# taz.de -- Chatkontrolle in der EU: Das verdächtige Bild | |
> Ein Mann schickt auf ärztlichen Wunsch ein Foto seines Kindes, dann | |
> ermittelt die Polizei. Der Fall aus den USA ermöglicht Lehren für Europa. | |
Bild: Ein Smartphone ist kein sicherer Ort für sensible Daten | |
Es ist eine Geschichte, die den Spruch „Wer nichts zu verbergen hat, hat | |
nichts zu befürchten“ auf den Kopf stellt: Eltern entdecken bei ihrem Kind | |
eine Infektion im Genitalbereich. Es ist Wochenende, Pandemie, und so weist | |
das Pflegepersonal des telefonisch kontaktierten ärztlichen Dienstes die | |
Eltern an, vorab Fotos zu schicken, die ein:e Ärzt:in zügig begutachten | |
kann. Das daraufhin verschriebene Antibiotikum wirkt schnell. Zwei Tage | |
nachdem der Vater die Fotos aufgenommen hat, erhält er eine Nachricht, dass | |
Google seine Accounts gesperrt hat. „Harmful content“ lautet die | |
Begründung: schädliche Inhalte. Googles Algorithmen haben seine Fotos als | |
Missbrauchsbilder identifiziert, die Polizei startet daraufhin | |
Ermittlungen. | |
Die [1][New York Times hat diesen und einen ähnlichen Fall vor wenigen | |
Tagen aufgeschrieben] und die Recherche schlägt gerade hohe Wellen. Denn | |
auch wenn der Fall sich in den USA zugetragen hat – in Deutschland wäre so | |
etwas ebenso möglich. Auch hier scannen einige Anbieter von Cloud- und | |
E-Mail-Diensten hochgeladene Inhalte. Und in Zukunft könnten derartige | |
Fälle – harmlose Bilder, aus denen ein schwerer Verdacht entsteht – noch | |
zunehmen: Denn die EU plant, dass [2][auch Messenger-Dienste wie Whatsapp | |
oder Signal dazu verpflichtet werden können], Inhalte auf mutmaßliche | |
Missbrauchsabbildungen zu scannen. Dafür müssten Anbieter, die eine | |
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten, diese entweder brechen – oder die | |
Inhalte vor dem Upload auf dem Endgerät der Nutzer:innen scannen. Der | |
Widerstand gegen die Pläne ist groß, die ungelösten Probleme sind | |
zahlreich: Was etwa, wenn autoritäre Staaten die Technologie nutzen, um | |
nach unliebsamen politischen Inhalten suchen zu lassen? LGBTQIA+-Inhalte in | |
Ungarn etwa? | |
Dementsprechend lädt der New-York-Times-Fall dazu ein, es sich einfach zu | |
machen: mit dem Finger zu zeigen auf die Tech-Giganten mit ihrer | |
problematischen Marktmacht und den intransparenten Algorithmen. Zwar wurden | |
die Ermittlungen in dem beschriebenen Fall wieder eingestellt. Aber die | |
Google-Konten des Betroffenen bleiben laut dem Bericht gesperrt – genau wie | |
sein Mobilfunkanschluss, den er auch über Google bezogen hatte. Für | |
Menschen, die von Mails über Musik bis zu Fotos und Kalendereinträgen ihr | |
Leben einem Anbieter anvertrauen oder diesen gar nutzen, um sich bei | |
anderen Diensten anzumelden, ist das ein echtes Problem. Eines, das | |
Google-Nutzer:innen keineswegs exklusiv haben, bei Apple ist der goldene | |
Käfig noch viel stabiler. Man kann auch mit dem Finger zeigen auf die | |
Politik, die Big Tech zu wenig wirksame Maßnahmen entgegenstellt. Und das | |
wäre alles richtig. Aber es reicht nicht. Denn in dieser Geschichte gibt es | |
noch mehr Protagonisten, aus deren Verhalten sich einiges lernen lässt. | |
Dem Vater in dem eingangs beschriebenen Fall wurde zum Verhängnis, dass er | |
seine Fotos und Videos – wie Android das den Nutzer:innen nahezu | |
aufzwingt – in die Google-Cloud lud. Vermutlich wäre es ähnlich gelaufen, | |
hätte er die Bilder per Gmail verschickt, denn auch hier scannt Google. Man | |
kann das gut finden und im Sinne des Kinderschutzes, oder problematisch, | |
weil damit immer wieder Unschuldige ins Visier geraten und alle | |
Nutzer:innen unter Generalverdacht gestellt werden. Aber unabhängig | |
davon: Wer sensible Daten von Dritten (und nichts anderes sind Bilder von | |
unbekleideten Kindern, auch wenn es die eigenen sind) auf so angreifbaren | |
Endgeräten wie Smartphones speichern will, sollte sich das besser zweimal | |
überlegen. Smartphones können gehackt werden (gerade veraltete | |
Android-Versionen), verloren gehen, geklaut werden und nicht immer sind die | |
darauf befindlichen Daten dann vor dem Zugriff Unbefugter geschützt. | |
## Medienbildung vorantreiben | |
Ja, das ist eine unbequeme Position in Zeiten, in denen Menschen dazu | |
tendieren, etwas zu fotografieren, bevor sie es sich auch nur angeschaut | |
haben. Und das eigene Verhalten zu überdenken und gegebenenfalls auf | |
Gewohntes zu verzichten, ist nie leicht. Aber vielleicht lässt sich mit der | |
eigenen Reflexion auch gleich Medienbildung verbinden: Die Kinder damit | |
vertraut zu machen, dass sie gefragt werden, bevor man ein Foto von ihnen | |
macht. Und die Antwort dann auch zu respektieren. | |
In dem US-Fall kam erschwerend hinzu, dass es um Gesundheitsdaten ging. | |
Gesundheit, das ist für viele im Tech-Bereich das nächste große Ding, von | |
smarten Kontaktlinsen bis zu Big Data. Google sammelt schon heute | |
Gesundheitsdaten. Und wie üblich muss es dabei nicht gleich um konkrete | |
Absichten gehen, sondern erst mal darum, alles zu nehmen, was man kriegen | |
kann. Was eines Tages daraus wird? Das werden wir sehen. Wir, das sind auch | |
alle, die schon mal Symptome gegoogelt haben, ein medizinisches Dokument | |
von oder an einen Gmail-Account verschickt oder ein Foto von dem komischen | |
Leberfleck gemacht haben, das dann in die Cloud synchronisiert wurde. Oder | |
ganz andere Dinge, von denen wir uns heute noch nicht einmal ausmalen | |
können, dass sie im Gesundheitsdatenkontext relevant werden. Wahrscheinlich | |
werden Dienste wie Google in 30 Jahren eine umfassendere Krankheitshistorie | |
eines Menschen präsentieren können, als es die Akte der eigenen Ärztin | |
vermag, die schließlich nur einen Ausschnitt kennt. | |
Klar ist: „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ wird ein | |
Klassiker bleiben aus dem großen Märchenbuch der | |
Überwachungsliebhaber:innen. Je weniger Menschen ihn glauben, desto mehr | |
Nutzen und desto weniger Schaden wird die Digitalisierung schaffen. | |
25 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nytimes.com/2022/08/21/technology/google-surveillance-toddler-p… | |
[2] /Plaene-der-EU-Kommission/!5852598 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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