| # taz.de -- Debatte Wagenknechts #Aufstehen: Der neue Echoraum | |
| > Sahra Wagenknecht mixt linke Sozial- mit konservativer Migrationspolitik. | |
| > Ist das ein Modell für die Ära nach Merkel? | |
| Bild: „#Aufstehen“ ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft | |
| Man kann es sich [1][mit „Aufstehen“ leicht machen]: Um eine schwungvolle | |
| neue Bewegung zu werden, fehlt es an fast allem. Es gibt kein neues, | |
| bislang übersehenes Thema, wie es bei den Grünen die Ökologie oder bei der | |
| WASG die Anti-Hartz-Proteste waren, das in den Elitendiskurs eingespeist | |
| werden muss. Dem Führungspersonal Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine | |
| mangelt es an jener Weitherzig- und Beharrlichkeit, die neue Organisationen | |
| benötigen, um ihre Kinderkrankheiten zu überwinden. | |
| „Aufstehen“ ist vielleicht ein Missverständnis, weil es den Erfolg des | |
| französischen Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon imitieren will, der bei | |
| den Präsidentschaftswahlen 2017 fast 20 Prozent bekam. Doch im | |
| französischen Präsidialsystem lassen sich neue Formationen top down gründen | |
| – im föderalen Deutschland muss jede neue Partei über die Dörfer gehen und | |
| zieht alle möglichen Egomanen an. | |
| Also: Vergesst „Aufstehen“? Das wäre, bei aller berechtigten Skepsis, | |
| voreilig. Diese Bewegung kann interessant werden. Nicht, weil ihre | |
| GründerInnen so kluge Figuren wären. Sondern weil die Frage, auf die die | |
| Sammlungsbewegung eine Antwort geben will, drängt. | |
| Das Parteiensystem steuert hierzulande in eine Krise, die anders ist als | |
| alle Krisen zuvor. Zum ersten Mal seit fast 70 Jahren ist unklar, ob Union | |
| und SPD bei der nächsten Bundestagswahl noch gemeinsam eine Regierung | |
| bilden können. Das System mit zwei Volksparteien, einer, die Mitte-rechts-, | |
| einer, die Mitte-links-Bündnisse anführen kann, zerfällt. Die Volksparteien | |
| sind überaltert und farblos. Sie ähneln sich seit der Agenda 2010 und | |
| Merkels liberalem Kurs zu sehr. Die Gesellschaft ist in ihrer sozialen | |
| Verfasstheit, in Lebensstilen und Habitus stärker aufgefächert als früher. | |
| Milieuparteien wie die Grünen scheinen das robustere Modell zu sein. Sie | |
| können eindeutige Botschaften senden, die derzeit auf dem Wählermarkt | |
| besser ankommen als das ewige Sowohl-als-auch. | |
| Die Gründe für den Abstieg der Volksparteien sind strukturell und situativ. | |
| Und die Indizien weisen alle in die gleiche Richtung: Die Ära der | |
| Volksparteien neigt sich dem Ende zu. Ihr Untergang findet nicht als alles | |
| erschütterndes Beben statt, sondern als sanftes Verblassen, als | |
| allmählicher Niedergang. Das passt zur bundesdeutschen Konsensdemokratie, | |
| die jähe Brüche scheut. | |
| ## Kann Populismus von links das Vakuum füllen? | |
| Was danach kommt, weiß niemand. Mit der AfD ist eine Mitspielerin auf dem | |
| Platz, die die Mitte-Parteien frontal angreift. Die AfD ist in Teilen | |
| rechtsradikal und bildet trotzdem stabile Brückenköpfe in die bürgerliche | |
| Mitte. Nichts spricht derzeit dafür, dass die AfD wie andere rechte | |
| Formationen zuvor an dem Widerspruch zwischen Bürgerlichkeit und | |
| Extremismus zugrunde geht. | |
| Die Attacken der Rechtspopulisten zeigen erste Wirkungen. Im Zwist zwischen | |
| CSU und CDU deutete sich eine mögliche Spaltung der Union in eine | |
| rechtskonservative und eine liberale Partei an. Die FDP kokettiert immer | |
| mal wieder mit rechten Sprüchen und testet (wie zuletzt Kubicki, der Merkel | |
| für den Naziaufmarsch in Chemnitz haftbar machte), wie weit sie gehen kann. | |
| Der Merkelismus, die technokratische Herrschaft mit menschlichem Antlitz, | |
| geht jedenfalls zu Ende. Damit ist es auch mit der Ära der Ausdehnung der | |
| Mitte bis an die Ränder vorbei. Es bilden sich neue politische Freizonen. | |
| Sie sind diffus und unklar, aber sichtbar. | |
| Deshalb ist „Aufstehen“ interessant. Vor ein, zwei Jahren wäre das Ganze | |
| als üblicher Versuch der Linkspartei verbucht worden, mit offenen Listen | |
| oder „Komitees für Gerechtigkeit“ ihre schmale Basis zu erweitern. Jetzt | |
| scheint der Echoraum größer. Kann Populismus von links dieses Vakuum | |
| füllen? | |
| Wagenknecht verkörpert eine im Parteienspektrum unbesetzte Position: | |
| wirtschafts- und sozialpolitisch deutlich links, was Minderheitenrechte und | |
| Migration angeht eher konservativ, mitunter mit unguten Ausschlägen. In der | |
| Migrationspolitik ähnelt Wagenknecht der CSU, auch wenn sie ihre Ablehnung | |
| mit sozialer Konkurrenz für das untere Viertel begründet. | |
| ## Eine Art deutsche Fünf-Sterne-Bewegung | |
| Ungewöhnlich ist nicht nur diese Mischung, sondern auch die Fixierung auf | |
| eine Figur. Bewegungen wuchsen bislang von unten nach oben. Was so war, | |
| muss aber nicht so bleiben. In Europa ruft der Verfall der alten | |
| Volksparteien charismatische Führerfiguren auf den Plan – von Emmanuel | |
| Macron über Beppe Grillo, dem Begründer der Fünf-Sterne-Bewegung, bis zu | |
| Sebastian Kurz, der die traditionsreiche ÖVP im Handstreich zur Liste Kurz | |
| ummodelte. | |
| „Aufstehen“ bewegt sich in diesem Spektrum. Falls die Bewegung ankommt, | |
| kann sie sich zu einer Art deutschen Fünf-Sterne-Bewegung häuten, mit | |
| populistischer Anti-Eliten-Rhetorik, EU-Skepsis und dem Versprechen, für | |
| die Schwächeren Schutzwände gegen die böigen Winde der Globalisierung zu | |
| errichten. Allerdings ist Wagenknecht eine kühl kalkulierende | |
| Machtpolitikerin, keine politische Hasardeurin, die ohne Hemmungen alles | |
| auf Rot setzt. Wahrscheinlicher ist daher, dass „Aufstehen“ ein Druckmittel | |
| bei dem Versuch wird, die Linkspartei in ein „Team Sahra“ zu verwandeln. | |
| Das allerdings wird äußerst schwierig. Denn die Linkspartei ist in Berlin | |
| und Thüringen mit eher linksliberaler Politik erfolgreich, im Westen bindet | |
| sie zaghaft eine jüngere, migrationsfreundliche Klientel an sich. | |
| Wagenknechts Versuch, eine autoritäre Kundschaft vielleicht | |
| zurückzugewinnen, aber dabei ziemlich sicher die junge, akademische | |
| Klientel zu verscheuchen, ist eine Luftbuchung. | |
| „Aufstehen“ ist ein Stein, der ins Wasser geworfen wird. Wahrscheinlich | |
| wird er nicht über die Wasseroberfläche tanzen, sondern untergehen. Aber | |
| auch das wäre ein Erkenntnisgewinn. Die Zeit ist nicht reif für eine | |
| (links-)populistische Alternative. | |
| 4 Sep 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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