# taz.de -- Ukrainische Militärführung: Die Nervosität steigt | |
> Entlässt Präsident Selenski den obersten Militär Waleri Saluschni? Das | |
> wäre ein riskanter Schritt. Der General ist beliebt. | |
Bild: Waleri Saluschni, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte | |
Luzk taz | „Jeden Moment kann etwas passieren.“ Dieser Satz fasst die | |
Gemütslage der Ukrainer*innen nach zwei Jahren Krieg treffend zusammen. | |
Für viele von ihnen ist es ein Leben in der Hölle. | |
In diesen Tagen liegen die Nerven besonders blank, aber nicht nur aus Angst | |
vor dem nächsten russischen Angriff. Seien es Lehrer*innen oder | |
Reinigungskräfte in einem Supermarkt. Seien es Präsident Wolodymyr Selenski | |
und hochrangige Militärs – die Nervosität wächst allerorten. | |
Anfang dieser Woche wurden erstmals Informationen öffentlich, [1][wonach | |
Selenski den Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Waleri | |
Saluschni, entlassen wolle]. Es folgte ein Dementi aus der Bankowa, dem | |
Sitz des Präsidenten. Daraufhin gab es zahlreiche Spekulationen und fast | |
täglich neue Gerüchte und Einschätzungen von Expert*innen. Dass die | |
Beziehung zwischen den beiden Männern seit Längerem erheblich gelitten hat, | |
ist ein offenes Geheimnis. Doch jetzt rätselt alle Welt über die Frage: Was | |
treibt Selenski um? | |
General Saluschni ist in der Bevölkerung sehr beliebt. Das Geraune über | |
seine Entlassung kam deshalb nicht gut an. Die Menschen machen ihrer | |
Empörung vor allem in den sozialen Netzwerken Luft, denn in Zeiten des | |
Kriegsrechts sind Proteste auf der Straße verboten. Die Worte an die | |
Adresse des Präsidenten sind eindeutig. Viele drängen ihn, zur Besinnung zu | |
kommen und mit Saluschni Frieden zu schließen. Hitzköpfe kündigen einen | |
Marsch in die Hauptstadt Kyjiw an, um „Selenski mit der Mistgabel von der | |
Macht zu vertreiben“. | |
## Ist die Entscheidung schon gefallen? | |
Die Beliebtheit Saluschnis drückt sich online auch in Memes aus, Witze und | |
markante Bilder, die Menschen über ihn teilen. Ein Spruch geht so: „Wenn | |
Saluschni einen Raum betritt, macht er nicht das Licht an, sondern schaltet | |
die Dunkelheit aus.“ | |
Bis Redaktionsschluss ist es nicht zu einer Ablösung Saluschnis gekommen, | |
ein entsprechendes Dekret hat der Präsident noch nicht unterzeichnet. Aber | |
das Thema beherrscht die Titelseiten. Es heißt, die Entscheidung zur | |
Entlassung sei gefallen, sie habe sich lediglich zeitlich verzögert. Die | |
Suche nach einem Nachfolger gehe weiter, weil keiner der Generäle dem | |
Vorschlag des Präsidialamtes zugestimmt habe. | |
Derzeit rätseln jedoch alle darüber, wer oder was Selenski s Dekret in die | |
Quere gekommen ist. So spekulieren manche, dass die westlichen Partner | |
Kyjiws eingegriffen haben könnten und ihren starken Widerstand gegen | |
Saluschnis Rücktritt zum Ausdruck gebracht hätten. Auf sie höre Selenskj, | |
da die Ukraine mittlerweile vollständig auf westliche Militär- und | |
Finanzhilfe angewiesen sei. | |
Ausländischen Medien ist zu entnehmen, dass westliche Regierungschefs Kyjiw | |
beharrlich raten, auf eine strategische Verteidigung umzusteigen – das | |
heißt, sie drängen darauf, die Strategie umzusetzen, die Saluschnj | |
befürwortet. | |
Ein weiterer Grund, der die Entlassung vorerst verhindern könnte, ist das | |
Problem, einen neuen Oberbefehlshaber zu ernennen. Ukrainische Medien | |
nennen zwei Kandidaten für diese Position: den obersten | |
Geheimdienstoffizier Kirill Budanov und den Kommandeur der Bodentruppen | |
Alexander Syrsky. Womöglich besteht aber auch da noch Klärungsbedarf. | |
## Der General ist eine Autorität | |
Für die Ukrainer*innen ist Saluschni eine Autorität – an der Front | |
genauso wie im Hinterland. Der General hat mittlerweile eine viel stärkere | |
öffentliche Unterstützung als Selenski (88 Prozent gegenüber 62 Prozent im | |
Dezember), und der Präsident reagiert äußerst vorsichtig auf die Ergebnisse | |
solcher Umfragen. Wenn in einer Woche Präsidentschaftswahlen wären, würde | |
der General diese Wahlen gegen jede/n Konkurrent*in gewinnen. | |
Womöglich geht man im Präsidialamt aber davon aus, dass das Vertrauen in | |
Saluschni sinken würde, wenn dieser seinen Posten verließe. Doch Demoskopen | |
gehen davon aus, dass die Entlassung eher Selenski schaden könnte. Im | |
Dezember ergab eine Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für | |
Soziologie, dass 72 Prozent der Ukrainer*innen negativ auf Saluschnis | |
Ablösung reagieren würden. | |
Dass zwischen dem Präsidenten und dem Armeekommandanten ein schwieriges | |
Verhältnis besteht, ist seit Herbst 2023 ein Thema. Selenski äußerte seine | |
Unzufriedenheit mit Saluschni zwar nicht öffentlich, aber nach dem, was aus | |
dem Kreis seiner Gefolgschaft zu hören ist, ging es [2][um die | |
Verantwortung für das Ausbleiben wichtiger Siege 2023]. Ein weiteres | |
Streitthema ist [3][die bevorstehende umfassende Mobilisierung]. Der | |
Präsident versuchte in beiden Fällen, sich aus der Verantwortung zu nehmen | |
und sie gezielt an Saluschni zu übergeben. | |
Politische Eifersüchteleien und Taktieren hin oder her, klar ist: Wenn das | |
Leben von Millionen Ukrainer*innen und die Zukunft des Landes auf dem | |
Spiel stehen, sollten politische Ambitionen hinten angestellt werden – so | |
die Meinung der weit überwiegenden Mehrheit. | |
## „Sich selbst ins Knie schießen“ | |
„Die Tatsache, dass Selenski und sein Team bereit sind, sich selbst ins | |
Knie zu schießen, ist ihr Problem. Aber mit dieser Entscheidung schießen | |
sie uns allen in die Beine. Denn der Rücktritt von Saluschni wird Selenskis | |
Position nicht stärken, sondern schwächen. Und nicht nur Selenski, sondern | |
die ganze Ukraine“, schreibt der Kolumnist Sergej Rudenko. | |
Der Politikwissenschaftler Witali Portnikow weist darauf hin, dass es im | |
Interesse der Bürger*innen und der Elite liege, das große Vertrauen in | |
Waleri Saluschni zu nutzen, um das psychologische Potenzial der Nation und | |
ihren Glauben an den Sieg aufrechtzuerhalten. „Vertrauen ist ein riesiges | |
Kapital, wenn es um einen existenziellen Konflikt zwischen zwei | |
benachbarten Völkern geht. Daher sollten diejenigen, die Saluschni zu | |
eliminieren versuchen, nicht über ihren eigenen Verbleib an der Spitze der | |
Macht nachdenken, sondern darüber, wie sie das Kapital des Vertrauens in | |
den Oberbefehlshaber nutzen können, um die nationale Einheit und die | |
Bereitschaft der Ukrainer zu einer langfristigen Konfrontation mit der | |
russischen Aggression zu bewahren“, schreibt Portnikow. | |
Er glaubt, dass das Vertrauen in Saluschni nicht schwinden werde, sollte er | |
abgesetzt werden. Gleichzeitig werde jemand Neues nur durch Saluschnis | |
Prisma wahrgenommen. | |
Sollte ein neuer Oberbefehlshaber im Krieg Erfolge vorweisen, werden viele | |
sagen: „Wenn Saluschni dort gewesen wäre, hätte es einen noch größeren | |
Erfolg gegeben.“ Wenn es dagegen Niederlagen geben wird oder die Regierung | |
Kompromisse mit den Russen eingeht, werden alle sagen: „Wenn Saluschni die | |
Armee angeführt hätte, wäre das nicht passiert. | |
Die Situation im Krieg ist volatil. Doch es ist unwahrscheinlich, dass | |
irgendein ukrainischer Politiker Saluschnis Platz einnehmen kann – jenen | |
eines „Retters der Nation“, so wie die Ukrainer*innen ihn heute | |
verstehen. | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
2 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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