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# taz.de -- Biohacking als internationale Bewegung: Das Ende des Einzelwesens
> „Occupy Biology“: Eine Bewegung in der Biologie stellt Symbiosen in den
> Mittelpunkt der Forschung und rüttelt am Neodarwinismus.
Bild: Flechten: eine symbiotische Lebensgemeinschaft aus einem Pilz und einer A…
„Occupy Biology!“ – Diese Parole haben sich all jene zu eigen gemacht, die
mit Lebewesen Genexperimente machen – zu Hause in ihrer Küche. Man nennt
sie auch „Biohacker“. In Kalifornien gelang es zum Beispiel zweien, das
Darmbakterium E.coli so zu manipulieren, dass es bei seiner Teilung ein
Lied mitvererbt: Sie kodierten den Text des Liedes „It’s a small world“ in
DNA-Sequenzen, die sie in das Erbgut der Bakterien einschleusten. Jeder
Buchstabe wurde über eine spezifische Abfolge von DNA-Basen kodiert. So
erklärten die beiden Konstrukteure ihr Werk.
Aber „Occupy Biology“, das heißt gar nicht, jeder kann nun Genexperimente
machen (es gibt dafür sogar preisgünstige „Werkzeugkisten“, Wettbewerbe u…
„Summerschools“ an den Unis). Die „Occupy“-Bewegung drang ja auch nicht
darauf, an die Wallstreet-Computer und -Logarithmen herangelassen zu
werden. Sie kämpfte nicht für den „Zugang“ (Passwords). Übrigens
„geschehen“ auch die ganzen Genexperimente vor allem auf den Bildschirmen
von Rechnern.
„Occupy Biology“, das kann – im Gegenteil – nur heißen, dem ganzen
gentechnisch ausgerichteten Neodarwinismus als „Leitwissenschaft“ die
Deutungshoheit zu entwinden. Halb wurde das bereits mit dem Konzept der
„Epigenetik“ versucht, insofern diese experimentell abgesichert davon
ausging, dass gewisse Umwelteinflüsse sich doch vererben, ohne genetische
Spuren zu hinterlassen. Ebenso vorsichtig hatten zuvor schon russische
Symbioseforscher (am Beispiel von Flechten) und dann um 1900 der Anarchist
Peter Kropotkin mit seinem Werk „Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und
Menschenwelt“ den Darwin’schen „Kampf ums Dasein“ als Entwicklungsgesetz
der Arten relativiert.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte vor allem in Wien eine regelrechte
Forschungswelle ein, die – unter anderem in Arbeiterbildungseinrichtungen –
„Genossenschaften in der Natur“ thematisierte. Aber schon in den
Biologieseminaren an den Unis der DDR war dann selbst das Wort „Symbiose“
verpönt. Und im Westen galten die kleinen Gruppen um die US-Mikrobiologin
Lynn Margulis, die bei den Bakterien unverdrossen weitere Kooperationen
fanden, als Abweichler.
## Regelkonformer Egoimus
Aber mit der wachsenden Kritik am Neoliberalismus bekam dann nicht nur die
Genossenschafts- oder Allmendeforscherin Elinor Ostrom plötzlich einen
Wirtschaftsnobelpreis. Unter den Biologen in Ost und West, mindestens unter
den Verhaltensforschern, kam gleichzeitig auch das Thema „Altruismus“ auf.
Zwar gab es einige geharnischte Darwinisten, die alle beobachteten
Beispiele – zum Beispiel aus der Vogelwelt – sogleich zu einem
regelkonformen „Egoismus“ uminterpretierten. Aber das waren vielleicht
schon Rückzugsgefechte. Denn inzwischen macht es nicht nur die
Unterwasser-Aufnahmetechnik und die Sequenziertechnik in den Labors
möglich, ganze Lebensgemeinschaften und ihre miteinander verbundenen
Stoffwechselprozesse quasi auf einmal zu analysieren. Man spricht dabei von
„Holobionten“ – und denkt dabei etwa an den Menschen und seine Milliarden
Bakterien, Pilze, Protisten in und an ihm und um ihn herum, ohne die er
nicht leben kann, sodass man von einem „Individuum“ schlechterdings nicht
mehr reden kann. Im biologischen Sinne gibt es kein Einzelwesen mehr.
Auch dieses Forschungskonzept ist nicht so neu, wie es sich gibt, und ist
zudem bereits in der „Ökologie“ angelegt. Als der Biologe Ernst Haeckel
dieses Wort 1866 „erfand“, stand es für die Erforschung der „Beziehungen
des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle
Existenz-Bedingungen rechnen können“.
Haeckel arbeitete selbst jedoch am wenigsten ökologisch, denn er fing,
untersuchte und zeichnete vor allem marine Kleinstlebewesen, zum Beispiel
„Radiolarien“, von denen er über 100 erstentdeckte – und benannte. Daran
ist eher etwas Antiökologisches, insofern er „seine“ Meerestiere fing,
isolierte – und unter dem Mikroskop „zu Tode kuckte“, wie er sagte –, a…
er brauchte unbedingt eine Professur, mithin ein regelmäßiges Gehalt, weil
er seine Verlobte heiraten wollte.
## Forschung an Austernbanken
Im Jahr 1877 prägte der Biogeograf Karl August Möbius das Wort „Biozönose�…
Darunter fasste er „eine Auswahl und Zahl von Arten und Individuen, welche
sich gegenseitig bedingen“. Und Möbius meinte es ernst damit: Er erforschte
die Austernbänke an der deutschen Küste, wobei er prüfen sollte, ob man
dort wie an der französischen Westküste künstliche Austernzuchten anlegen
könnte – was er dann in seiner Schrift „Austern und Austernwirtschaft“
verneinte.
Die Austernbänke ließen sich laut Möbius aufgrund der Bodenbeschaffenheit
der Nord- und Ostsee nicht ausweiten. Ironischerweise haben sich heute die
anstelle der 1968 ausgerotteten Nordseeaustern eingeführten US-Austern
derart munter vermehrt, dass sie bereits die hiesigen Miesmuschelbänke
überwuchern. Das aber nur nebenbei.
Erwähnt sei noch, dass die Verhaltensforscher, die erstmalig ganze
Affengruppen beobachteten (nicht bloß das stärkste Männchen und seine
Rivalen) Feministinnen sind. Genauso ist es jetzt bei der Erforschung der
„Holobionten“. Für die Leiterin des Max-Planck-Instituts für
Meeresforschung in Bremen, Nicole Dubilier, ist das kein Zufall: „Ist doch
klar, es geht um Kooperation.“
7 Jun 2015
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Biologie
Bakterien
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