# taz.de -- Chinesische Musikerin Voision Xi: Das Mondlicht festhalten | |
> Die chinesische Künstlerin Voision Xi bricht mit ihrem Album „Queen and | |
> Elf“ auf ins Unbekannte. Ihre Musik hat das Zeug, das eigene Leben zu | |
> ändern. | |
Bild: Voision Xi auf dem Cover ihres Albums „Queen and Elf“ | |
Musik ist eine Traumwelt, die nach Verwirklichung strebt. Nein, so muss es | |
nicht sein, aber es wäre vielleicht der höchste Anspruch von Musik: dass | |
sie vermag, Erfahrungen zu schaffen, die das eigene Leben verändern; dass | |
mit ihr Klänge kreiert werden, als Orientierung hinein ins Unbekannte. | |
Doch mitten im Song „Kagi“ der chinesischen Künstlerin Voision Xi vermeint | |
man, just diese Orientierung verloren zu haben. Was als mitternächtlicher | |
R&B-Song mit der Frage „How do you hold a moonbeam?“ begann, wird | |
[1][mittels Pianothema zur Variation der fließenden Songimpressionen des | |
letzten Kate-Bush-Albums]. | |
Nur ist der Songtext auf Chinesisch gesungen, und mit ihm führt ein Pfad | |
hin zu einem glockenklingenden Thema im Stil der Minimal Music. Bläser | |
greifen es auf, und plötzlich, ja plötzlich ist man wo? – [2][im modalen | |
Jazz, oder alsbald im progressiven brasilianischen Nach-Bossa] des | |
Komponisten Dori Caymmi. | |
Was ist das? Da sind wir nun im Unbekannten. [3][Aber keine Angst, die | |
Musik von Voision Xi hält uns, wenn wir es zulassen]. | |
Tatsächlich ist der sechsminütige Song damit noch nicht vorbei, und doch | |
hat er uns in keinem Moment gehetzt, eher lässt uns die Künstlerin aus | |
Shanghai auf ihrem zweiten Album, „Queen and Elf“, leichtfüßig über | |
unsicheres Terrain tänzeln. 2021 debütierte sie mit einer EP aus noch | |
gänzlich elektronischer Musik und fügte 2022 auf ihrem Debütalbum bereits | |
eine Band hinzu, die neben Flötisten und Oboisten auch mit einem | |
Hypnoptisten namens „Dr. Lau“ aufwartete. | |
## Frei von Kopflastigkeit oder koketter Pose. | |
Der fehlt jetzt auf ihrem neuen Album, doch zwischen impressionistischen | |
Miniaturen und in sich geschraubten, längeren Songs findet die Musik auch | |
so zu mesmerisierender Qualität. Kennen Sie das verzückte Schweben von „I | |
Only Have Eyes For You“, dem Doowop-Hit des US-Vokalquintetts The Flamingos | |
aus dem Jahr 1959? Voision Xi gelingt kein solcher Song, aber sie knüpft | |
an, genau an der Stelle, als Psychedelia noch vor ihrer Berührung mit der | |
Rockmusik einst begann. | |
Hier finden wir den Ursprung ihrer Töne oder da, wo einst die | |
kalifornischen San Sebastian Strings über das silbrige Schimmern des | |
mondbeschienenen Meeres meditierten. Wellenlinien, die sich, wie im | |
tropfend perkussiven Tasten von „We Can Be Shy“ zu gesprochenem Text | |
zunächst in sanft, hymnische Wogen verdichten, um dann als | |
expressiv-dissonanter Jazz zu branden. | |
Stets erlebt man bei Voision Xi ein Suchen in der Musik, im Song „No. 8 | |
Signal“ kreist sie um ein Bossa-Thema, das sich klickernd zu | |
avantgardistischer Ensemblemusik erhebt und in Neo-Soul mündet. All das ist | |
frei von Kopflastigkeit oder koketter Pose. | |
## Anders sein als Chance auf etwas Besseres | |
In ihrer Frage nach dem Mondenstrahl und wie man ihn denn halten könnte, | |
verweist Voision Xi vielmehr auf die Figur der Maria im Musicalfilm „The | |
Sound of Music“, und wie ihr geht es dieser Musik tatsächlich darum zu | |
fragen, wie es sich anders leben ließe. | |
Man denkt an die schüchternen Mutigen des Postpunk, an Alison Stattons | |
Swing mit der britischen Band Weekend und die fordernden Statements in der | |
Ästhetik von Kultlabels der 80er wie Les Disques du Crépuscule aus Brüssel | |
oder ZTT aus London. | |
Wo heute das paradoxe Leiden, sich als anders zu empfinden, aber nicht als | |
anders wahrgenommen werden zu wollen, einen großen Teil westlicher Popmusik | |
prägt, sagt Voision Xi, es sei schon gut, anders zu sein, als Chance auf | |
etwas Besseres, Reichhaltigeres, Schöneres, jenseits des Altbekannten. | |
Genau das kann man hören! Und diese Einsicht vermag wirklich Leben zu | |
verändern. | |
29 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /40-Jahre-Gothic-Bewegung/!5868798 | |
[2] /Musiklegende-Sergio-Mendes-ist-tot/!6035154 | |
[3] https://voisionxi.bandcamp.com/album/queen-and-elf | |
## AUTOREN | |
Oliver Tepel | |
## TAGS | |
Musik | |
China | |
Pop | |
Traum | |
Neues Album | |
Social-Auswahl | |
Bossa Nova | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Postpunk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musiklegende Sergio Mendes ist tot: Der wandlungsfähige Multiplikator | |
Sergio Mendes fusionierte Bossa Nova mit Pop, brachte brasilianische | |
Leichtigkeit zum Jazz und förderte Talente. Nachruf auf einen großen | |
Vermittler. | |
Berlinale-Dokufilm „Republic“: Bed Peace, World Peace | |
Ein spannender Einblick ins subkulturelle China: Zwischen Bierdosen und | |
Joints philosophieren die Film-Protagonisten über Musik und Maoismus. | |
Die Band Aksak Maboul und ihr Label: Sie fanden ihre Stimme wieder | |
Die belgische Band hat das Genre Chanson modernisiert. Ihr Label hat dazu | |
beigetragen, dass die internationale Musikwelt enger zusammengewachsen ist. |