive | |
| Fruchtfliegen erforscht. Für Ausgehkultur interessiert sie sich gar nicht | |
| so übermäßig, mehr liegt ihr am Schutz der Umwelt, was sie im Track „Missy | |
| knows what’s up“ zur Sprache bringt: mit den gesampelten Aussagen einer | |
| Biologie-Kollegin, „Environment is threatened and wild life is being | |
| killed“, all das von einem fetten 4-to-the-Floor-Beat unterfüttert. Jayda G | |
| scheint die Liebe zur Natur ein Anliegen zu sein. | |
| ## Auf den Pazifik schauen | |
| Was ihren ökologischen Fußabdruck anbelangt, muss die Kanadierin allerdings | |
| kräftig bei Atmosfair einzahlen. Weil es mit dem Deejaying in Europa | |
| momentan gut läuft, pendelt sie oft zwischen Vancouver an der kanadischen | |
| Westküste und ihrer Wahlheimat Berlin hin und her. Am liebsten blickt sie | |
| von der Pazifikküste aufs Meer und lässt sich so zu neuer Musik animieren, | |
| hat sie erzählt. | |
| Die Ortswahl Berlin ist eher gewöhnlich. Viele angloamerikanische | |
| Dancefloor-ProduzentInnen und DJs wählen Berlin als (zeitweillige) Adresse | |
| aus, weil es sich von hier aus günstig zu europäischen Auflege-Zielen | |
| reisen lässt und die Lebenshaltungskosten vergleichsweise niedrig sind. | |
| Jayda G gibt Berlin aber auch etwas zurück. Etwa in dem Label Freakout | |
| Cult, das sie mit dem norwegischen DJ Fettburger gründete, bis 2018 wurden | |
| auf ihm zehn Platten veröffentlicht. Nun hat Jayda G auch ein eigenes Label | |
| namens JMG gestartet. | |
| Ihre Biografie ist ungewöhnlich. Die Familie hat afrojüdische Wurzeln und | |
| stammt aus einer Kleinstadt nahe der kanadisch-amerikanischen Grenze, in | |
| der Pampa zwischen Vancouver und Calgary. „Wir waren die einzige schwarze | |
| Familie im Ort und stachen dementsprechend raus, fühlten uns aber immer | |
| wohl in der Community“, hat sie dem Intermagazin Resident Advisor erzählt. | |
| Ältere Geschwister und ihre Mutter haben ihr die Liebe zu Funk und Disco | |
| weitergegeben, was man als Spurenelemente in ihrer elektronischen | |
| Tanzmusik sofort ausmachen kann. | |
| ## Vergesst Instagram | |
| House als Gemeinschaft oder besser Ersatzfamilie liegt Jayda G auch am | |
| Herzen. Der Hit auf ihrem Album heißt „Stanley’s get Down (No Parking on | |
| the DF)“, für den sie selbst Gesang und Sprechgesang aufgenommen hat. Es | |
| ist ein Lamento gegen die Präsenz von Smartphones im Club. Vergesst eure | |
| Instagram-Profile, singt Jayda G, bewegt den Arsch. | |
| Mit Housesound kam Jayda G während des Studiums in Vancouver in Berührung. | |
| Dort gibt es eine aktive Dancefloor-Szene, anders als in der männlich | |
| dominierten Szene andernorts mischen viele Künstlerinnen mit. Neben der | |
| Meeresbiologie, die immer wieder als Topos eingesetzt wird, ist Empowerment | |
| der zweite Strang in ihrem Schaffen. Jayda G produziert ihre Musik immer | |
| selbst, da will sie anderen Frauen ein Vorbild sein. Der Track „Move to the | |
| Front“ ist ein Appell an die Ladys, sichtbar zu werden. Oft kollaboriert | |
| Jayda G auch mit Kolleginnen, wie LNS (Laura Sparrow) Laylay (Layla Soeker) | |
| und Alexa Dash. LNS hat Jayda G das Deejaying beigebracht. Sie spricht von | |
| Solidarität, sagt, wie wichtig es ist, sich, statt zu konkurrieren, | |
| gegenseitig Tipps zu geben. | |
| Der Killerwal, der den Willy im Film spielte, wurde übrigens auch aus einem | |
| Vergnügungspark befreit, aber hat, auf sich allein gestellt, das Leben in | |
| freier Wildbahn nicht lange überlebt. | |
| 1 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
| ## TAGS | |
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