# taz.de -- Biologe zu Strategien gegen Artensterben: „Keiner guckt sich Inse… | |
> Josef Settele vom Umwelt-Forschungs-Zentrum Halle erfasst seit 2005 | |
> Schmetterlingsbestände. Er fordert ein staatliches Insekten-Monitoring. | |
Bild: Studien zum Insketensterben gebe es reichlich, so Forscher Settele, leide… | |
taz: Herr Settele, Sie zählen seit Jahren Tagfalter. Warum? | |
Josef Settele: Weil Tagfalter gute Indikatoren für Biodiversität sind. | |
Zudem faszinieren und beschäftigen mich Tagfalter aufgrund ihrer Schönheit | |
schon seit 50 Jahren. | |
Aber dabei allein soll es nicht bleiben, oder? | |
Mit den Tagfaltern haben mein Team und ich gezielt eine Gruppe | |
herausgesucht, die ästhetisch ansprechend ist, um Freiwillige zum Mitmachen | |
zu bewegen. Wenn man die Rolle von Insekten in unseren Ökosystemen besser | |
verstehen will, macht es aber Sinn, sich mehrere Insektengruppen | |
anzuschauen. | |
Finden Sie die Initiative des Nabu denn gut? | |
Die Aktion kann wertvoll dafür sein, Bewusstsein für Insekten zu schaffen. | |
Ich habe den Eindruck: Alle reden davon, dass die Insekten weg sind, aber | |
keiner guckt sie sich an. In unserem Tagfalter-Monitoring haben wir in 13 | |
Jahren keinen Trend bezüglich der Individuenzahlen feststellen können. | |
Seitdem wir zählen, haben wir nahezu stabile Verhältnisse über alle Arten | |
hinweg, auch wenn manche Arten häufiger oder seltener werden. Die | |
vieldiskutierte Studie zum Insektensterben vom Oktober legt nahe, dass das | |
bei anderen Insekten anders ist. Wissenschaftlich darf man vom | |
Nabu-Monitoring allerdings nicht zu viel erwarten. | |
Warum nicht? | |
Der Untersuchungsradius ist zu klein, und es werden Arten gesucht, die | |
bekanntermaßen eh noch da sind. Auch für die Ursachenforschung kann es kaum | |
dienen, weil nötige Rahmendaten nicht erhoben werden. | |
Kann mit der Studie trotzdem Druck auf die Politik ausgeübt werden, mehr | |
gegen das Insektensterben zu tun? | |
Direkt nicht. Die Politik will wissenschaftlich fundierte Daten. Das | |
Bizarre ist, dass die Wissenschaftler sagen: „Wir wissen genug, um zu | |
handeln“, und die Politiker entgegnen, wir wüssten nicht genug. Dabei gibt | |
es genug Studien, die die Ursachen für das Insektensterben klar benennen. | |
Es wird oft versucht, die Ergebnisse zu diskreditieren, um politisch nicht | |
handeln zu müssen. | |
Wie auch beim Nabu führen Ihre Monitorings Ehrenamtliche durch. Kann da | |
jede*r mitmachen? | |
Generell, ja. Aber man muss den Einstieg finden. Am Anfang haben viele der | |
Teilnehmenden keine oder wenig Ahnung. Wir benutzen die Falter als | |
„Einstiegsdroge“ für unsere Ehrenamtlichen. Wenn sie die Faszination packt, | |
werden sie in zwei bis drei Jahren echte Experten. Ob die Leute einen | |
Hochschulabschluss haben oder im Haushalt arbeiten, macht dann für die | |
Qualität der Daten meist keinen Unterschied. | |
Wie gehen Sie mit den Daten um? | |
Wir hinterfragen ihre Plausibilität. Zum Beispiel schauen wir, ob das | |
angegebene Insekt in der Jahreszeit überhaupt vorkommt. Bei auffälligen | |
Häufungen seltener Falter haken wir nach. Manchmal geben unerfahrene Zähler | |
versehentlich nahe Verwandte an. Mit der Zeit wissen wir dann schon, wer | |
welche Fehler macht. Schön ist, dass die meisten lernen wollen, und bei der | |
Größe der Datenmenge sind kleine Fehler auch kein Problem. Allgemein ist | |
viel Rückkoppelung nötig. Wir versuchen die Leute gut zu betreuen und | |
telefonieren häufig mit ihnen. | |
Wie können Apps, wie sie der Nabu nutzt, da helfen? | |
Die Entwickler machen da sicherlich wegweisende Arbeit. Solche Apps können | |
bei wissenschaftlichen Monitorings sehr hilfreich sein, weil die direkte | |
Datenübermittlung viel Zeit spart. Eine Bestimmungshilfe mit automatischem | |
Fotoabgleich macht die Nutzer zudem unabhängiger von Experten, die einem | |
helfen. Außerdem spricht so eine App junge Leute an. Unsere Ehrenamtlichen | |
sind eher 50 aufwärts, stehen kurz vor der Rente und suchen etwas, das Spaß | |
macht und gesellschaftlich relevant ist. | |
Wieso kommt die Initiative vom Nabu und nicht aus der Wissenschaft? Wurde | |
da etwas versäumt? | |
Monitorings sind oft zu langfristig angelegt für den Wissenschaftsbetrieb. | |
Ein einzelner Professor, der gucken muss, wo sein Geld herkommt, denkt zu | |
kurzfristig. Deshalb ist es die Aufgabe des Bundesamtes für Naturschutz, | |
ein umfassendes Insekten-Monitoring auf den Weg zu bringen. Die | |
Umweltministerkonferenz hat unlängst gefordert, bis März 2019 dafür einen | |
Leitfaden zu erstellen. | |
Könnte Ihr Tagfalter-Monitoring dafür Modell stehen? | |
Die Vielfalt wird hier für die Ehrenamtlichen zum Problem. So schön sie | |
ist, am Ende kennen sich nur noch totale Experten aus. Unserer Erfahrung | |
nach braucht man überschaubare Gruppen. Die Bienenverwandten machen zum | |
Beispiel mehrere tausend Arten aus und sehen alle ziemlich gleich aus – | |
auch wenn meine Kollegen da widersprechen würden. Ein Ansatz sind | |
automatisierte Genanalysen. Da gehen zwar – wie auch bei der Studie zum | |
Insektensterben – viele Tiere über den Jordan, aber dazu sehe ich keine | |
Alternativen. | |
1 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Frederik Richthofen | |
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