# taz.de -- Hartz IV und Niedriglohn: Schiefe Vergleiche | |
> Die „Bild“-Zeitung spielt Niedriglöhner gegen Hartz-IV-Empfänger aus. D… | |
> ist manipulativ und lenkt von der Lohnproblematik ab. | |
Bild: Es muss etwas bei den Niedriglöhnen passieren | |
Wer wissen will, wie sich mit Schlagzeilen und schrägen Vergleichen | |
Stimmung machen und Politik vereinfachen lässt, der muss sich den Aufmacher | |
der Bild-Zeitung vom Freitag [1][anschauen]: „Wir arbeiten zum Niedriglohn | |
statt Hartz IV zu kassieren. Sind wir deshalb die Dummen?“ heißt es in der | |
Headline. Dazu erscheinen dann in Wort und Bild eine Kioskbetreiberin, ein | |
Physiotherapeut, ein Friseur, eine Floristin, ein Kellner – Leute , die in | |
Vollzeit nur einen Niedriglohn verdienen, aber deutlich machen, dass sie | |
niemals Hartz IV beantragen würden. | |
4,2 Millionen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland arbeiten für ein Entgelt | |
unterhalb der rechnerischen Niedriglohnschwelle, sie liegt bei zwei Drittel | |
des mittleren Bruttoeinkommens, also im Jahr 2017 bei 2.139 Euro brutto. | |
Das sind für einen Alleinstehenden etwas unter 1.500 Euro netto. Der | |
Artikel insinuiert, dass Hartz-IV-Empfänger kaum weniger oder sogar mehr | |
„kassieren“. | |
Doch die Vergleiche sind schief. Eine vierköpfige Familie auf Hartz IV | |
bekommt laut Artikel im Schnitt über 2.144 Euro vom Amt. Allerdings würden | |
Physiotherapeuten und Floristinnen im Unterschied zu Hartz-IV-Empfängern an | |
die 400 Euro Kindergeld für zwei Sprößlinge zu ihrem Gehalt dazu bekommen. | |
Außerdem ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen der oder die Partnerin | |
mitverdienen würde und das Gesamteinkommen inklusive Kindergeld damit den | |
Hartz-IV-Satz für eine Familie deutlich überschritte. Es ist eine beliebte | |
Masche, immer nur das Arbeitsentgelt eines Alleinverdieners den | |
Hartz-IV-Bezügen für eine ganze Familie gegenüberzustellen und die | |
Schräglage zu beklagen. | |
## Hohe Lebenshaltungskosten | |
Einem Masseur in Chemnitz mit 1.300 Euro netto bleibt laut der | |
Bild-Rechnung nur noch wenig Geld zum Leben, weil schon 950 Euro im Monat | |
für Miete und Auto draufgehen. Solche Kosten erzeugen Frust bei den | |
schlecht bezahlten Erwerbstätigen, berechtigterweise. Doch wenn man | |
Arbeitsentgelte mit Hartz-IV-Bezügen vergleicht, spielt man zwei Werte | |
gegeneinander aus, die unterschiedliche Bezüge haben: Bei Hartz IV geht es | |
um den Bedarf, das Existenzminimum, beim Entgelt um eine Entlohnung für die | |
Arbeitsleistung eines Einzelnen. | |
Diese Entlohnung kann ungerecht sein mit Bezug auf die Arbeit, die | |
Anstrengung, den Verschleiß, die Lebenshaltungskosten. Aber dies darf nicht | |
dazu führen, dass man die Bedarfsgerechtigkeit beim Existenzminimum für | |
Menschen, die nicht erwerbstätig sein können, in Frage stellt. | |
Susanne Ferschl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, sagte | |
dazu der taz: „Wer bei Niedriglöhnen den Handlungsbedarf bei Hartz IV | |
sieht, lenkt absichtlich den Blick in die falsche Richtung. Hier wird auf | |
dem Rücken von Hartz IV Empfängern Sozialneid geschürt und versucht die | |
Schwächsten gegen die Schwachen auszuspielen“. | |
Die Linksfraktion hatte der Bild-Zeitung die Zahlen zum Niedriglohnsektor | |
zur Verfügung gestellt, die auf einer Anfrage der Linken bei der | |
Bundesregierung beruhen. Was das Blatt dann aber daraus machte, war für die | |
Fraktion eine unangenehme Überraschung. | |
## Problemfall Löhne und Mieten | |
Die Porträtierten im Artikel erklären, dass sie trotz ihres knappen | |
Verdienstes nicht Hartz IV beantragen würden, weil sie zu stolz dazu seien. | |
Diese Aussagen, die offenbar auf entsprechende Reporterfragen gekommen | |
sind, verbreiten eine Subbotschaft. Denn damit wird insinuiert, dass | |
erstens jeder, der keine Lust zu arbeiten hat, mal eben auf Hartz IV gehen | |
könnte und zweitens, dass Hartz-IV-Empfänger weniger Achtung verdienen als | |
Erwerbstätige. | |
Sachbearbeiter in den Jobcentern erzählen was anderes: Angesichts der guten | |
Konjunktur hat sich die Struktur der Hartz-IV-EmpfängerInnen geändert. Vor | |
allem Alleinerziehende, körperlich und seelisch Kranke, Leute mit geringen | |
Deutschkenntnissen finden sich jetzt in den Jobcentern. Viele können nicht, | |
noch nicht oder nicht mehr mithalten auf dem Jobmarkt. | |
Aber was ist mit denen, von denen Bauhandwerker mit saurer Miene berichten, | |
den Leuten, die kündigen und dem Chef tatsächlich sagen: „Mit etwas | |
Schwarzarbeit habe ich mehr Geld und weniger Stress. Ich geh' lieber auf | |
Hartz IV.“? Ja, die gibt es. Nur kann man wegen ihnen nicht die Mehrzahl | |
der LeistungsbezieherInnen unter Generalverdacht stellen. | |
Stattdessen muss was bei den Niedriglöhnen passieren. Und bei den Mieten, | |
zum Beispiel. Es kann nicht sein, dass Hartz-IV-Empfänger immer wieder für | |
den Frust der andern herhalten sollen. | |
30 Nov 2018 | |
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[1] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/4-2-millionen-n… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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