| # taz.de -- Berliner Hilfe für die Ukraine: Was man im Krieg so braucht | |
| > Was vom Verlin „Berlin to borders“ in Marzahn gesammelt wird, spiegelt | |
| > auch den Verlauf des Krieges und die Bereitschaft zu spenden. Ein | |
| > Rundgang. | |
| Bild: Chris Knickerbocker im Lager des Vereins „Berlin to borders“ in Marza… | |
| Berlin taz | Trübes Grau scheint durch die Oberlichter in den Lagerraum. | |
| Chris Knickerbocker – brauner Vollbart, gelbe Wollmütze, Halskette mit | |
| Kreuz – öffnet den ersten mit „Hospital“ beschrifteten Gitterverschlag | |
| links neben dem Eingang. Rollatoren stapeln sich zu einem Haufen, | |
| Spazierstöcke und Krücken liegen gebündelt daneben, Dutzende Rollstühle und | |
| Gehhilfen stehen in Reihe. | |
| „Die Gehhilfen hat unsere englische Partnerorganisation gebracht“, erzählt | |
| der Pressebevollmächtigte von [1][„Berlin to borders“]. Doch zumeist | |
| bekommt der Verein seine Spenden aus dem Berliner Raum. Privatleute und | |
| Firmen bringen Dinge vorbei oder lassen sie vom Verein abholen. Der sammelt | |
| alles Mögliche – auch Kartons mit gemischten Medikamenten und | |
| Erste-Hilfe-Kartons – in seinem Lager im vierten Stock eines | |
| Gewerbekomplexes in Marzahn. Die Krankenhäuser in der Ukraine können | |
| offenbar alles gebrauchen. | |
| Knapp zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs haben die Macher | |
| des Berliner Vereins viele Routinen entwickelt. Jeder der etwa 15 | |
| Hauptaktivist*innen hat einen Zuständigkeitsbereich. Knickerbocker, | |
| der eigentlich Fotograf ist, seit fast zwei Jahren aber vorwiegend | |
| Aktivist, ist für Kiew, Cherson und für den Spenden-Bereich Werkzeuge | |
| zuständig. An den Wochenenden kommen Dutzende Freiwillige zum Sortieren und | |
| Verpacken nach Marzahn – und alle paar Wochen werden die Sachen per Lkw | |
| oder Van in die Ukraine transportiert. Entweder von ukrainischen Fahrern | |
| oder von den Volunteers selbst, so Knickerbocker, vor allem wenn es | |
| wertvolle Fracht gibt wie Generatoren, medizinische Geräte oder | |
| Starlink-Satellitenschüsseln. | |
| In allen Ecken des kriegsgeschüttelten Landes hat Berlin to borders | |
| inzwischen Partnerorganisationen. „Wir liefern nur, was die brauchen und | |
| bei uns bestellen“, erklärt der 30-jährige Deutsch-Amerikaner. Inzwischen | |
| dürfe man auch nur noch an registrierte Vereine Spenden liefern, die neuen | |
| Antikorruptionsbestimmungen der ukrainischen Regierung verlangten dies. | |
| Ebenso, dass alle Spenden an der Grenze mit Geldwert und Gewicht angemeldet | |
| werden. „Ich kann das verstehen, aber es erschwert unsere Arbeit | |
| erheblich“, sagt Knickerbocker. | |
| ## Spenden sammeln schwierig geworden | |
| Schwieriger ist nach knapp zwei Jahren Krieg auch das Spendensammeln | |
| geworden. „Die Leute geben nicht mehr so leicht wie am Anfang“. Am ehesten | |
| noch für notleidende Tiere, „weniger für diese unspektakulären Dinge, die | |
| wir brauchen“, sagt der junge Mann mit ernstem Gesicht. Als sie einmal per | |
| Social Media für eine „Katzenfrau“, die in ihrem Haus Dutzende herrenlose | |
| Katzen versorgt, 500 Euro Spenden gebraucht hätten, sei das Geld binnen | |
| zwei Stunden da gewesen. Zugleich hätten sie Probleme, 600 Euro für einen | |
| Van zusammenzubringen. | |
| Ein Grund für die abnehmende Spendenbereitschaft könnte sein, dass der | |
| Verein mit seinem Projekt „Gemeinsam4Ukraine“ auch für die ukrainische | |
| Armee sammelt. „Das wollen viele Spender nicht“, weiß Knickerbocker, „ab… | |
| wir stehen dazu.“ Drohnen hätten sie schon geliefert, „die rüstet die Arm… | |
| dann mit Kameras aus“, oder Tarnnetze – zumeist aber geht es um | |
| Grundversorgung für „die Jungs“, wie Knickerbocker sagt: um Hand- und | |
| Fußwärmer, Gaskartuschen, Hygieneartikel. | |
| Gerade ist der mit dem Schild „Military“ gekennzeichnete Verschlag im | |
| Lagerraum ziemlich leer, erst kürzlich ist eine Lieferung abgegangen. Nicht | |
| mehr reingepasst in den Laster haben ein paar Dutzend Kartons, die mit „MF“ | |
| und einer Zahl zwischen 1 und 15 beschriftet sind: „Military Food“, | |
| bestehend aus Dosen- und anderem Fertigessen. Kann die ukrainische Armee | |
| ihre Soldaten nicht einmal mehr mit Essen versorgen? „Auch die brauchen | |
| inzwischen alles“, sagt Knickerbocker. | |
| Wie zum Beweis geht er in eine dunkle Ecke und zieht ein eingeschweißtes | |
| Etwas aus einem unscheinbaren Karton: einen Leichensack. Eine sehr wichtige | |
| Sache sei dies, erklärt der junge Mann. 17.000 Säcke – schwarze fürs | |
| Militär, weiße für Krankenhäuser – hätten sie schon geliefert. „Wenn d… | |
| Schnee schmilzt, wird das ukrainische Militär in den befreiten Gebieten | |
| wieder schnell viele Leichen einsammeln müssen, um Seuchen vorzubeugen. Die | |
| Russen haben es nicht so mit dem Leichenwegbringen.“ Auch, weil sie der | |
| eigenen Bevölkerung die „Verluste“ möglichst verschweigen wollten. | |
| ## Linke an der Front | |
| Ein weiterer Verschlag ist zugesperrt: Hier hat Berlin to borders den | |
| Anarchist*innen der Radical Aid Force ein Plätzchen freigeräumt. | |
| [2][Dass diese Aktivist*innen ihre Spenden – Medizin, Generatoren, | |
| Starlinks – „bis an die Front bringen“], findet Knickerbocker „mutig und | |
| spannend, weil deutsche Linke es ja sonst nicht so mit dem Militärischen | |
| haben“. | |
| Er selbst, erzählt er, war auch schon nah an der Front, in Cherson am | |
| Dnipro. Die Stadt, die zwischenzeitlich von den Russen eingenommen war, ist | |
| weitgehend zerstört, wie man auf den Fotos und Videos sieht, die der | |
| Fotograf der Reporterin auf seinem Handy zeigt. Russische Angriffe von der | |
| anderen Flussseite – sowohl mit Artillerie als auch Snipern – machten das | |
| Leben dort lebensgefährlich, erzählt er. | |
| Nur der Verein Spravzhni Ukraine versorge die weiterhin dort ausharrenden | |
| Menschen mit dem Nötigsten. „Weder das Rote Kreuz noch die UNO, keine der | |
| große Hilfsorganisation ist vor Ort!“ Ende Februar will er wieder | |
| hinfahren, unter anderem Computer für eine Untergrundschule bringen, und | |
| ein paar Wochen bleiben, um zu helfen: Fenster mit Holz vernageln, Medizin, | |
| warme Kleidung und Medikamente verteilen. | |
| Aber vorher machen er und andere Volunteers noch eine Schulung – er selbst | |
| zum zweiten Mal, berichtet Knickerbocker: 24 Volunteers von verschiedenen | |
| Berliner Vereinen lernen dort Erste Hilfe für Schusswunden, wie man | |
| Sprengfallen und Minen erkennt, stundenlangen Artilleriebeschuss aushält | |
| oder mit Menschen umgeht, die in Schockstarre verfallen sind – eben Dinge, | |
| die man zum Überleben in einer Frontstadt so braucht. | |
| ## Nachfrage nach fast allem | |
| In einer weiteren Abteilung des Lagers sortieren zwei Frauen Kleiderberge | |
| für Frauen, Männer, Unisex und Kinder. „Das ist für die Flüchtlingscamps … | |
| der Ukraine“, erklärt Maria Ines Mariano. „Viele verlassen ja das Land gar | |
| nicht, sondern fliehen in die großen Städte.“ Die Argentinierin ist eine | |
| der zwei Gründerinnen von Berlin to borders: „Direkt nach Kriegsbeginn | |
| haben Maggi – eine befreundete Künstlerin – und ich angefangen, Spenden zu | |
| sammeln, zuerst bei mir zu Hause.“ | |
| Fast zwei Jahre später ist ein gut organisiertes Netzwerk um die | |
| Künstler*innen entstanden, die den Kern von Berlin to borders ausmachen. | |
| Die GSW Immobilien AG stellt das Lager in Marzahn zur Verfügung, die | |
| Clubszene sammelt auf Veranstaltungen immer wieder Spenden, ebenso andere | |
| Vereine wie Vitsche, eine ukrainische Exilorganisation. | |
| Doch die Sache bleibt mühsam, immer wieder gilt es Rückschläge | |
| einzustecken. Der „Solidarity Shop“ etwa, in dem Berliner Geflüchtete, | |
| nicht nur aus der Ukraine, gespendete Kleidung und Hygieneartikel bekamen, | |
| musste mangels Raum wieder geschlossen werden. Die verringerte | |
| Spendenbereitschaft wurde bereits angesprochen, gleichzeitig steigt mit dem | |
| Fortgang des Krieges in der Ukraine die Nachfrage nach allem. „Es gibt viel | |
| mehr Zerstörung, immer mehr Verletzte“, fasst Knickerbocker die Lage | |
| zusammen. Und beschließt den Rundgang mit einer Aufzählung der dringendsten | |
| Dinge, die man immer benötigt: Erste-Hilfe-Kästen, Wolldecken, Dosenessen. | |
| Und natürlich Geld. | |
| 1 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berlintoborders.org/ | |
| [2] /Anarchistisches-Ehrenamt-in-der-Ukraine/!5982677 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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