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# taz.de -- Zwei Jahre Ukrainekrieg: Zwischen zwei Welten
> Für die Flüchtlinge aus der Ukraine ist das Ankommen in Berlin nicht
> leicht. Keine Wohnungen, überbordende Bürokratie – und der andauernde
> Krieg.
Bild: Alle Ukraine-Flüchtlinge müssen zunächst ins Ankunftszentrum Tegel. Et…
Fast zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine
könnte man den Eindruck haben, in Berlin sei alles wieder „normal“. Dass in
der deutschen Hauptstadt rund 58.000 Kriegsflüchtlinge leben, ist kaum ein
Thema – ebenso wenig die Frage, wie sie hier leben. Doch „Normalität“ gi…
es bei dem Thema nicht, weder auf deutscher, noch auf ukrainischer Seite.
Es fängt bei den Ämtern an. „Wir sind wirklich überfordert“, sagt
Anne-Marie Braun von Schöneberg hilft e. V., einem Verein, der sich seit
Kriegsbeginn unermüdlich für Ukraine-Flüchtlinge einsetzt. „Aber nicht von
den Flüchtlingen, sondern von der Blödheit und Unwilligkeit der Berliner
Bürokratie.“
Zur Illustration ihres harten Urteils berichtet Braun von einer Ukrainerin
aus Bachmut, die vor ein paar Tagen mit ihrer 5-jährigen Tochter in die
Beratung von Schöneberg hilft kam. Sie habe ein Schreiben ihres Jobcenters
gezeigt, in dem sie aufgefordert worden sei darzulegen, wann sie gedenke,
Berlin zu verlassen. Braun: „Vielleicht sollte man den Mitarbeitenden vom
Jobcenter mal Fotos aus der völlig zerstörten Stadt zeigen?“ Die Frau habe
zwei Söhne an der Front, nun habe sie zusätzlich Angst davor, hier bald
keine Unterstützung mehr zu bekommen.
Als typisch für die Dysfunktionalität Berliner Ämter kann auch dieses
Beispiel gelten: Die Aufenthaltserlaubnisse vieler Ukrainer*innen wären
eigentlich nach zwei Jahren Anfang März abgelaufen, wenn nicht
Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) per Erlass verfügt hätte, dass alle
automatisch verlängert würden. „Trotzdem haben viele Ukrainer*innen
Briefe von ihrem Jobcenter bekommen mit der Nachricht, dass ihr
Leistungsbescheid bald ausläuft, weil ja der Aufenthaltstitel ende“,
berichtet Braun. Erst nach zahlreichen Beschwerden habe es eine Anweisung
an alle Berliner Jobcenter gegeben, dass auch deren Bescheide automatisch
verlängert werden.
## Es gibt viele „Leistungslücken“
Zu neuen Problemen kommen die alten, die seit Beginn des Krieges das Leben
vieler Flüchtlinge erschweren: lange Wartezeiten für Ämtertermine oder auf
Schulplätze, für die Gesundheitskarte, ohne die man nicht zum Arzt kann,
auf den WBS, den Kita-Gutschein oder den Integrationskurs. Oft gibt es
„Leistungslücken“, also kein Geld, etwa weil der „Rechtskreis“ wechsel…
Sozialamt zu Jobcenter oder weil Ämter Leistungen verweigern.
„Es gibt viele willkürlich falsche Entscheidungen und unendliche
Reibungsverluste zwischen den beteiligten Ämtern“, bestätigt Diana Henniges
von Moabit hilft die Diagnose von Braun. Sie betont zudem: Hauptgrund
dafür, dass Geflüchtete in Berlin nicht richtig ankommen können, sei, dass
es keinerlei Konzept zur Unterbringung besonders schutzbedürftiger Personen
gebe und „die Unterbringungsleistungen insgesamt unterirdische oder gar
keine Qualitätsstandards haben“.
In den ersten Kriegsmonaten sind die meisten Ukrainer*innen privat in
Berlin untergekommen. Viele Berliner*innen haben Flüchtlinge bei sich
Zuhause aufgenommen, oft über Vermittlung durch neue zivilgesellschaftliche
Initiativen wie #UnterkunftUkraine oder housing.berlin. Bestehende Vereine
wie Moabit hilft und Schöneberg hilft haben ebenfalls Tausenden Menschen
Zimmer und Wohnungen besorgt.
Aber angesichts der Wohnungslage in Berlin ist es auch für
Ukrainer*innen fast unmöglich, eine bezahlbare eigene Wohnungen zu
finden. Aktuell leben daher über 7.000 Kriegsflüchtlinge in Tegel, der
Notunterkunft im Ex-Flughafen Tempelhof und anderen Heimen des LAF.
## Sechs Monate und mehr in Tegel
Und noch immer kommen neue Kriegsflüchtlinge an: In der zweiten
Kalenderwoche waren es zum Beispiel 226, manchmal kommen an einem Tag
gleich 100 im selben Zug am Hauptbahnhof an. Für Neuankömmlinge, die in
Berlin bleiben, gibt es eigentlich nur noch Platz in Tegel. Dort ist die
durchschnittliche Verweildauer inzwischen über sechs Monate, manche
Ukrainer*innen leben dort allerdings auch schon weit über ein Jahr.
„Das größte Problem für Ukrainer*innen ist heute die Wohnungssuche“,
sagt daher Ksenia Gashchak. Die Ukrainerin ist Projektleiterin von UKTAK
(UK steht für Ukraine, TAK bedeutet „Ja“), eine Gruppe von über 800
Ukrainer*innen, die sich über Schöneberg hilft gefunden haben. Im
Interkulturellen Haus in der Gesslerstraße lernen sie zusammen Deutsch,
bieten Workshops an, machen Küche für alle und dergleichen. Und Schöneberg
hilft bietet dort einmal pro Woche im „Infopoint“ Beratung aller Art.
Dabei gehe es, erzählt Gashchak, neben der Wohnungsfrage viel um die
Bürokratie: „Die ist hier schon sehr papierlastig. Bei uns kann man fast
alles telefonisch oder elektronisch erledigen.“ Viele Fragen der
Ratsuchenden beträfen aber auch die Suche nach Ärzten, die Englisch oder
Ukrainisch sprechen. „Unter den Flüchtlingen gibt es viele alte Menschen
mit großen gesundheitlichen Problemen.“
Eine wichtige Arbeit von UKTAK sei auch die Versorgung ukrainischer
Kriegsveteranen, berichtet die 28-jährige studierte Sozialarbeiterin. Im
Ankunftszentrum Tegel sind immer wieder ukrainische Soldat*innen
untergebracht, die für ihre medizinische Behandlung nach Berlin gekommen
waren und nach dem Krankenhausaufenthalt keinen Platz in
Pflegeeinrichtungen fanden, obwohl sie noch in Behandlung sind.
## Suppe für die Soldaten
„Die Zustände in Tegel sind, ehrlich gesagt, nicht gut für Kranke“, findet
Gashchak. Dort leben die Flüchtlinge in Großzelten, wo 360 Menschen in
„Wohnwaben“ mit je sieben Doppelstockbetten auf engstem Raum untergebracht
sind. Es gebe weder Ruhe, noch sei die Unterbringung rollstuhlgerecht,
viele Soldaten bräuchten besonderes Essen und pflegerische Betreuung, sagt
sie. „Wir bringen ihnen täglich Suppe vorbei, versuchen Wohnungen für sie
zu besorgen, Medikamente – eben alles, was sie brauchen.“
Überhaupt der Krieg: Für die Deutschen mag er inzwischen weit weg sein, für
die Ukrainer*innen in Berlin ist er immer präsent. „Wenn ich aufwache,
lese ich zuerst die Nachrichten vom Krieg auf dem Handy“, erzählt Gashchak,
die aus Lwiw kommt und gerade für zwei Wochen „Urlaub“ dort war. Die Angst
um ihre Familie begleite auch das Leben hier, ganz nah bei der Wohnung
ihres Bruders in Lwiw sei kürzlich eine Drohne eingeschlagen. „Trotzdem
wäre ich fast dageblieben“, erzählt sie. Die Sehnsucht frisst sie auf –
dazu kommen die ganzen Schwierigkeiten, hier Fuß zu fassen.
Auch Iryna Shulikina von der Organisation Vitsche berichtet von der
Zerrissenheit, die viele Ukrainer*innen hier spüren. „Ich habe wie viele
andere Familie und Freunde dort. Es ist ein unglaubliches Trauma, das alles
zu verlassen, um dein Leben oder das deiner Kinder zu retten.“ Wer hier
lebe, hadere damit, gegangen zu sein, wer dort geblieben sei, frage sich,
ob das richtig war. Und manche gehen wieder zurück. Zahlen zu
Rückkehrer*innen gibt es nicht, aber Shulikina schätzt, dass sich die
Rückkehrer und die Neu-Flüchtlinge inzwischen fast die Waage halten.
## Lieber wieder zurück
Gründe, trotz des Krieges zurückzugehen, gibt es viele. Manche wollten sich
jetzt doch einbringen in der Heimat, sagt Shulikinas Kollegin Krista-Marija
Läbe. „Auch eine Freundin von uns ist vor Kurzem der Armee beigetreten und
an die Front gegangen.“ Andere kehrten Berlin den Rücken, weil sie sich
hier nicht wohlfühlten, nicht richtig hier ankommen könnten mangels Wohnung
und Arbeit.
„Wieder andere fliehen erst jetzt, etwa wenn ihre Häuser durch russische
Drohnen zerstört wurden“, berichtet Läbe. Oder weil sie den Krieg und die
dauernde Angst nicht mehr aushielten. „Es ist ein Kommen und Gehen von
Ukrainer*innen in Berlin. Und es kommt natürlich auch darauf an, wie
wohl sich die Leute hier fühlen.“
20 Feb 2024
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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