# taz.de -- Cyberattacken im Ukrainekrieg: Der Krieg im Netz | |
> Neben physischer Zerstörung wird in Moskaus Angriffskrieg auch die Rolle | |
> digitaler Angriffe sichtbar. Das Ziel: die kritische Infrastruktur. | |
Bild: Der ukrainische Präsident Selenski beherrscht die sozialen Medien wie ka… | |
BERLIN taz | In der Luft, am Boden, im virtuellen Raum: Mit dem russischen | |
Angriffskrieg auf die Ukraine etablierte sich ein neues Phänomen in der | |
Kriegsführung: digitale Attacken auf Versorgungsnetze, auf Behörden- und | |
Verwaltungsstrukturen. Der Begriff des hybriden Krieges, der im Kern nur | |
verschiedene Erscheinungsformen von Kriegsführung bezeichnet, bekam dadurch | |
eine neue Komponente. Neben der physischen Zerstörung von Infrastruktur, | |
neben dem Einsatz von Raketen, Panzern, neben Häuserscharmützeln, wo | |
Soldat:in gegen Soldat:in kämpft, wurden in einer durchdigitalisierten | |
Welt auch virtuelle Strukturen zum militärischen Ziel. | |
So gab es etwa [1][Angriffe auf ukrainische Behördenseiten], um | |
Verwaltungsvorgänge zu stören oder gar lahmzulegen. Auch auf russischer | |
Seite wurden Hackerangriffe auf Systeme gemeldet. In den allermeisten | |
Fällen waren und sind aber die tatsächlichen Urheber:innen dieser | |
Störungen nicht exakt nachzuvollziehen. Digitale Spuren werden verwischt. | |
Ähnlich wie in der physischen und direkten militärischen | |
Auseinandersetzung, beschuldigten sich die Kontrahenten Russland und | |
Ukraine für die virtuellen Angriffe gegenseitig. | |
## Nicht die ersten digitalen Angriffe | |
So meldete die IT-Sicherheitsfirma Eset zu Kriegsbeginn im Februar 2022, | |
dass eine neue Schadsoftware in ukrainischen digitalen Systemen entdeckt | |
worden war. Diese Schadsoftware verbreitete sich selbst, löschte infizierte | |
Systeme und sorgte dafür, dass Daten auf einer infizierten Festplatte nicht | |
mehr zu gebrauchen waren. Auch die Internetseiten mehrerer ukrainischer | |
Regierungseinrichtungen und staatlicher Banken waren Ziel einer | |
Cyberattacke. Nach einer sogenannten DDOS-Attacke, bei denen Server | |
überlastet werden, funktionierten an manchen Tagen rund zehn Internetseiten | |
nicht mehr, darunter die Seite des Verteidigungsministeriums und des | |
Außenministeriums und der beiden größten staatlichen Banken. Im April | |
konnte die ukrainische Cyberverteidigung nach eigenen Aussagen mit | |
Unterstützung von IT-Expert:innen des US-Unternehmens Microsoft und Eset | |
einen Angriff auf Teile der Stromversorgung vereiteln. | |
Es waren aber nicht die ersten digitalen Angriffe im Konflikt zwischen der | |
Ukraine und Russland. Auch bei der Annexion der Krim 2014 wurden Attacken | |
auf digitale Netze registriert, die beispielsweise die Systeme von Banken | |
oder Behörden stören sollten. | |
Wenn etwa Webseiten nicht mehr zu erreichen sind, ist die Wirkung solcher | |
Attacken sichtbar. Tatsächlich werden sie von langer Hand geplant. „Solche | |
Cyberoperationen brauchen Vorbereitung“, sagt Matthias Schulze, Experte für | |
Cybersicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. | |
Cyberfähigkeiten und konventionelle Kriegsführung würden verstärkt in | |
Konflikten zusammengedacht. Allerdings warnt Schulze davor, | |
Cyberoperationen als entscheidenden Faktor zu betrachten: „Sie dienen dazu, | |
Verwirrung zu stiften.“ | |
Und Nebenschauplätze aufzumachen. Die sozialen Medien beeinflussen seit | |
Februar maßgeblich, wie Informationen zur Kriegsführung gestreut werden. | |
Sowohl die russische als auch die ukrainische Seite nutzen Twitter, | |
Telegram oder andere Kanäle, um ihre Sicht der Frontverläufe darzustellen | |
und Allianzen zu schmieden. Quasi in Echtzeit kann die Welt verfolgen, | |
welche Stadt angegriffen wird, wo Bomben fallen, wie Angehörige um die | |
Toten trauern. | |
## Krieg findet heute auch im Internet statt | |
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski beherrscht die sozialen Medien | |
wie kaum ein anderer Staatenlenker derzeit. In täglichen Videobotschaften | |
ruft er nicht nur sein „Volk“ zum Durchhalten auf. Er appelliert | |
unermüdlich an die Welt, der Ukraine beizustehen. Der russische Präsident | |
Wladimir Putin lässt hingegen andere sprechen auf den digitalen Kanälen. | |
Beide sind jedoch Meister darin, gezielt Informationen zu streuen. Keine | |
Aussage, kein Video, keine vermeintlich geheime Information von | |
Sicherheitsbehörden, die an die Öffentlichkeit gelangt, lässt sich | |
überhaupt überprüfen. | |
Geopolitisch gibt es neue Verbündete, Unterstützer:innen der einen | |
oder anderen Seite melden sich international zu Wort. So auch im Netz. | |
Gleich zu Beginn des Krieges erklärte sich ein Zusammenschluss von Hackern | |
unter dem Namen Anonymous im „Cyberkrieg“ mit Russland. Die Folge: | |
Webseiten des Kremls oder das russische Staatsmedium RT News waren | |
zeitweise nicht zu erreichen. Die Angriffe gleichen kleinen gezielten | |
Nadelstichen, ob sie Systeme nachhaltig lahmlegen oder beeinflussen, bleibt | |
oft lange unklar. | |
Also tobt im Internet ein paralleler Krieg? So weit würden | |
Netzexpert:innen nicht gehen. Die bittere Erkenntnis aus sechs Monaten | |
Ukrainekrieg ist aber: „Krieg findet heute nicht mehr nur in | |
Schützengräben, sondern [2][auch im Internet statt.]“ So formuliert es | |
Hans-Wilhelm Dünn, Präsident des Cyber-Sicherheitsrats Deutschland. Für ihn | |
muss auch die Bundeswehr gestärkt werden, um „ihre defensiven Fähigkeiten | |
im Cyberraum“ zu stärken. Ob und wie dies umgesetzt werden kann, ist | |
derzeit Gegenstand heftigster Debatten. | |
Generell hinkt Deutschland in Sachen IT-Sicherheit hinterher. Böse | |
Kritiker:innen sprechen gar von einem Zustand der digitalen | |
Sicherheitsarchitektur auf dem Stand von 1985. Das Phänomen der digitalen | |
Kriegsführung und vor allem Angriffe auf Einheiten der kritischen | |
Infrastruktur haben in Deutschland zu erhöhter Wachsamkeit geführt. Dazu | |
zählen vor allem der Schutz von Strukturen zur Energieversorgung oder auch | |
Verwaltungs- und Kommunikationseinheiten. | |
„Nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sehen wir, | |
welche Rolle Cyberangriffe in geopolitischen Auseinandersetzungen spielen. | |
Sie sind längst auch zu einem Risiko für Staat und Wirtschaft geworden“, | |
bewertet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die digitalen Angriffe. | |
Kommt es zu Vorfällen, reagieren Unternehmen in der Regel autonom. Auch bei | |
Angriffen auf kommunale Strukturen bleibt es den betroffenen Behörden | |
überlassen, den Schaden zu beheben. | |
Diesen Flickenteppich will die Bundesregierung beseitigen. Helfen soll die | |
neue Cybersicherheitsagenda, um Behörden, Unternehmen und | |
Verbraucher:innen besser zu schützen. Zentral ist dabei ein gestärktes | |
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit mehr Personal | |
und mehr Befugnissen. Ein Problem wäre damit zumindest angegangen. Ob | |
Meldesysteme dann funktionieren, Informationsketten über Warn-Apps, wenn es | |
zu einem größeren Ausfall von kritischer Infrastruktur kommt, ob | |
Notfall-SMS verschickt werden, ist damit aber noch nicht beantwortet. | |
24 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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