Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Linke Bewegungen: Aufbruch der „ökumenischen Linken“
> Wir brauchen sowohl #Aufstehen als auch #unteilbar, um die Zukunft neu zu
> denken. Deshalb sollte man beide Initiativen unterstützen.
Bild: Ist die Aufbruchsstimmung der linken Bewegungen ein Lichtblick?
Muss ich mich entscheiden zwischen den beiden Hashtags, die in diesen Tagen
um meine Mitwirkung werben? Zwischen [1][#unteilbar ] und [2][#Aufstehen]?
#unteilbar, vom Republikanischen Anwaltsverein initiiert, ruft seit
Dienstag zu einer Demonstration am 13. Oktober in Berlin auf: gegen die
Ausgrenzung von Migranten und Minderheiten, den nationalen Egoismus, die
Umverteilung von unten nach oben, den Pflegenotstand und die Wohnungsnot.
Ob und wie es danach weitergeht, ist noch nicht zu erkennen.
Von #Aufstehen existiert eine [3][Website mit Porträts von Bürgern], die
höhere Mindestlöhne, eine Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme,
Sozialwohnungen, bessere Pflege fordern. Sahra Wagenknechts Initiative
zielt auf eine Wiedervereinigung der drei linken Parteien, nicht auf eine
eigene Parteigründung. Die Presse war überwiegend kritisch: [4][vor allem
weil #Aufstehen] eine Gründung „von oben“ sei und überdies
„national-sozial“ und putinfreundlich.
Bei genauer Lektüre ist vieles an dieser Kritik unscharf, zieht demagogisch
Parallelen zur AfD oder nimmt mit Unterstellungen Bezug auf Positionen der
Initiatorin in der Migrationsfrage, die diskussionswürdig sind, aber sich
wenig von Positionen der SPD unterscheiden.
Beide Aufrufe kritisieren allgemein erkannte Missstände, aber weisen (noch)
keine Lösungswege auf. Vor allem in Bezug auf Einwanderung, EU und Militär
dürfte es große Differenzen innerhalb der gut 85.000 Follower von
#Aufstehen wie auch der Erstunterzeichner von #unteilbar geben. Dennoch
hoffe ich, dass die Gleichzeitigkeit der beiden Initiativen ein Zeichen für
einen Aufbruch ist und kein Symptom für die alte Krankheit der Linken: den
Spaltpilz, den Narzissmus der kleinsten Differenz, das Ressentiment gegen
starke Persönlichkeiten.
Ein Aufbruch für eine „ökumenische Linke“ tut not oder, warum nicht gleic…
für eine Neugeburt der Sozialdemokratie. Jener Partei, die – nach Godesberg
– auf die Teilhabe an der Wachstumsmaschine Kapitalismus setzte und deren
Niedergang begann, als das Wachstum ausblieb, sich beschleunigte, als
Kanzler Schmidt die ökologische Krise nicht wahrhaben wollte, und noch
einmal, als sie unter dem Autokanzler Schröder – unter konstant erfolglosem
Murren des linken Flügels – der neoliberalen Illusion erlag.
## In der Wahrheit leben, die Erkenntnis aussprechen
Eine Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert müsste zuerst mit den
Illusionen eines fortgesetzten Wachstums und eines grünen Kapitalismus
brechen. Sie müsste sich, wie es Niklas Luhmann schon 1994 schrieb, als
Opposition gegen die „große Koalition“ der Weitermacher konstituieren, als
politische Spitze der „neuen sozialen Bewegungen“, die sich schon damals
„um Technikfolgen, ökologische Probleme, Migrationsprobleme, Ghettobildung
in den Städten und fundamentalistische Strömungen verschiedenster Herkunft“
kümmerten.
Eine solche neue Sozialdemokratie wäre populär – bei einer Umfrage von
Emnid konnten sich 34 Prozent der Befragten vorstellen, #Aufstehen zu
wählen, wenn es eine Partei wäre. Aber mittelfristig zukunftsträchtig wäre
sie nur, wenn sie ein realistisches Zukunftsversprechen geben könnte.
Wenn mich nicht alle Erfahrung trügt, hat eine Mehrheit der Bürger – auf
jeden Fall der unter Dreißigjährigen – zumindest eine Ahnung davon, dass
die fetten Jahre vorbei sind. Und das heißt: dass wir neue Vorstellungen
vom guten Leben, von Gerechtigkeit, von Arbeit, von Solidarität und vom
Stoffwechsel mit der Natur organisieren müssen. Dieser Ahnung Kontur zu
geben wäre der erste Schritt aus der angstbesetzten Erstarrung und der
gedankendürren Alternativlosigkeit der parlamentarischen und medialen
Schaumwelten.
Mit dem Wort von Václav Havel: „In der Wahrheit leben“, das hieße heute:
die Erkenntnis aussprechen, dass alle Dopingspritzen (weltweit inzwischen
12 Billionen Dollar) kein solides Wachstum zurückbringen, dass es ebenso
teuer werden wird, die „Fluchtursachen an ihrem Ursprung“ zu bekämpfen, wie
das Mittelmeer militärisch dicht zu machen, dass die Idee eines „grünen
Kapitalismus“ ein Oxymoron ist, die Klimakatastrophe nicht mit Zertifikaten
verhindert wird, sondern dass einschneidende Veränderungen unserer
Lebensweise anstehen.
## Ich habe bei beiden unterschrieben
In der Wahrheit leben: Ich bin überzeugt, eine Partei, die sich
intellektuell ehrlich machte, hätte nicht erst auf mittlere Sicht Erfolg.
Sie müsste ihre Analysen, die Bilder einer anderen Zukunft und ihre
Aktivisten nicht aus dem Boden stampfen, denn unser Land ist reich an
genossenschaftlichen Experimenten und postkapitalistischen Enklaven, an
innovativen Energieingenieuren, Ökobauern, Bildungsreformern.
Für diese Energien für eine, sagen wir mal: Übergangsgesellschaft stehen
die gut 200 Initiativen, die sich bei #unteilbar finden: Sie reicht von
Attac und Caritas über den Mieterschutzbund und die Stiftung Futurzwei,
Flüchtlingsräte, den Paritätischen Wohlfahrtsverband bis hin zum Zentralrat
der Muslime. Aber all diesen Initiativen fehlt eine politische Speerspitze,
die Aufbruchsenergien politisch konzentriert, Freiräume und Vorstöße durch
Gesetze und Institutionen absichert und so tragfähige Fundamente für eine
postkapitalistische Gesellschaft legt. Die Zivilgesellschaft braucht
politische Repräsentanz, damit sie sich nicht im Protest und im Sektoralen
erschöpft; und die Parteien brauchen den Druck der Zivilgesellschaft, um
nicht in Routine und Kompromiss zu erstarren.
An der Schwelle des Parlaments treffen sich #Aufstehen und #unteilbar.
Beide haben das Potenzial, die Interessen von Niedriglöhnern, die
(unangenehmen) Notwendigkeiten der Transformation und die moralischen
Ansprüche linksliberaler Mittelschichtler zu verbinden. Deshalb habe ich
bei beiden unterschrieben. Aber können Sie sich vorstellen, dass Sahra
Wagenknecht sich bei #unteilbar einreiht oder dass die sie als Rednerin zur
Kundgebung einladen?
2 Sep 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/hashtag/unteilbar?src=hash
[2] https://twitter.com/hashtag/Aufstehen?src=hash
[3] https://www.aufstehen.de/
[4] /Brief-an-die-Fans-von-Sahra-Wagenknecht/!5527221
## AUTOREN
Mathias Greffrath
## TAGS
Linke Sammlungsbewegung
Die Linke
Hashtag
Aufstehen
Demonstrationen
Journalist
Linke Sammlungsbewegung
Aufstehen
Ludger Volmer
Die Linke
Linke Sammlungsbewegung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Demonstration #Unteilbar in Berlin: Streit um die deutsche Flagge
Am 13. Oktober wollen Tausende für Solidarität statt Ausgrenzung
demonstrieren – einige allerdings mit Deutschlandfahne. Das stößt auf
Kritik.
Debatte Das Leben der anderen: Das Leben als Postwurfsendung
Niemand stellt mehr Fragen nach dem Leben der Anderen. Warum? Aus Angst vor
dem Eingeständnis, dass man selbst gescheitert ist.
Debatte Wagenknechts #Aufstehen: Der neue Echoraum
Sahra Wagenknecht mixt linke Sozial- mit konservativer Migrationspolitik.
Ist das ein Modell für die Ära nach Merkel?
Debatte Linker Populismus: „Kosmopolit“ als Schimpfwort
Auch Linke hegen den Wunsch nach einem gesellschaftspolitischen Rollback.
Die Rechten freut’s. Eine Replik auf Nils Heisterhagen.
Kommentar Volmer will #Aufstehen: Der Grüne an Sahras Seite
Einst stritt Ludger Volmer für Kriegsbeteiligungen und Hartz IV. Jetzt
unterstützt der Grünen-Oldie Wagenknechts „Sammlungsbewegung“.
Bernd Riexinger über „Aufstehen“: „Ich bin schon eingesammelt“
Linken-Chef Bernd Riexinger kritisiert die „Aufstehen“-Bewegung um Sahra
Wagenknecht. Er warnt davor, eine Konkurrenz zur eigenen Partei aufzubauen.
Linke Sammelbewegung „Aufstehen“: Schon 50.000 Interessierte
Sahra Wagenknechts Bewegung soll sich an von der Politik frustrierte Bürger
richten, auch an AfD-Wähler. Es gebe bereits viele Anmeldungen, sagt Oskar
Lafontaine.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.