# taz.de -- Debatte um Safe Spaces: Bitte nicht den Kopf schütteln | |
> Britische Unis etablieren Safe Spaces – Orte, an denen nicht | |
> diskriminiert werden darf. Kritikern geht das zu weit. Wo endet die | |
> Meinungsfreiheit? | |
Bild: Zu laut: Damit sich niemand am Lärm stört, sollte auf einem Kongress ni… | |
Vor ziemlich genau einem Jahr reiste die feministische Autorin Germaine | |
Greer nach Wales an die Universität von Cardiff, um eine Vorlesung zur Lage | |
der Frauenrechte zu halten. Die Autorin des Buchs „Der weibliche Eunuch“, | |
eines Klassikers der zweiten Frauenbewegung, wollte eigentlich über | |
Geschlecht und Macht im 21. Jahrhundert sprechen. Doch die | |
Studentenvereinigung hatte eine anderen Plan. | |
Entsetzt über Greers Standpunkt, Transfrauen seien keine „echten“ Frauen, | |
initiierten die Student*innen [1][eine Petition]. Sie forderten die Absage | |
der Vorlesung und Campusverbot für Greer. „Eigentlich sollten an einer | |
Universität Debatten angeregt werden“, hieß es in der Petition, „doch die | |
Einladung einer Dozentin mit einer solch zweifelhaften und hasserfüllten | |
Einstellung gegenüber marginalisierten und verletzlichen Gruppen gefährdet | |
dies.“ | |
Viele sprangen der radikalen Feministin zur Seite: Sie habe das Recht, ihre | |
Meinung zu äußern – sei sie auch noch so kontrovers. Doch die Petition | |
bekam mehr als 3.000 Unterschriften und bewirkte, dass die Vorlesung | |
zumindest verschoben wurde. Als Greer mit einem Monat Verspätung anreiste, | |
stand Polizei vor dem Gebäude bereit für den Fall, dass es zu | |
Ausschreitungen kommen sollte. | |
## Die Befürworter*innen | |
Der Fall Greer ist nur ein Beispiel für eine lange Reihe ähnlicher | |
Ereignisse, die sich in den letzten Jahren an britischen Universitäten | |
zugetragen haben. Und immer ging es Studierenden darum, Schutzräume zu | |
schaffen, sogenannte Safe Spaces. Hinter dem Konzept der Safe Spaces steht | |
die Idee, eine inklusive Umgebung, frei von diskriminierenden Äußerungen, | |
zu schaffen. Dies soll insbesondere marginalisierte Gruppen schützen, damit | |
sie sich willkommen und sicher auf dem Campus fühlen, egal welche Identität | |
oder welchen Hintergrund sie haben. | |
Transstudierende könnten sich womöglich „eingeschüchtert, marginalisiert | |
oder schikaniert fühlen“, wenn Greer spreche, sagt Payton Quinn, die | |
Studentin, die den Protest in Cardiff organisiert hat, der taz. Greer auf | |
der anderen Seite geht es um Redefreiheit: „Ich weiß nicht, warum | |
Universitäten keine unpopulären Ansichten hören können“, sagte sie vor | |
einem Jahr. | |
Das Konzept der Safe Spaces etablierte sich in den USA in den 60er Jahren | |
während der zweiten feministischen Bewegung. Damals ging es vor allem um | |
Schutzräume für Frauen, die in Ruhe Geschlechtergerechtigkeit diskutieren | |
wollten. Bald schon wurde diese Idee von anderen Bürgerrechtsbewegungen | |
adaptiert, und Safe Spaces wandelten sich zu Orten, wo sich Meinungen | |
möglicherweise unterschieden, aber alle Beteiligten ein gemeinsames | |
politisches Projekt unterstützten und frei waren, sich zu äußern. | |
In den letzten Jahren verbreitete sich das Konzept rasant – erst an | |
amerikanischen Universitäten, später an britischen. Mittlerweile gehört es | |
zu einer der am häufigsten geführten Debatten. Nicht nur unter Studierenden | |
wird über die Idee gestritten, auch unter Akademiker*innen, | |
Journalist*innen, Politiker*innen. Studentenvereinigungen fordern | |
mittlerweile Safe Spaces als offizielle Richtlinie an Universitäten. | |
Gleichzeitig wird das Konzept von vielen Seiten vehement kritisiert, auch | |
von der britischen Premierministerin Theresa May. Im September sagte sie, | |
das Konzept habe negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit. | |
Die heutigen Schutzräume unterscheiden sich von den ursprünglichen in zwei | |
Punkten. Erstens stellen identitätspolitische Aspekte das Konzept vor neue | |
Fragen: Wie unterscheidet sich zum Beispiel ein Schutzraum für weiße, | |
heterosexuelle Frauen von einem für schwarze, homosexuelle? Was macht einen | |
Schutzraum aus? | |
Einen zweiten Unterschied sieht der Professor Jonathan Zimmerman, Autor des | |
kürzlich erschienen Buches „Campus Politics“, in der Verwendung von | |
psychologischer Sprache, die mit geistiger Gesundheit in Verbindung steht. | |
Einen Schutzraum verstehe man heute als einen Raum, der einem Individuum | |
Schutz vor sämtlichen psychischen Verletzungen – sei es durch Handlungen, | |
Wörter oder Bilder – verspricht. In diesem Zusammenhang steht die Methode, | |
Individuen kein Rederecht zu gewähren, wie im Fall von Greer. Hier spricht | |
man von no-platforming. Eine andere Strategie sind Triggerwarnungen in | |
Unterrichtsmaterialien, also vorangestellte Hinweise, die vor besonders | |
sensiblen Inhalten wie sexueller Belästigung oder Gewalt warnen. Oder auch | |
das Verbot gegnerischer Gruppen und beleidigenden Materials auf dem Campus. | |
Eine Studie, die zu Beginn des Jahres veröffentlicht wurde, registrierte | |
148 Dinge und Institutionen, die im vergangenen Jahr an britischen | |
Universitäten verboten wurden, darunter Zeitungen, Musik und | |
Studentenclubs. | |
## Gegen radikale und linke Persönlichkeiten | |
Die Safe-Spaces-Bewegung hat für Überraschung gesorgt, als sie sich gegen | |
radikale und linke Persönlichkeiten stellte – neben Greer auch eine Reihe | |
von prominenten Menschenrechtsaktivist*innen –, die eigentlich bisher von | |
vielen Studierenden unterstützt wurden. | |
Bei all diesen Aktionen schwang immer eine Frage mit: Wie weit kann und | |
darf freie Rede eingegrenzt werden, um verletzliche und marginalisierte | |
Positionen zu schützen? Es ist eine Debatte darüber, welchen Schaden Ideen | |
anrichten können und ob problematischen Meinungen – auch rassistischen und | |
sexistischen – offen entgegengetreten werden soll oder sie zum Schweigen | |
gebracht werden sollen. | |
Die Unterstützer*innen von Safe Spaces plädieren für das Zweite. | |
„Verletzenden und unbegründeten Positionen eine Plattform zu geben | |
legitimiert sie“, sagt Quinn der taz, „Es ist richtig, Ultrarechten und | |
weißen Rassisten eine Bühne zu verwehren. Genauso sollte es auch mit | |
anderen verletzenden Positionen gehandhabt werden.“ | |
Doch Kritiker*innen entgegnen, dass dies eine inakzeptable Beschneidung | |
freier Meinungsäußerung sei und sich gegen den Geist intellektueller | |
Freiheit richte. Genau das soll doch zentraler Bestandteil einer gesunden | |
akademischen Kultur sein. Ein Professor an der New York University wurde | |
kürzlich aufgefordert zu kündigen, weil er online die Safe-Space-Kultur | |
kritisierte. | |
## Die Gegner*innen | |
„Die Debatte ist engstirnig“, sagt Zimmerman, Professor für | |
Erziehungswissenschaft an der Universität von Pennsylvania. Dies sei ein | |
Problem, vor allem an Unis: „Der Grundsatz moderner Universität ist der | |
freie Meinungsaustausch. Genau so entsteht Wissen, und mit diesem Wissen | |
betreiben wir ein Geschäft.“ | |
Unterstützer*innen von Safe Spaces argumentieren, dass ihr Konzept freie | |
Meinungsäußerung nicht untergrabe – im Gegenteil. Sie wollen frei Rede | |
anregen, indem sie diversen Perspektiven eine Stimme verleihen. „Das | |
ermutigt Gruppen, die sich anderweitig nicht beteiligt fühlen, zur | |
Partizipation“, sagt Quinn. „Es ist viel schwieriger, eine produktive und | |
umfassende Diskussion zu führen, wenn sich einzelne Parteien von vornherein | |
ausgeschlossen und angegriffen fühlen.“ | |
Aber auch die Unterstützer*innen glauben, dass sie zu weit gegangen seien | |
und die Bewegung deshalb an Glaubwürdigkeit verloren habe. Die nationale | |
Studentenvereinigung – eine Institution, die Millionen von Studierenden im | |
ganzen Land repräsentiert – wurde verspottet, als sie in diesem Jahr auf | |
dem Frauenkongress dazu aufrief, die Delegierten mögen bitte mit den Händen | |
winken, statt zu klatschen, weil sich manche vielleicht vor dem lauten | |
Geräusch ängstigten. Bei einer Diskussion zum Israel-Palästina-Konflikt an | |
der Universität von Edinburgh wurde eine Studentin beinahe rausgeschmissen, | |
weil sie während der Diskussion den Kopf schüttelte. Die | |
Safe-Space-Richtlinie der Studentenvereinigung sieht nämlich vor, dass in | |
der Diskussion Gesten, die Ablehnung äußern, unterlassen werden sollen, | |
weil sich das Gegenüber sonst unwohl fühlen könnte. | |
Für Zimmerman baut die Debatte jedoch auf einem falschen Konflikt zwischen | |
Meinungsfreiheit und sozialer Gerechtigkeit auf. „Es ist eine zutiefst | |
unhistorische Idee, dass diese beiden Dinge sich bekriegen“, sagt er. | |
„Jeder Kämpfer für soziale Gerechtigkeit in der US-amerikanischen | |
Geschichte war auch ein Kämpfer für Meinungsfreiheit.“ Wenn wir Themen wie | |
Diversität und Diskriminierung anpacken wollen, sagt er, „dann müssen wir | |
auch in der Lage sein, darüber zu sprechen.“ | |
Übersetzung: Amna Franzke | |
14 Dec 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.change.org/p/cardiff-university-do-not-host-germaine-greer | |
## AUTOREN | |
Jessica Abrahams | |
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