# taz.de -- Bremer Bildungspolitik: Eine Frage des Geldes | |
> Zehn Jahre Schulfrieden haben in Bremen vor allem gezeigt, dass Bildung | |
> mehr Mittel braucht. Im Wahlkampf wird die entscheidende Frage nun sein: | |
> Inklusion oder Selektion? | |
Bild: An Stiften mangelt es an Bremen Schulen nicht, aber genug Mittel sind tro… | |
BREMEN taz | Zwei herausragende Defizite des Bremer Bildungskonsens von | |
2009 hat Till-Sebastian Idel besonders betont. „Das eine ist die | |
Ausstattung“, sagte der Erziehungswisssenschaftler von der Uni Bremen am | |
Mittwochabend bei einem Hearing in der Bürgerschaft, „das andere ist die | |
fehlende oder unzureichende Unterstützung durch die Verwaltung“ – also | |
durch die Bildungsbehörde. | |
Idel gehörte zur Kommission aus Wissenschaftler*innen, die im Auftrag der | |
Bürgerschaft seit 2016 den bundesweit beachteten Bremer Bildungskonsens | |
ausgewertet hat: Ein Zwei-Säulen-Modell, das einen neunjährigen Weg zum | |
Abitur über die Oberschule eröffnet und einen achtjährigen via Gymnasium, | |
sollte helfen, die Herausforderung der Inklusion zu bewältigen und Ansätze | |
zur Heilung der Leistungsdefizite des Bremer Schulwesens zu entwickeln. | |
Ein Coup war das, weil Grüne und SPD darin einen Schritt in Richtung einer | |
„Schule für alle“ sehen konnten, die sie seinerzeit noch forderten, und | |
umgekehrt die CDU ihre Vorstellung von einer selektiv-gegliederten | |
Bildungslandschaft sah. Folge: Das Thema war für den Wahlkampf 2011 | |
praktischerweise gestorben und spielte auch 2015 keine überragende Rolle. | |
Das wird diesmal nicht funktionieren – obwohl alles auf eine Neuauflage des | |
Schulfriedens hindeutet: Statt wie früher um die Schulstruktur wird jetzt | |
über die innere Ausgestaltung des Zwei-Säulen-Modells gestritten. | |
Seit die Kommission das Ergebnis der Evaluation vorgestellt hat, herrscht | |
in den Parteien Unsicherheit. Nachvollziehbar, denn mindestens Grüne, SPD | |
und CDU haben hier erkennbare Fehlentwicklungen verursacht oder an ihnen | |
mitgewirkt. Am 10. April hatten Union und FDP das Feld bereits zu bestellen | |
versucht: „Ein plattes Weiter-so kann es nicht geben“, hatte Thomas vom | |
Bruch (CDU) die Zukunftsfrage noch einigermaßen vage beantwortet. | |
Beim von den Grünen einberufenen Meeting wurde Matthias Güldner am | |
Mittwochabend schon konkreter: „Eine inklusive Bildungspolitik benötigt | |
eine entsprechende Haushaltspolitik.“ Vorab hatte er im Gespräch mit der | |
taz noch betont, dass sich das Problem nicht auf die Frage nach der | |
Ausstattung reduzieren lasse. Doch zeigte die Anhörung: Auch die | |
qualitativen Defizite des Schulsystems hängen vom Mittel-, Raum- und | |
Personalmangel ab. | |
„Es ist gut, wenn endlich einmal die Ressourcen in den Mittelpunkt gestellt | |
werden“, resümiert die Sprecherin der Oberschulen-Leiter*innen, Annette | |
McCallum. | |
Vergessen worden waren Gymnasialvertreter*innen. Eingeladen hatten die | |
Grünen jene Stimmen, die bei der Evaluation aus Kosten- und Zeitgründen | |
ignoriert worden waren: So wies Helmut Brandenburg vom Vorstand des | |
Zentral-Elternbeirats (ZEB) darauf hin, dass die in der wissenschaftlichen | |
Evaluation per Schulleiterbefragung ermittelte 70-prozentige Akzeptanz der | |
Schulstruktur von Elternseite mit einem Fragezeichen zu versehen sei, | |
genauso wie das Thema Inklusion: „Ja, es gibt dafür eine breite | |
Zustimmung“, versicherte er. „Die ist allerdings nicht uneingeschränkt. Was | |
uns begegnet, ist ein Ja-Aber der gelebten Inklusion.“ | |
Was das sein mag, konnten Cora Oeter und Julian Unbescheid von der | |
Gesamtschülervertretung sehr plastisch schildern: In einer Schule habe „der | |
Lehrer vorne gestanden und etwas erklärt, und die Inklusionsschüler saßen | |
die ganze Zeit nur daneben mit ihrem Sozialpädagogen“, sagte Oeter: „Ich | |
hatte nicht das Gefühl, dass das die perfekte Inklusion darstellt.“ Aus | |
Schüler*innensicht sei es nicht nachvollziehbar, wieso Bremen weniger Geld | |
für Bildung ausgebe als die anderen Stadtstaaten. „Wir sollten da | |
wenigstens aufs gleiche Niveau kommen“, sagte Unbescheid. | |
Dass die Schulen „unterschiedlich weit auf dem Weg zu einer inklusiven | |
Schulkultur vorangeschritten“ seien, hatte auch die | |
Wissenschaftler*innen-Crew festgestellt. Nötig wäre also, | |
Qualitätsstandards zu entwickeln und die Lehrkräfte pädagogisch | |
fortzubilden. | |
Die Chancen darauf sind derzeit nach Schilderung von Rektor*innen, | |
Personalrat und Gewerkschaft nicht so besonders groß: „Wir sind vor allem | |
damit beschäftigt, Löcher zu stopfen“, hatte der Vorsitzende der | |
Schulleitervereinigung, Thorsten Maaß, die Lage geschildert. „Wir kommen | |
gar nicht dazu, uns um Unterrichtsqualität zu kümmern.“ | |
Auch fehlt mittlerweile das Know-how, das Bremen hatte, bis die | |
rot-schwarze Koalition auf die Schnapsidee verfiel, den exzellenten | |
sonderpädagogischen Studiengang an der Uni zu beseitigen. | |
Das ist dramatisch: Während die soziale Inklusion bestenfalls auf der | |
Stelle tritt, bleibt die Inklusion von Menschen mit Behinderung | |
greifbarster Benefit der Schulreform. Immerhin 40 Prozent jener | |
Schüler*innen, bei denen ein sonderpädagogischer Bedarf diagnostiziert | |
wurde, machen mittlerweile einen Abschluss. | |
Der Anteil ist damit doppelt so hoch wie 2009. „Aus der Perspektive | |
behinderter Menschen ist das ein Erfolg“, sagte der | |
Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück. Gefährdet ist er trotzdem, | |
denn „anfangs hatte es eine gute Stimmung für Inklusion gegeben, das war | |
ein Aufbruch“. Bloß hätten wenig später die Mittelkürzungen dann vieleror… | |
einen regelrechten Umschwung bewirkt. „Damals hatte es darum auch Streit im | |
Senat gegeben.“ | |
Tatsächlich hatte Renate Jürgens-Pieper (SPD) damals eine bessere | |
personelle Ausstattung fürs Ziel der Inklusion ertrotzen wollen. Die | |
Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hatte dagegen auf die vereinbarten | |
Eckwerte gepocht, die in Erwartung sinkender Schüler*innenzahlen errechnet | |
worden waren. Falsche Zahlen, wie heute klar ist. Jürgens-Pieper trat | |
zurück und ist auch bei ihrer Partei seither ziemlich abgemeldet. Linnert | |
wird 2019 als neuerliche Spitzenkandidatin ihrer Partei die Ernte des | |
Sanierungskurses einfahren. | |
20 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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