# taz.de -- Bündnis Pro Straßenbahn: Aufbruch in den Westen | |
> Kommende Generationen sollen mit der Tram durch ganz Berlin fahren. Das | |
> Bündnis Pro Straßenbahn hat dazu ein „Zielnetz 2050“ vorgelegt. | |
Bild: Effizienter und sauberer als der Bus, billiger als die U-Bahn: die Tram | |
Würden wir die Entwicklung des urbanen Verkehrs als Evolutionsgeschichte | |
lesen, wäre die Straßenbahn der seltene Fall einer Spezies, deren Zeit | |
längst abgelaufen schien und die in wichtigen Biotopen bereits ausgestorben | |
war, aber nach ein paar Verbesserungen ihrer DNA das alte | |
Verbreitungsgebiet erfolgreich neu besiedelte. Weltweit erlebt die Tram – | |
effizienter und sauberer als der Bus, billiger als die U-Bahn, dazu viel | |
leiser und moderner als ihre Ahnen aus dem 20. Jahrhundert – ein Comeback. | |
In Berlin war sie bekanntlich nur zum Teil verschwunden – von 1967 bis 1997 | |
rollte keine einzige Straßenbahn in Westberlin. Außer der Verlängerung zur | |
Weddinger Seestraße und dem Anschluss an den Hauptbahnhof vor ein paar | |
Jahren ist hier auch noch immer nichts passiert. Rot-Rot-Grün hat sich | |
allerdings fest vorgenommen, das Tramnetz West zu erweitern und Lücken im | |
Ostteil zu schließen. Die Koalitionsvereinbarung zählt etliche Projekte | |
auf, die entweder noch in der laufenden Legislaturperiode in Betrieb gehen | |
sollen (etwa die Verbindung vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße) oder | |
mit deren Bau bis 2021 begonnen werden soll (zum Beispiel die Strecke | |
Alexanderplatz–Kulturforum–Rathaus Steglitz). | |
Ob das wirklich so schnell geht, ist fraglich. Allerdings gibt es | |
mittlerweile eine Pressure-Group, die den amtierenden Senat und namentlich | |
die grüne Verkehrsverwaltung antreiben will. Das 2016 ins Leben gerufene | |
Bündnis Pro Straßenbahn, an dem VertreterInnen der regierenden Parteien | |
ebenso beteiligt sind wie Verkehrs- und Umweltverbände, hat jetzt getan, | |
was der Koalitionsvertrag ebenfalls verspricht, ohne dass die Verwaltung | |
es bislang umgesetzt hätte: Am Mittwoch stellte es in der Schöneberger | |
Landesgeschäftsstelle des BUND ein „Zielnetz 2050“ vor – sozusagen die | |
Sammlung aller Wünsche, deren vollständige Erfüllung die meisten | |
Beteiligten gar nicht mehr erleben dürften. | |
Es handelt sich um ein Geflecht aus 235 Straßenbahnkilometern, zusätzlich | |
zu den 60 Kilometern, die in der Koalitionsvereinbarung stehen (s. Grafik). | |
Das Bündnis hat sie aber nicht aus dem Bauch heraus in den Stadtplan | |
gemalt: Dem Entwurf liegt die Auswertung der Fahrgastzahlen der heutigen | |
Buslinien zugrunde, auch langwieriges Herumtüfteln an Routen für optimale | |
stadträumliche Verbindungen. Auf exakte Trassenführungen oder einzelne | |
Haltestellen jenseits der Umsteigepunkte hat man verzichtet. | |
Hinter diesem Vorstoß steht ein Kampf um Prioritäten: „In den | |
Koalitionsverhandlungen haben wir gesagt: Diese Legislaturperiode soll die | |
Legislaturperiode der Straßenbahn werden“, betonte Sybille Uken, | |
Vorsitzende des SPD-Fachausschusses Mobilität, „über die Verlängerung von | |
U-Bahn-Linien sollte nicht gesprochen werden.“ Die Realität sieht anders | |
aus. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Grünen-nahe | |
Verkehrssenatorin Regine Günther haben mehrfach angekündigt, Lückenschlüsse | |
und Linienverlängerungen im U-Bahn-Netz prüfen zu lassen – etwa den | |
Weiterbau der U7 nach Schönefeld. | |
## Jetzt tramgerecht bauen | |
Dem Bündnis ist es auch deshalb so ernst, weil spätere Maßnahmen von | |
heutigen Entscheidungen abhängen. Wenn jetzt Verkehrswege gebaut werden, | |
die später für die Tram nicht geeignet sind, torpediert man die | |
Verkehrsplanung der kommenden Generation. Christfried Tschepe vom | |
Fahrgastverband IGEB lobte darum den einstigen SPD-Bausenator Peter | |
Strieder: Dieser habe bei der Wiederherstellung der Oberbaumbrücke nach der | |
Wende die Straßenbahn mitgedacht – die nun wohl irgendwann darüberrollen | |
wird, ohne die Statik des Bauwerks in Verlegenheit zu bringen. | |
Alle Beteiligten gingen am Mittwoch davon aus, dass man in der | |
Senatsverwaltung die Vorarbeit des Bündnisses zu schätzen weiß. „Wenn wir | |
unser Zielnetz über deren ÖPNV-Bedarfsplan legen, passt das gut zusammen“, | |
sagte Harald Moritz (Grüne). Allerdings sieht dieser Bedarfsplan, der vor | |
Kurzem bekannt wurde, den Verkehrssenatorin Günther aber nicht offiziell | |
präsentiert hat, nur einen Bruchteil der im „Zielnetz 2050“ skizzierten | |
Strecken vor. Erstellt hat den Plan das „Center Nahverkehr Berlin“ im | |
Auftrag der Senatsverwaltung. | |
Der Sprecher von Senatorin Günther, Matthias Tang, bekräftigte gegenüber | |
der taz, der Netzausbau bei der Straßenbahn habe in den kommenden Jahren | |
Priorität, „weil sie vergleichsweise kostengünstig und schnell zu | |
realisieren ist“. Man halte daran fest, dass in der laufenden Wahlperiode | |
drei Tramstrecken in Betrieb gingen und die Planung für die anderen im | |
Koalitionsvertrag genannten Strecken „mit Hochdruck“ vorangetrieben werde. | |
Für die weitere Planung suche man den Dialog mit Verbänden, Initiativen und | |
der Wissenschaft sowie Bündnissen und Gruppen. | |
23 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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