# taz.de -- Bewertungssystem für Gastronomie: Zeigt her eure Küchen | |
> Der Senat will mit einem Gesetz die Hygiene in Küchen transparent machen. | |
> Kritik kommt aus ganz unterschiedlichen Richtungen. | |
Bild: Auch Du hältst die Küche sauber, Genosse | |
BERLIN taz | Schreibt SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey schon vor der | |
Wahl Gesetze in Berlin? Bei dem Namen „Saubere-Küchen-Gesetz“, das am | |
Donnerstag im Abgeordnetenhaus von der rot-rot-grünen Koalition beschlossen | |
werden soll, könnte man zumindest auf die Idee kommen, erinnert der | |
massenkompatible Begriff doch sehr an das Gute-Kita- oder | |
Starke-Familien-Gesetz, die Giffey als Bundesfamilienministerin auf den Weg | |
brachte. | |
Zur Beruhigung, so weit ist es noch nicht: [1][Giffey kann zwar schon jetzt | |
Koalitionsvorhaben zu Fall bringen, wie jüngst die Bauordnung], aber mit | |
dem Gesetz zur „Transparentmachung von Ergebnissen amtlicher Kontrollen in | |
der Lebensmittelüberwachung“, wie es auf Amtsdeutsch auch heißt, hat sie | |
herzlich wenig zu tun. Stattdessen stammt das Gesetz aus dem Haus von | |
Senator Dirk Behrendt (Grüne), der neben Justiz und Antidiskriminierung | |
auch den Verbraucherschutz bearbeitet. | |
Darum geht es: Verbraucher*innen sollen sich besser informieren können. | |
Wer bislang in einer Kantine oder einem Restaurant essen geht, bei | |
Metzgereien, Bäckereien oder Eisdielen einkauft, kann kaum nachvollziehen, | |
welche Hygienestandards in der Küche bei der Herstellung, Verarbeitung oder | |
dem Verkauf herrschen. Zwar werden Lebensmittelbetriebe schon jetzt | |
regelmäßig durch die bezirklichen Stellen zur amtlichen | |
Lebensmittelüberwachung überprüft, deren Ergebnisse bleiben Kund*innen | |
aber meist verborgen. | |
Zukünftig, wenn das Gesetz nach einer Corona-Übergangszeit am 1. Januar | |
2023 in Kraft tritt, sollen die kontrollierten Betriebe die Ergebnisse | |
sichtbar in den Eingangsbereichen veröffentlichen; ebenso werden die | |
Bewertungen im Netz einsehbar sein. Senator Behrendt begründet dies auf | |
recht drastische Art: „Ich will nicht, dass Berlinerinnen und Berliner am | |
gedeckten Restauranttisch freudig auf ihr Essen warten, während wenige | |
Meter entfernt in der Küche die Kakerlaken zwischen den Töpfen | |
umherkrabbeln.“ | |
## Balken von Grün bis Rot | |
Die Bewertung soll entlang dreier Kategorien erfolgen: das Verhalten der | |
Lebensmittelunternehmer, etwa die Einhaltung lebensmittelrechtlicher | |
Bestimmungen, die Verlässlichkeit von Eigenkontrollen, beispielsweise | |
Temperatureinhaltung, sowie das Hygienemanagement, also die Sauberkeit in | |
der Produktion, Schädlingsbekämpfung und bauliche Beschaffenheit der | |
Produktionsstätte. Aus einer jeweiligen Punktevergabe entsteht dann ein | |
farbliches Balkendiagramm von Grün über Gelb bis Rot. | |
Das Ganze erinnert an das „Smiley“-System, mit dem der Bezirk [2][Pankow | |
schon vor Jahren arbeitete] und es – nach einem zwischenzeitlichen | |
gerichtlichen Verbot – seit einem Jahr wieder tut. Die Debatte über ein | |
solches Warn- und Informationssystem währt allerdings schon über ein | |
Jahrzehnt. Auslöser war 2009 die sogenannte Ekelliste, die | |
Lebensmittelkontrolleure in Pankow öffentlich machten und die bundesweit | |
Aufsehen erregte. Mit Fotos dokumentierten die Prüfer damals Mängel. | |
Daraufhin brachte die in der damaligen rot-roten Koalition für | |
Verbraucherschutz zuständige Senatorin Katrin Lompscher (Linke) das Projekt | |
„Sicher essen in Berlin“ auf den Weg, bei dem Daten von Restaurants im | |
Internet einsehbar waren. Nicht alle Bezirke aber beteiligten sich daran. | |
Zu verpflichtenden Hinweise am Lokaleingang – ähnlich einem Energieausweis | |
bei Elektrogeräten – kam es aber nicht. Gastwirte protestierten, es gab es | |
Klagen bei Gericht, teilweise auch bei Politikern Angst vor einer | |
„Prangerwirkung“ für die betroffenen Lokale. Der damalige Stadtrat in | |
Pankow, Jens-Holger Kirchner, hielt dem entgegen: „Wenn die tote Ratte auf | |
dem Küchenboden zum Betriebsgeheimnis erklärt wird, kann etwas mit dem | |
System nicht stimmen.“ | |
Vergeblich drängte Lompscher auf eine bundesrechtliche Regelung. Deren | |
Fehlen beklagt Behrendt bis heute, was der Anlass zu dem Gesetz auf | |
Landesebene war. „Verbraucherinnen und Verbraucher sollten nicht im | |
Kleingedruckten nachlesen müssen, ob Hygienestandards eingehalten werden“, | |
sagte Behrendt, als die Landesregierung Anfang Juni den Gesetzentwurf | |
beschloss, um den es nun abschließend im Parlament geht. | |
## Kritik vom Gaststättenverband | |
Ist nun also alles gut? Nicht für den Deutschen Hotel- und | |
Gaststättenverband Dehoga. Die wirft Behrendt Täuschung vor. Demnach soll | |
der Senator versprochen haben, dass die Unternehmen ein Recht auf eine | |
Nachkontrolle haben, ehe Ergebnisse veröffentlicht werden. Nun aber sollen | |
Ergebnisse sofort transparent sein und können erst nach einer beantragten | |
und selbst zu zahlenden Nachkontrolle innerhalb von acht Wochen | |
ausgetauscht werden. Für Dehoga-Geschäftsführer Thomas Lengfelder ist das | |
kein Trost. „Einmal veröffentliche Ergebnisse kriegen sie aus dem Netz | |
nicht mehr raus.“ | |
Kritik kommt auch aus dem Bezirksamt Pankow, das auf Basis der | |
EU-Kontrollverordnung auf einer Website seit Oktober 2020 seine Bewertungen | |
samt Smileys wieder veröffentlicht. Die Essenausgabestelle der Kita | |
Prenzlmäuse etwa wird auf dieser Seite nur als zufriedenstellend bewertet. | |
Beim französischen Feinkostgeschäft Le Flo prankt gar ein trauriger roter | |
Smiley: Gerade noch „ausreichend“ sei die Hygiene dort. Dazu gibt es Fotos, | |
die den Zustand dokumentieren. Das Pankower Projekt war der Gegenentwurf | |
des Rats der Bürgermeister, konnte sich aber nicht gegen den Senat | |
durchsetzen. | |
Dabei, so heißt es aus dem Bezirksamt, funktioniere die Software für die | |
Pankower Ampel bereits und könnte „sofort berlinweit übertragen“ werden. | |
Sie benötige außerdem keinen größeren Mehraufwand für die aktuell 15 | |
Lebensmittelkontrolleur*innen, die täglich rund 40 Untersuchungen | |
durchführten. Die Smileys seien zudem klarer als das Transparenzbarometer. | |
In Pankow kritisiert man aber vor allem, dass das neue Gesetz des Senators | |
erneute von den Betroffenen beantragte Kontrollen ermögliche. Dies sei | |
rechtswidrig, da Kontrollen immer unangemeldet stattfinden müssten; beim | |
Senatsgesetz sei der Zeitraum allerdings bekannt. Man gehe deswegen davon | |
aus, dass alle, die es sich leisten können, sich eine bessere Bewertung | |
„erkaufen werden“. Denn die Erfahrung sei, dass Bußgelder bei | |
Hygienevergehen nichts bewirken. „Einen traurigen Smiley will aber keiner | |
im Schaufenster.“ | |
2 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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Dirk Behrendt | |
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