# taz.de -- Debatte Schutz von Whistleblowern: Prekäre Helden | |
> In Europa wird um den Umgang mit Whistleblowern gerungen. Deutschland hat | |
> sich in der Sache bislang nicht gerade hervorgetan. | |
Bild: Das deutsche Whistleblowing-Recht ist ein Flickenteppich, weiß auch Whis… | |
Schon wieder ein Whistleblowing-Fall. Dieses Mal geht es um gravierende | |
Betrugsvorwürfe beim verkehrspolitischen Vorzeigeprojekt der | |
Bundesregierung, [1][dem deutschen Mautsystem] unter der Regie der Toll | |
Collect GmbH. Die Berichte lesen sich wie ein Lehrbuchbeispiel: Ein | |
einzelner, engagierter Mitarbeiter mit privilegiertem Zugriff auf | |
Insiderinformationen, der sich unverhofft mit Missständen konfrontiert | |
sieht, die ihm irgendwann keine Ruhe mehr lassen. | |
Vergebliche Versuche sich gegen ein System zu stellen, von dem nicht wenige | |
profitieren und an dessen Aufdeckung und Aufarbeitung kein ernsthaftes | |
Interesse besteht. Dann die Gegenreaktionen der Unternehmensleitung, | |
Kündigungsversuche, internes Kaltstellen und berufliche Herabstufung, nach | |
anhaltendem Druck schließlich der Verlust des Arbeitsplatzes. | |
Viele geben an diesem Punkt auf, nicht so der Mitarbeiter von Toll Collect: | |
Er entscheidet sich für eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft und – | |
nach Einstellung der Ermittlungen – für die „Flucht in die Öffentlichkeit… | |
Auch wenn viele Einzelheiten aus dem Inneren des kaum zu durchschauenden | |
Mautsystems noch immer nicht bekannt sind, die typischen Schicksalsverläufe | |
von Whistleblowern sind es – ebenso wie die defizitäre Rechtslage im nach | |
den Enthüllungen Edward Snowdens doch vermeintlich so | |
Whistleblower-freundlichen Deutschland. | |
Schon im Jahr 2011 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte | |
[2][im Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch], die auf systematische | |
Pflegemissstände in einem Altenheim hingewiesen hatte, festgestellt, dass | |
Deutschland im Umgang mit der Whistleblowerin deren Meinungsfreiheit und | |
die Interessen der Öffentlichkeit nicht hinreichend berücksichtigt hat. | |
Geändert hat sich seitdem wenig. Kurzatmige Gesetzgebungsinitiativen | |
verliefen im Sande, der aktuelle Koalitionsvertrag spart das Thema gleich | |
ganz aus. | |
Das deutsche Whistleblowing-Recht besteht aus einem Flickenteppich | |
einzelfallgetriebener Gerichtsentscheidungen, bereichsspezifischer | |
Einzelnormen und oft eher schlecht als recht aus dem Ausland übernommenen | |
Unternehmensrichtlinien. Öffentliche Stellen, an die Whistleblower sich mit | |
Informationen wenden und auf Schutz hoffen können, sind hierzulande rar. | |
Für Betroffene hat das zur Folge, dass sie sich trotz enorm hoher | |
beruflicher und persönlicher Risiken nicht auf den Schutz des Rechts | |
verlassen können. | |
Anfang dieses Jahres hat nun auch die Europäische Kommission Deutschland | |
und anderen Mitgliedsstaaten ausdrücklich attestiert, dass ihr | |
Whistleblowing-Recht unzureichend ist. Allein im Bereich der öffentlichen | |
Auftragsvergabe sei der prekäre Umgang mit Whistleblowern nach Schätzung | |
der Kommission für Schäden zwischen 5,8 bis 9,6 Milliarden Euro | |
verantwortlich. Dass diese Zahl nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, | |
zeigen Erfahrungen aus Ländern wie den USA, deren deutlich | |
weiterentwickeltes Whistleblowing-Recht etwa im öffentlichen Auftragswesen | |
zu Kompensationsleistungen von jährlich fast 3,5 Milliarden Dollar führt. | |
Ausgerechnet die USA, nach ihrem Umgang mit Snowden hierzulande nicht | |
gerade als Speerspitze des Whistleblower-Schutzes bekannt, nehmen eine | |
internationale Vorreiterrolle ein und decken eine weitaus größere Zahl von | |
Skandalen und kriminellen Strukturen mithilfe von Whistleblowern auf. Diese | |
Grundhaltung bekam zuletzt etwa der Volkswagen-Konzern im Rahmen der | |
aktuellen Dieselaffäre zu spüren, nachdem die US-Behörden ihm einen | |
mangelhaften Umgang mit Whistleblowern attestierten und auch deswegen mit | |
scharfem Schwert gegen das Unternehmen vorgingen. | |
Diesen und anderen Vorbildern folgend, hat die Europäische Kommission im | |
April einen Richtlinienvorschlag vorgestellt, über den aktuell in Brüssel | |
und in den Mitgliedstaaten intensiv diskutiert wird. Es geht dabei um die | |
Neuordnung des europäischen Whistleblowing-Rechts mit großer Reichweite. Ob | |
der Kommissionsvorschlag in den Ländern geltendes Recht wird, ist bisher | |
aber keinesfalls ausgemacht. Und auch wenn die Whistleblowing-Richtlinie | |
wie geplant noch Anfang 2019, vor der nächsten Europawahl, verabschiedet | |
werden sollte, wird das Ringen um den richtigen Umgang mit Whistleblowern | |
erst beginnen. | |
## Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen | |
Der Ball liegt dann im Feld des deutschen Gesetzgebers, der sich | |
entscheiden muss, wie er die Vorgaben der Union umsetzen will und, vor | |
allem, ob er die Richtlinie zum Anlass nehmen wird, auch Hinweise über | |
Straftaten und Missstände ohne dezidiert europarechtlichen Bezug zu | |
schützen und im Interesse der Allgemeinheit zu nutzen. | |
Die hierfür erforderlichen Maßnahmen sind umfassend, aber notwendig, will | |
Deutschland nicht weiterhin eins der Schlusslichter beim Thema | |
Whistleblowing bleiben. Möglich und sinnvoll wäre beispielsweise, interne | |
wie externe Whistleblower gleichermaßen in den Schutzbereich des | |
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) einzubeziehen, um sie vor | |
typischen Vergeltungsmaßnahmen und deren Folgen besser zu schützen. Der | |
interne Umgang mit Whistleblowern lässt sich im Rahmen von | |
Unternehmenssanktionen besonders berücksichtigen. Spezielle öffentliche | |
Stellen können zu einem effektiven Vertraulichkeitsschutz verpflichtet | |
werden, um Whistleblower vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und | |
branchenweiter Ächtung zu schützen. | |
Viele dieser Themen mögen im Einzelnen technisch, bisweilen langatmig | |
daherkommen. Möchte man aber erreichen, dass der Umgang mit Whistleblowern | |
endlich auf eine tragfähige Grundlage gestellt wird, braucht es in den | |
kommenden Monaten eben diesen langen Atem und eine aktiv geführte | |
Diskussion in der politischen Öffentlichkeit. Damit Akte der Zivilcourage | |
in Deutschland nicht länger verpasste Chancen für unsere Gesellschaft sind. | |
Es ist an der Zeit. | |
26 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Vergleich-mit-Maut-Betreibern/!5504090 | |
[2] /Abfindung-fuer-Whistleblowing/!5093103 | |
## AUTOREN | |
Simon Gerdemann | |
## TAGS | |
Whistleblower | |
Edward Snowden | |
Toll Collect | |
Pkw-Maut | |
Vivantes | |
Altenpflege | |
Zivilcourage | |
Whistleblower | |
Edward Snowden | |
Philippinen | |
Whistleblower | |
Whistleblower | |
Whistleblower | |
Luxemburg Leaks | |
Edward Snowden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gesetzentwurf der Justizministerin: Schutz für WhistleblowerInnen | |
Wer auf Missstände in Unternehmen oder Behörden hinweist, soll bald vor | |
Repression geschützt sein. Unklar ist noch, ob die Union dabei mitzieht. | |
Der Fall Edward Snowden: Braucht es heldenhafte Menschen? | |
Weil Whistleblower Snowden seine Angst überwand, wissen wir mehr über das | |
System weltumspannender Überwachung. Ist er deswegen ein Held? | |
Asyl für Snowden-Helferin in Kanada: Die Erleichterung ist ihr anzusehen | |
Vanessa Mae Rode versteckte Edward Snowden in Hongkong. Ihr gemeinsamer | |
Anwalt konnte jetzt ihre Aufnahme in Kanada erreichen. | |
Gesetz für Whistleblower: Gut für JournalistInnen | |
Das geplante Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen verbessert auch | |
den Schutz der Medien. Der ARD-Protest ist nicht überzeugend. | |
Faktenlage zu neuem Geheimnis-Gesetz: Gefahr für Whistleblower? | |
Verschlechtert das geplante Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen | |
tatsächlich die Arbeit von Journalisten? Eher nicht. | |
Schutz für Whistleblower*innen: Bitte erst mal intern melden | |
Die EU-Kommission will Whistleblower*innen besser schützen. Das Verfahren, | |
das sie dazu entworfen hat, stößt jedoch auf Kritik. | |
Plan der EU-Kommission: Ein Meldesystem für Whistleblower | |
Anonyme Hinweisgeber zeigen oft als Erste, wenn etwas schiefläuft. Die | |
EU-Kommission will sie eigentlich schützen, macht es ihnen aber schwer. | |
Edward Snowden beim CCC-Kongress: „Unsere Arbeit war nie wichtiger“ | |
Flüchtlinge, die Edward Snowden halfen, in Hongkong unterzutauchen, werden | |
jetzt selbst verfolgt. Beim 34C3 in Leipzig bittet ihr Anwalt um | |
Unterstützung. |