# taz.de -- Bürgermeister-Abwahl in Freiburg: Deutungskampf um Breisgau-Beben | |
> Nach 16 Jahren wurde Freiburgs grüner Bürgermeister abgewählt. SPD und | |
> Linke hoffen auf das Ende von Grün-Schwarz im Land. | |
Bild: Zieht ins Rathaus ein: der junge Newcomer Martin Horn | |
KARLSRUHE/ BERLIN taz | Freiburg liegt gut 800 Kilometer von Berlin | |
entfernt. Ziemlich weit weg also. Und Grünen-Chefin Annalena Baerbock tut | |
am Montag in der Berliner Parteizentrale alles, um diese Distanz auch im | |
Politischen zu belegen. Kommunalpolitik lebe vor allem von den Akteuren vor | |
Ort, sagt sie. Freiburg sei eine „Wahl vor Ort“ mit „Themen vor Ort“ | |
gewesen. Daraus eine Richtung für baden-württembergische Landespolitik | |
herzuleiten, „sehe ich überhaupt nicht“. | |
Freiburg hat mit dem Rest nichts zu tun. Das ist die bequeme Lesart für die | |
Grünen. Denn was sich am Sonntagabend in der 230.000-Einwohner-Stadt im | |
Breisgau ereignet hat, ist ein kleines Erdbeben. Oberbürgermeister Dieter | |
Salomon wurde nach 16 Jahren im Amt abgewählt. Martin Horn, ein von der SPD | |
unterstützter, junger Newcomer, schlug den wertkonservativen Amtsinhaber | |
klar und zieht ins Rathaus ein. Und noch etwas beunruhigt die Grünen: Die | |
Stadträtin Monika Stein, die von der Linkspartei unterstützt worden war und | |
einen Fokus auf soziale Themen hatte, kam auf 24,1 Prozent der Stimmen. | |
Ist Salomons Niederlage der Anfang vom Ende der grünen Bürgerlichkeit à la | |
Kretschmann? Sind die Grünen im Südwesten zu schwarz? Schließlich | |
unterstützte die Freiburger CDU Salomon offen und hatte gar auf einen | |
eigenen Kandidaten verzichtet. | |
## Konkurrenz frohlockt | |
Die politische Konkurrenz bemühte sich sehr, diese Deutung zu etablieren. | |
Baden-Württembergs SPD-Landeschefin Leni Breymaier gratulierte Horn auf | |
Twitter und schrieb den Hashtag #Sensation dazu. Ihre Generalsekretärin | |
Luisa Boos sagte: „Nach 16 Jahren ist der Prototyp des grünen Aufstiegs in | |
Baden-Württemberg abgewählt.“ Das sei auch ein Signal für die | |
Landespolitik. Die schwarz-grüne Ära habe in Baden-Württemberg nicht im | |
Landtag, sondern in den Rathäusern begonnen. „Diese Konstellation hat die | |
soziale Frage systematisch vernachlässigt, etwa den Wohnungsbau“, sagte | |
Boos. „Deshalb hat sie keine Zukunft mehr.“ | |
Linken-Politiker äußerten sich ähnlich euphorisch. Parteichef Bernd | |
Riexinger gratulierte der Kommunalpolitikerin Stein auf Twitter zu dem | |
guten Ergebnis. „Das ist etwas esonderes“ für Baden-Württemberg. | |
Dabei liegt die eigentliche Überraschung zwei Wochen zurück. Damals verwies | |
Horn Salomon im ersten Wahlgang auf den zweiten Platz. Der Wunsch nach | |
einem Wechsel lag in der Luft, vergangene Leistungen des Amtsinhabers | |
zählten offenbar wenig. Man konnte sehen: Bürgerinnen und Bürger kamen in | |
Scharen zu den Podiumsdiskussionen, darunter viele Erstwähler und | |
Studenten. Eigentlich die klassisch-grüne Klientel, die aber wenig mit | |
Salomons „Weiter so“ anfangen konnte. | |
Schon das Ergebnis des ersten Wahlgangs hatte gezeigt, dass dem OB | |
ausgerechnet in grünen Hochburgen wie dem Vauban, aber auch in anderen | |
urbanen Quartieren, in denen er vor acht Jahren klarer Wahlsieger war, die | |
Basis verloren ging. Einige dieser grünen Hochburgen gingen diesmal an die | |
linke Kandidatin Stein. Sie errang in beiden Wahlgängen über 24 Prozent. | |
## Das Netz genutzt | |
Martin Horn fand dagegen breiten Zuspruch in fast allen Wahlkreisen. Dafür | |
hat er fleißig Wahlkampf gemacht und auch als Erster das Netz professionell | |
für seine Kampagne genutzt. Auf diese Weise ist er in bürgerlich-liberale | |
Wählerschichten eingedrungen, mit denen sich Salomon bisher neben seinen | |
Stammwählern die Mehrheit sichern konnte. Man kann sagen, Salomon wurde am | |
Ende zwischen der linksgrünen Stein und dem rundum kompatiblen Horn | |
zerrieben. Das war auch im zweiten Wahlgang nicht mehr zu drehen. | |
Ja, es ging auch um Inhalte in diesem Wahlkampf. Fehlender Wohnraum | |
einerseits, das wachsende Unbehagen über Verdichtung und neue Wohnviertel | |
auf der grünen Wiese andererseits. Salomon entschied sich im Widerspruch | |
zwischen Landschaftsversiegelung durch Neubauten und Wohnungsmangel für das | |
Bauen. Martin Horn versammelte in seinem Wahlkampf beide Lager hinter sich | |
und ließ Lösungen dieses Zielkonflikts offen. Das kann er sich jetzt als | |
Oberbürgermeister nicht mehr leisten. | |
Wie halten die Grünen ihr eigenes Milieu bei der Stange und gewinnen | |
gleichzeitig die Mehrheit der Gesellschaft und damit Wahlen? Eine Antwort | |
dazu kam vom hyperkonservativen Flügel der Partei, von Boris Palmer, | |
Oberbürgermeister in Tübingen. „Wenn Kreuzberg und Tübingen gegeneinander | |
marschieren, verliert man. Wenn Kreuzberg und Tübingen sich zusammentun, | |
gewinnt man klar“, analysierte er. | |
## “Grünen Kern nicht vergessen“ | |
Und Kerstin Andreae, Bundestagsabgeordnete aus Freiburg und Reala wie | |
Palmer, sagte: „Man muss die Inhalte der Partei ernst nehmen, denn auf | |
diesem Weg werden Inhalte grüner Wähler transportiert.“ Ein „Weiter so“ | |
genüge auch bei erfolgreicher Amtsführung nicht. „Visionäre | |
Gestaltungskraft“, das müsse man von Grünen immer erwarten können, sagte | |
Andreae. | |
Davon hatte Salomon zuletzt wohl zu wenig im Angebot, um das grüne Milieu | |
zu mobilisieren. Der Soziologe Till Westermayer arbeitet als | |
parlamentarischer Berater der Grünen-Fraktion in Baden-Württemberg – und | |
lebt in Freiburg. Er verwies in einem Blogbeitrag auf die geschickte | |
Kommunikation Horns. | |
Es sei das Bild eines arroganten grünen OBs in Umlauf gebracht worden, dem | |
Bürgerbeteiligung und bürgernahe Kommunikation entgegengestellt worden sei. | |
Erfolge würden von WählerInnen schnell vergessen, nur gut zu verwalten | |
reiche nicht aus, schrieb Westermayer. „So wichtig eine Erweiterung der | |
grünen Wählerklientel in die Breite der Bevölkerung ist – der grüne Kern | |
und dessen Interessen sollten nicht vergessen werden.“ | |
Schärfere Töne gegen Salomons Kurs und Forderungen nach Korrekturen der | |
Landespolitik waren im linken Flügel der Grünen zu hören. „Wenn Ökologie | |
und Gerechtigkeit auseinanderfallen, kriegen die Grünen ein Problem“, | |
schrieb Jürgen Trittin schon nach dem ersten Wahlgang auf Twitter. Auch | |
jetzt, nach dem Sieg der Konkurrenz, äußerten sich Linksgrüne hinter | |
vorgehaltener Hand kritisch. | |
Das Soziale, gerade das Thema Wohnungsbau, sei in Freiburg und in der | |
Landespolitik vernachlässigt worden, hieß es etwa. Salomon habe bei der | |
Orientierung auf bürgerliche Wähler den Bogen überspannt und die eigene | |
Klientel aus dem Blick verloren. Es sei übertrieben, Freiburg als Anfang | |
vom Ende der Ära Kretschmann zu interpretieren, fasste ein gut vernetzter | |
Linksgrüner zusammen. „Aber ein Weckruf muss das Ergebnis in jedem Fall | |
sein.“ | |
7 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Benno Stieber | |
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