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# taz.de -- Debatte Linker Populismus: „Kosmopolit“ als Schimpfwort
> Auch Linke hegen den Wunsch nach einem gesellschaftspolitischen Rollback.
> Die Rechten freut’s. Eine Replik auf Nils Heisterhagen.
Bild: Vom Rosa-Luxemburg-Double zur Ludwig-Erhard-Verfechterin
Zwölf Euro Mindestlohn, Steuererhöhungen für Reiche“ und „bezahlbaren
Wohnraum“ forderte Nils Heisterhagen, Grundsatzreferent der SPD-Fraktion in
Rheinland-Pfalz, kürzlich [1][in der taz]. „Der Staat muss zurückkommen.
Auch und gerade national.“ Mit diesen Forderungen steht Heisterhagen nicht
allein – sie könnten direkt aus dem [2][Katalog der neuen
„Sammlungsbewegung“ namens #aufstehen] stammen, die Sahra Wagenknecht und
Oskar Lafontaine gerade gegründet haben.
Ein Linksruck soll durchs Land gehen! Darin ist sich Heisterhagen mit Sahra
Wagenknecht und ihrem Team einig. Beide treten aber nicht nur für eine
linke Steuer- und Sozialpolitik ein. Heisterhagen behauptet in seinem Buch
„Die liberale Illusion“ auch, die SPD hätte zu viel „Vielfaltseuphorie“
verbreitet, wann immer genau das gewesen sein soll.
Sie solle mehr auf die „kleinen Leute“ hören, statt zu „moralisieren“ …
diese zu „belehren“, meint er, und teilt Seitenhiebe gegen das
„Bionade-Bürgertum“, „Kosmopoliten“ und eine „selbstgerechte postmod…
Bourgeoisie“ aus. Seinen Appell an antiliberale Ressentiments gegen „die da
oben“ nennt er „linken Realismus“.
Wagenknecht schlägt in die gleiche Kerbe. „Weltoffenheit, Antirassismus und
Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten
nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu
bereiten“, [3][behauptete sie in der Welt]. Und wenn sie gegen die
„allgemeine Moral einer grenzenlosen Willkommenskultur“ polemisiert, dann
wendet sie sich damit nicht nur gegen die „No Border“-Fraktion in ihrer
eigenen Partei, sondern auch gegen die Flüchtlingspolitik der
Bundeskanzlerin.
## Linker Populismus
So verständlich die Absicht von Heisterhagen und Wagenknecht ist, endlich
wieder über soziale Gerechtigkeit zu reden, so irritierend ist es
zugleich, wie sie den Rechtspopulisten entgegenkommen. Das hat auch
strategische Gründe: Beide sind überzeugt, dass sich mit linker
Sozialpolitik Mehrheiten gewinnen lassen, mit liberalen
gesellschaftspolitischen Forderungen dagegen nicht. Diese Haltung kann man
getrost als linken Populismus bezeichnen.
Die Wähler der AfD seien nicht alle Rassisten, glaubt Wagenknecht. Viele
wählten diese Partei auch aus Protest gegen Sozialabbau. Wenn sie sich da
mal nicht irrt: Mehrere Studien zeigen, dass die Wähler der AfD keineswegs
zuerst unter den „Abgehängten“ zu finden sind, die mit ihrer
wirtschaftlichen Lage unzufrieden sind.
Vielmehr wollen sie tatsächlich das, wofür die AfD steht – die Aufnahme von
Flüchtlingen und die Einwanderung insgesamt begrenzen sowie Muslime,
Migranten und andere Minderheiten als Bürger zweiter Klasse behandeln.
Den Eliten geben sie die Schuld an einem gesellschaftlichen Wandel, den sie
ablehnen. Nicht deren neoliberales Leistungsdenken oder ihre
Kaltschnäuzigkeit gegenüber Schwächeren ist ihnen ein Dorn im Auge, sondern
die Liberalität.
## Die These vom „Brain Drain“ ist überholt
Diesen Menschen möchte Wagenknecht mit einer harten Haltung zu Asyl und
Zuwanderung entgegenkommen. Dafür führt sie Argumente ins Feld, die auf den
ersten Blick plausibel klingen, aber einer näheren Prüfung nicht
standhalten. So behauptet sie, Flüchtlinge würden die Löhne drücken und
Zuwanderung sorge im Niedriglohnsektor zwangsläufig für Konkurrenz.
Tatsächlich ist dieser Zusammenhang überhaupt nicht belegt. Flüchtlinge und
Zuwanderer übernehmen meist die Jobs, für die sich sonst keiner findet,
oder werden dafür sogar händeringend gesucht.
Zum anderen vergießt Wagenknecht Krokodilstränen darüber, dass die
Abwanderung der besser ausgebildeten Mittelschicht armen Ländern schade,
die auf diese Fachkräfte angewiesen seien. Es sei verwerflich, wenn
Deutschland Ärzte aus Syrien, dem Irak oder dem Niger „hole“. Ein wenig
hallt da der Vorwurf der „Republikflucht“ nach, der in der DDR gegen
Menschen erhoben wurde, die ihrem Land oft aus wirtschaftlichen Gründen den
Rücken kehren wollten.
Tatsächlich ist die These vom „Brain Drain“ aber auch überholt. In der
Migrationsforschung spricht man heute eher von „Brain Circulation“, weil
auch die Heimatländer oft vom Wissenstransfer durch Auswanderer und
Rückkehrer profitieren. Außerdem sind nicht wenige Menschen in diesen
Ländern von den Rücküberweisungen ihrer Angehörigen abhängig, die in Europa
leben. Deren Bedeutung übertrifft vielerorts die jeder Entwicklungshilfe.
## Vorbild linke Hoffnungsträger
Mit ihrer „Sammlungsbewegung“ orientiert sich Wagenknecht an Vorbildern wie
„La France insoumise“ („Unbeugsames Frankreich“) des Linkspopulisten
Jean-Luc Mélenchon, dem Briten Jeremy Corbyn und an Bernie Sanders in den
USA.
Gemeinsam ist allen dreien, dass soziale Forderungen auf ihrer Agenda ganz
oben stehen, und dass sie ihren Aufstieg zu linken Hoffnungsträgern nicht
zuletzt erfolgreichen Kampagnen im Netz verdanken. Ein Patentrezept gegen
Rechtspopulisten haben sie aber nicht.
Mélenchon hat mit dem Ausstieg aus dem Euro geliebäugelt und zeigt sich in
Einwanderungsfragen eher zugeknöpft. Er konnte damit aber kaum Wähler des
Front National auf seine Seite ziehen. Jeremy Corbyn gelang es, vor allem
junge Menschen in den Großstädten zurückzugewinnen, die Labour unter Tony
Blair abgeschreckt hatte. Er irritiert allerdings durch seine unklare
Haltung zum „Brexit“, dem Herzensanliegen britischer Rechtspopulisten.
Und Bernie Sanders stieg in seiner Partei zwar zum Gegenspieler von Hillary
Clinton und Helden der Jugend auf, aber ob er gegen Donald Trump wirklich
bessere Chancen gehabt hätte, bleibt reine Spekulation.
## Die SPD schlägt einen ähnlichen Kurs ein
Auch Wagenknechts „Sammlungsbewegung“ dürfte vor allem im Wählerreservoir
von SPD, Linkspartei und Grünen wildern. Die SPD aber schlägt gerade einen
ähnlichen Kurs ein. In der Partei mehren sich die Stimmen, die wie Nils
Heisterhagen meinen, man habe in der Vergangenheit zu sehr auf eine
liberale und urbane Mittelschicht und auf Minderheiten geschielt.
Ex-Parteichef Sigmar Gabriel befand, man sei in der Flüchtlingsfrage „naiv“
gewesen, und warnte vor einem „Anything goes“. Stattdessen solle man
Begriffe wie „Heimat“ und „Leitkultur“ positiv besetzen. Seine Nachfolg…
Andrea Nahles betont, man könne „nicht alle Flüchtlinge aufnehmen“ – als
hätte das irgendjemand verlangt –, und ist für mehr Härte gegen
Einwanderer, „die sich nicht an die Regeln halten“.
Ihre Positionen zu Einwanderung und Asyl hat die SPD schon in den
Koalitionsverhandlungen mit der Union stillschweigend geräumt, sie hat
einer Obergrenze für den Familiennachzug und selbst Abschiebungen nach
Afghanistan zugestimmt. Ihre Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz, die der
AfD-Chef Gauland „nach Anatolien entsorgen“ wollte, hat sie fallen
gelassen.
Das Problem ist nur, dass der SPD das Personal fehlt, um die versprochene
„Erneuerung“ glaubwürdig zu vertreten. Die aktuelle Führungsriege war sch…
bei der „Agenda 2010“ und der Einführung von Hartz IV dabei. Da ist Sahra
Wagenknecht eindeutig im Vorteil.
## Rosa-Luxemburg-Double
Dabei ist sie selbst extrem wandlungsfähig. Sie hat sich stets gegen jede
Zusammenarbeit ihrer Partei mit SPD und Grünen gestemmt – nun macht sie
deren Anhängern plötzlich mit ihrer „Sammlungsbewegung“ Avancen. Vom
Rosa-Luxemburg-Double und Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ in der
Linkspartei hat sie sich zur Verfechterin des „rheinischen Kapitalismus“
eines Ludwig Erhard gewandelt.“
Hauptsache, Nostalgie – ob für die Einheitskultur der DDR oder die
Bundesrepublik der Wirtschaftswunderjahre ist zweitrangig. Diese
Wandlungsfähigkeit macht Wagenknecht zur idealen Kandidatin für die vakante
Rolle der führenden Linkspopulistin im Land.
Wagenknechts linker Populismus ist aber keine Antwort auf den Rechtsruck im
Land, sondern ein Kotau davor. Er kommt dem Wunsch nach einem
gesellschaftspolitischen Rollback entgegen, der auch unter Linken
verbreitet ist.
Denn die unüberschaubaren Kräfte der Globalisierung und die zunehmende
Vielfalt im Lande – mit selbstbewusster gewordenen Minderheiten, die
Gleichberechtigung einfordern und sich gegen Diskriminierung verwahren –
sorgen nicht nur unter Konservativen für Verunsicherung, sondern auch unter
manchen Linken. Da wächst die Sehnsucht nach der verlorenen
Übersichtlichkeit, nach einfachen Antworten und „klarer Kante“.
## Auch „Abgehängte“ können Minderheiten angehören
Es ist allerdings ein Kurzschluss, die vermeintlich „Abgehängten“ und „d…
kleinen Leute“ gegen vermeintliche Minderheitsinteressen auszuspielen, wie
es Heisterhagen und Wagenknecht tun. Denn auch „kleine Leute“ und
„Abgehängte“ können Minderheiten angehören. Im Niedriglohnbereich und in
prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten oft Menschen aus
Einwandererfamilien, sie sind häufiger von Armut betroffen.
Auch LGBTI finden sich in allen Schichten der Gesellschaft. Und
alleinerziehenden Müttern kann es nicht nur wichtig sein, finanziell über
die Runden zu kommen, sondern auch, nicht diskriminiert zu werden. Kurz
gesagt: Es gibt viele „kleine Leute“ und „Abgehängte“, denen Antirassi…
und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft wichtig sind.
Applaus erhält Wagenknechts „Sammlungsbewegung“ wenig überraschend auch v…
rechts. Nicht nur konservative Medien von Focus bis FAZ sind ganz angetan
von Wagenknecht, selbst das rechte Compact-Magazin von Jürgen Elsässer
klatscht ihr Beifall.
Das liegt nicht an der Sozialpolitik. Eine Linke, die die Rückkehr zum
kulturell homogenen und autarken Nationalstaat propagiert, ist ganz nach
dem Geschmack der Rechten.
Dieser Beitrag ist eine Replik auf den Gastbeitrag von Nils Heisterhagen
[4][„Der Sieg des Liberalismus war keiner“]. Auf der Meinungsseite der taz
startet demnächst eine Debattenreihe zu „#aufstehen“.
31 Aug 2018
## LINKS
[1] /!5524515/
[2] /Inhalte-der-Bewegung-Aufstehen/!5526487
[3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article178121522/Gastbeitrag-Warum-w…
[4] /!5524515/
## AUTOREN
Daniel Bax
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