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# taz.de -- Deutschlandreise von Annalena Baerbock: Außenministerin im Inneren
> Reisebus statt Regierungsjet: Annalena Barbock reist für die Arbeit an
> der Nationalen Sicherheitsstrategie durchs Land und gibt die
> Generalistin.
Bild: Präsent bleiben: Annalena Baerbock beim ABC-Abwehrkommando der Bundeswehr
Hannover taz | „Das kontaminierte Fahrzeug kommt von links“, sagt der
Hauptfeldwebel der Außenministerin an. Ein paar Sekunden später biegt der
Bundeswehr-Lastwagen auch schon um die Kurve und stoppt dann vor dem Tross.
Zwei Gestalten in dicken Schutzanzügen, bei 38 Grad bestimmt eine Freude,
treten mit Schläuchen heran und richten den Wasserstrahl auf das Fahrzeug.
Dann geht es weiter zu den nächsten Station: Dekontamination der Waffen,
Dekontamination der Stiefel, Dekontamination der Atemschutzmasken.
Annalena Baerbock ist auf Tour. Nicht im Ausland, wie gewohnt, sondern auf
einer Deutschlandreise mit sieben Etappen. Am Mittwochmittag steht sie auf
dem Kasernengelände des ABC-Abwehrregiments in Strausberg bei Berlin und
lässt sich vorführen, wie die Soldat*innen im Ernstfall nach einem
Angriff mit Atom-, Bio- oder Chemiewaffen ihre Arbeit machen würden. Wieder
mal was Neues für die Grünen-Politikerin. Wie vieles auf diesem Trip.
Der offizielle Anlass für ihre Reise ins Innere: Die Ausarbeitung der
Nationalen Sicherheitsstrategie, an der die Bundesregierung unter
Federführung des Außenministeriums strickt. Erstmals bekommt die
Bundesrepublik ein solches übergreifendes Grundlagenpapier für die
Sicherheitspolitik. Die Ampel hatte sich schon im Koalitionsvertrag darauf
verständigt.
Konzepte gab es in diesem Bereich natürlich schon vorher, das Weißbuch der
Bundeswehr zum Beispiel oder die Leitlinien zur Zivilen Krisenprävention.
Sie erstrecken sich aber nur über eng abgesteckte Bereiche, involviert
waren nur wenige Ministerien. An der neuen Strategie arbeiten alle
Regierungsressorts mit.
## Dschihad und Stromnetz
Erfahrungsgemäß kann das noch für Probleme sorgen: Wo verschiedene Häuser
mit ihren eigenen Sichtweisen und Interessen beteiligt sind, hat es bei
ähnlichen Prozessen schon früher gehakt. Aber der Sicherheitsbegriff in der
neuen Strategie soll eben ein umfassender sein. Militär, Polizei,
Infrastruktur, Rechtsstaat, Klimafolgen: Gehört alles dazu.
Das bildet sich auch in der Reiseroute der Ministerin ab. Am Mittwochmorgen
startet sie in Berlin-Mitte zunächst im Büro eines
Deradikalisierungsprojekts, das Dschihadist*innen beim Ausstieg aus der
Szene hilft. Danach geht es im Reisebus zum Kontrollzentrum des
Stromnetzbetreibers 50Herz, der immer wieder mit Cyberangriffen zu kämpfen
hat. Am Mittag folgt dann der Besuch bei der Bundeswehr, wo der
Praxisvorführung ein Vortrag des Kommandeurs über Aufgaben, Sorgen und Nöte
in der ABC-Abwehr vorangeht.
Hilfreich sind die Eindrücke sicherlich für die Arbeit an der
Sicherheitsstrategie, nebenbei ist die Tour aber auch nützlich fürs
öffentliche Bild der Ministerin: Weiteren Karriereambitionen könnte es
dienlich sein, wenn Baerbock nicht nur vier Jahre im Ausland unterwegs ist,
sondern auch im Inneren präsent bleibt. Auf die Frage nach einer weiteren
Kanzlerkandidatur wird sie am Abend natürlich trotzdem mit einem betont
überraschten Gesichtsausdruck reagieren. Kanzlerin werden? „Ich möchte vor
allem eine gute Außenministerin werden.“
Das sagt Baerbock in Niedersachsen, bei einer Diskussionsveranstaltung im
Gebäude der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Auch Bürgerdialoge sind Teil
der Deutschlandreise, das Auswärtige Amt spricht mit Blick auf die
Sicherheitsstrategie von einem „gemeinsamen und inklusiven Prozess mit der
Öffentlichkeit“. Auf anderen Etappen der Reise hat das Ministerium die
Teilnehmer*innen auf der Grundlage von Daten der Einwohnermeldeämtern
ausgelost, Fragen und Anliegen der Bürger*innen standen im Mittelpunkt.
## Tempolimit gegen Atomstrom tauschen?
In Hannover hat dagegen das Redaktionsnetzwerk Deutschland eingeladen, das
landesweit Regionalzeitungen mit überregionalen Inhalt versorgt. Das Format
ist frontal, im Publikum sitzen Abonnent*innen und auf der Bühne stellen
Journalistinnen den Großteil der Fragen zu aktuellen Großthemen. Ein
Talkshow-Format: Die Antworten der Ministerin stehen im Mittelpunkt.
Ob die Grünen einer [1][Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke] zustimmen,
wenn sie dafür das Tempolimit bekommen? „Ich halte nichts von Kuhhandeln“,
sagt Baerbock. Wie denkt sie über die Forderung des sächsischen
Ministerpräsidenten, den Ukraine-Krieg einzufrieren? „Ich weiß nicht, was
das bedeuten soll“, antwortet die Außenministerin.
Und ob sie sich darum sorgt, dass in der Bevölkerung die Solidarität mit
der Ukraine schwindet? In einer Umfrage stimmten erst vor ein paar Tagen 47
Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die Sanktionspolitik Deutschland
mehr schade als Russland. Vor dem Verlagsgebäude hatte sogar ein Häufchen
Demonstrant*innen auf Baerbock gewartet, auf ihren Schildern war von
der „Lügenpresse“ und der „Kokaine“ die Rede.
„Die Bevölkerung ist manchmal anders gepolt als Meinungsinstitute“, sagt
Baerbock. „Ich nehme was Anderes wahr.“ Es komme schließlich immer darauf
an, wie man eine Frage stellt. In einer anderen Umfrage sprachen sich am
Wochenende 70 Prozent dafür aus, die Ukraine trotz steigender Energiepreise
weiter zu unterstützen.
Wichtig sei aber, sagt Baerbock dann noch, dass die Bundesregierung die
Spaltung der Gesellschaft verhindere: In diejenigen, die ihre Gasrechnung
noch bezahlen können und diejenigen, denen es zu teuer wird. Es klingt nach
einer [2][Botschaft an die FDP]: „Es ist der Auftrag der Bundesregierung,
die sozialen Konsequenzen abzufedern.“ Dann werde auch die Solidarität mit
der Ukraine nicht schwinden.
Soziale Sicherheit: Vielleicht schafft sie es am Ende ja auch in die
Nationale Strategie. Vom Publikum gibt es zumindest erst mal Applaus. Den
lautesten des Abends.
21 Jul 2022
## LINKS
[1] /Forderungen-nach-laengeren-AKW-Laufzeiten/!5865699
[2] /Ampel-Koalition-und-Klima/!5864968
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Annalena Baerbock
Grüne
Außenministerium
Sicherheitspolitik
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Annalena Baerbock
Annalena Baerbock
Lesestück Recherche und Reportage
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