# taz.de -- Die Wahrheit: Morgengold hat Stund im Mund | |
> Die SPD will der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ nicht tatenlos | |
> zusehen. Sie will „Früher aufstehen!“ | |
Bild: Sozialdemokratische Frühaufsteher: Andrea Nahles und Lars Klingbeil | |
Mit schläfrigen Augen mustert Lars Klingbeil die gähnenden Journalisten, | |
die in seinem Büro im Berliner Willy-Brandt-Haus an ihren Kaffeebechern | |
nippen. Es ist halb sieben morgens, die Sonne bereitet sich umständlich | |
aufs Aufgehen vor, alle Anwesenden hängen halbtot in den Seilen. Keiner von | |
ihnen war je zu einem so zeitig angesetzten Pressegespräch geladen, | |
geschweige denn um diese Uhrzeit bereits wach. Heute jedoch ist ein | |
besonderer Tag. Der SPD-Generalsekretär will einer Handvoll von | |
Pressevertretern bei einem Arbeitsfrühstück erklären, wie seine zuletzt | |
weggedämmerte Partei das Land tüchtig wachrütteln kann. | |
„Morgenstund hat Gold im Mund, meine Damen und Herren!“, schreit der alerte | |
Vierzigjährige seine stöhnenden Gäste an und bittet sie, sich am Frühstück | |
gütlich zu tun. Der Generalsekretär, wie immer ohne Krawatte, mit gegeltem | |
weißen Hemd und sorgfältig gebügelten Haaren, redet nicht lange um den | |
heißen Brei herum. Im Gegenteil: Wortlos und konzentriert leert er die | |
Schüssel mit dampfendem Porridge, die vor ihm steht, und erläutert erst | |
dann ausführlich sein Programm einer Erweckungsbewegung für alle | |
sozialdemokratisch denkenden Menschen rechts und links der Mitte. | |
„Unsere wache Demokratie wird von den Rändern her bedroht“, sagt er ernst. | |
„Von denen des politisches Spektrums wie auch von den Rändern Europas. Die | |
Radikalen stehen erst gegen Mittag auf, die Migrantenhorden schlafen | |
praktisch nie!“ Mit der neuen Bewegung stelle sich die Sozialdemokratie | |
spät, aber nicht zu spät an die Spitze der vielen Millionen, die | |
hauptsächlich eines wollten: so früh wie möglich aus den Federn kommen, | |
rechtschaffen arbeiten und ansonsten ihre Ruhe – vor allem vor dieser | |
ewigen Flüchtlingsdebatte. | |
## Langschläfer als Parteirebellen | |
Die neulich ins Leben gerufene Bewegung von Sahra Wagenknecht habe die SPD | |
vielleicht kurzzeitig in die Defensive gedrängt und es ihren Langschläfern | |
ermöglicht, sich als Parteirebellen zu gebärden; jetzt sei es jedoch an der | |
Zeit, zurückzuschlafen, äh, -zuschlagen. Weshalb er, den Scherz möchte sich | |
Klingbeil nicht verkneifen, den Termin eigentlich schon auf 5.45 Uhr habe | |
legen wollen. Davon habe ihm allerdings sein Büroleiter dringend abgeraten; | |
dann nämlich seien die Journalisten meist noch zu betrunken. | |
„In Deutschland ist Konsens: Wer früher aufsteht, kann länger arbeiten!“, | |
ruft Klingbeil in die unausgeschlafene Runde. „Und hat spätabends weniger | |
Lust, sich Talkshows über Asylantenkriminalität anzuschauen – womit den | |
Rechten das Wasser abgegraben wäre.“ Seine Stimme wird eindringlich: „Die | |
faule Wagenknecht-Lafontaine-Bande will die Uhren zurückdrehen in Zeiten, | |
als Kommunisten Deutschland regierten, Leute wie Honecker, Brandt und | |
Schmidt. Wir hingegen stellen die Wecker ein paar Stunden vor, damit wir | |
auch in einer Ära der Massenmigration unsere Grenzen sichern und Reste des | |
Sozialstaats erhalten können.“ | |
Auf verhaltene Zwischenfragen der schlappen Journalistenmeute reagiert der | |
Sozialdemokrat schnippisch: „Papperlapapp, Deutschland braucht einen | |
gewaltigen Tritt in den Arsch! Emmanuel Macron hat gezeigt, wie man eine | |
Bewegung von oben in Gang setzt und im Handumdrehen an die Regierung kommt. | |
Dazu braucht man nur den richtigen Frontmann: klug, charismatisch, | |
medienerfahren.“ | |
Satte Zufriedenheit zieht über Klingbeils Züge, als er flüsternd zum Herzen | |
seiner Strategie gelangt: Gestern früh habe er telefonisch die letzten | |
Details geklärt, um einen verdienten alten Sozialdemokraten zurück in die | |
aktive Politik zu holen, ein Zugpferd, eine Galionsfigur, eine Geheimwaffe | |
– aber wie der Begriff schon sage: bis zum offiziellen Starttag der | |
Bewegung im Oktober eben noch geheim. | |
## Wischiwaschi im Boot | |
„Dieser Mann hat bewiesen, dass er das Land wachprügeln kann“, versichert | |
Klingbeil. „Mit ihm holen wir alle Bürger zurück ins Boot, die im Prinzip | |
guten Willens sind, aber bei allem Wischiwaschi auf staatliche Effektivität | |
in der Flüchtlingspolitik setzen. Wenn wir diese zwanzig Prozent der | |
Bevölkerung an Bord haben, können wir mit ihnen zusammen am rechten Rand | |
fischen, das macht noch mal dreißig Prozent, et voilà – schon haben wir die | |
absolute Mehrheit und können endlich alleine regieren.“ | |
Jetzt sind die Journalisten hellwach. Sie bestürmen Klingbeil mit Fragen, | |
wer denn der geheimnisvolle Unbekannte sei. Der Generalsekretär verweigert | |
sibyllinisch lächelnd die Antwort. Die Münder der Gruppe formen jedoch | |
immer lauter einen Namen, bis Klingbeil die Augen verdreht. „Verdammt, Sie | |
haben mich – ja, es ist Thilo Sarrazin“, lacht er scheppernd. „Und wissen | |
Sie, wieso? Kennen Sie den Spruch, dass man die AfD nicht kopieren soll, | |
weil die Leute im Zweifelsfall ohnehin das Original wählen?“ | |
Dann steht er auf und sagt zum Abschied stolz: „Mit Sarrazin haben wir das | |
Original.“ | |
4 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Mark-Stefan Tietze | |
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