# taz.de -- Bordelle wegen Corona geschlossen: Ohne Perspektive | |
> Viele Sexarbeiter*innen haben in der Coronakrise Einkommen und ihr | |
> soziales Umfeld verloren. Öffnungen sind nicht in Sicht. | |
Bild: Seit vier Monaten dürfen Bordelle nicht öffnen. Betreiberin Simone ford… | |
BERLIN taz | Im Wohnzimmer der Zimmervermietung Rose sitzen drei Frauen auf | |
beigefarbenen Ledersofas. Normalerweise machen Sexarbeiter*innen hier | |
Pause, wenn gerade keine Kunden da sind. Heute aber sitzen die Frauen hier, | |
um öffentlich Druck zu machen, damit Bordelle bald wieder ihre Pforten | |
öffnen dürfen. | |
Seit vier Monaten sind Bordelle in Deutschland geschlossen. | |
Sexarbeiter*innen, Betreiber*innen und Hausdamen – sie alle haben derzeit | |
keine Arbeit. Sie verlieren nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihre | |
Freund*innen, ihr soziales Umfeld, ihre über Jahre aufgebauten Beziehungen | |
zu Kunden. Einige bringt die Schließung sogar physisch in Gefahr, denn sie | |
arbeiten im Stillen weiter, gehen zu Kunden nach Hause oder auf Hotelzimmer | |
– ohne Sicherungsnetz. | |
Der Eingang zur Zimmervermietung Rose findet sich im Erdgeschoss eines | |
Plattenbaus in Berlin-Lichtenberg. Hinter einer unscheinbaren Wohnungstür | |
empfängt die Betreiberin Julia zum Tag der offenen Tür des Bundesverbands | |
Sexuelle Dienstleistungen. Sie vermietet fünf Zimmer. Von der Wohlfühloase | |
mit Whirlpool bis zum Domina-Zimmer mit Gynäkologie-Stuhl und Andreaskreuz | |
reicht ihr Angebot. | |
Ihre Zimmer dekorieren Bilder von roten Lippen, kleine Palmen und | |
Lichterketten. Corona trifft sie und ihre „Mädchen“ hart. „Ich habe | |
zumindest die laufenden Kosten durch staatliche Hilfe decken können“, sagt | |
Julia. Viele der Sexarbeiter*innen möchten jedoch nicht zum Amt gehen. Und | |
da sie keine laufenden Kosten haben, können sie diese auch nicht erstattet | |
bekommen. | |
## Schließung bringt Frauen in Gefahr | |
Ähnlich ist die Lage im Freudenhaus Hase. Das Laufhaus am Humboldthain in | |
Berlin hat eine lange Tradition, bereits seit 30 Jahren arbeiten hier | |
Sexarbeiter*innen. Elke Winkelmann und Simone Goretzki betreiben ein | |
Bordell, das mehr ist als ein Ort für Sex. Krimilesungen wurden schon im | |
Haus gehalten, Theaterstücke aufgeführt, Vernissagen veranstaltet. Derzeit | |
stellt der Künstler Clemens Schergaut psychedelische Malerei aus. | |
Die Frauen im Freudenhaus Hase arbeiten als selbstständige Unternehmerinnen | |
und zahlen Miete für ihre Zimmer. Nicole und Milena arbeiten schon länger | |
hier. Sie kommen aus Polen und Bulgarien, wollen aber nicht als Opfer | |
dargestellt werden. „Wir arbeiten selbstbestimmt“, sagt Milena. Das Bordell | |
sei für sie mehr als nur eine Arbeitsstätte. Hier finde sie auch | |
Freundschaft und Nähe. „Wir trinken, lachen, feiern zusammen“, sagt sie. | |
Mit ihren Freundinnen habe sie sich während der Pandemie oft im Park | |
getroffen und gehofft, dass es bald wieder Arbeit gibt. | |
Denn finanziell sei die Lage schwierig. „Viele leben von ihrem Ersparten“, | |
sagt Nicole. Andere hätten Partner oder Kunden, die sie unterstützten. „Mir | |
haben zwei Kunden Geld überwiesen“, sagt Milena. Schließlich müsse sie | |
weiter ihre Wohnung bezahlen und ihre Katzen füttern. [1][Einige von ihren | |
Kolleg*innen arbeiteten trotz Corona weiter] – einfach, weil es finanziell | |
nicht anders geht. „Wenn sie sich dann in einem Hotel treffen oder in einem | |
Haus, ist das gefährlich“, sagt sie. Schließlich wisse man nicht, was einen | |
vor Ort wirklich erwarte. | |
Ein Konzept für eine Wiedereröffnung der Bordelle hat der Bundesverband | |
Sexuelle Dienstleistungen bereits erarbeitet. Es sieht Desinfektion, Masken | |
und Kontakt nur zwischen Sexarbeiter*in und Kunde vor. „Ich verstehe nicht, | |
warum Kontaktsport wieder stattfinden darf, wir aber immer noch nicht | |
öffnen dürfen“, sagt Winkelmann. „Ringen oder Judo sind von der | |
Infektionsgefahr ja nicht anders als unser Geschäft.“ Sie vermutet, dass | |
die Politik sich zurückhält, weil sie Bordelle als schmutzig und gefährlich | |
ansehe. | |
## Keine Öffnungsperspektive | |
Dieser Meinung ist auch Wolfgang. Der 66-Jährige mit lichtem Haar und | |
offenem Lachen ist Stammkunde im Freudenhaus Hase. Ein- bis zweimal im | |
Monat kommt er normalerweise ins Haus, „in meinem Alter hängt das auch von | |
den Hormonen ab“, scherzt er. Für ihn ist der Umgang der Politik mit den | |
Bordellen Diskriminierung: „Die versuchen ihr konservatives Weltbild unter | |
dem Vorwand der Corona-Auflagen durchzusetzen.“ | |
Der Tag der offenen Tür war auch ein Versuch der Bordellbetreiber*innen, | |
mit der Politik ins Gespräch zu kommen. Gemeinsam wolle man eine | |
Öffnungsperspektive erarbeiten, sagen die Betreiber*innen. Politiker*innen | |
waren in der Zimmervermietung Rose und im Freudenhaus Hase jedoch nicht | |
anzutreffen. | |
16 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Mitsuo Iwamoto | |
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