# taz.de -- Ukraine-Flüchtlinge in Berlin: „Alle wollen, dass wir aufgeben“ | |
> Nach drei Jahren Krieg sieht es nicht rosig aus für die Ukraine – auch | |
> nicht für ihre Flüchtlinge. Zu Besuch bei der Gruppe „Uktak“ in | |
> Schöneberg. | |
Bild: Würden sich gerne selbständig machen mit ihrem urkainischen Catering: X… | |
Berlin taz | Die Situation der Ukraine ist ein bisschen wie die der | |
ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland, findet Ksenia Gashchak: Beide | |
wollten unabhängig sein, aber man lasse sie nicht. Der Westen gebe der | |
Ukraine zu zögerlich und zu wenige Waffen. Der deutsche Staat wiederum gebe | |
den Flüchtlingen zwar Bürgergeld und andere Unterstützung, aber keine | |
Möglichkeit, sich eine Zukunft aufzubauen. „Ob Wohnung, Arbeit, Sprachkurs, | |
medizinische Versorgung: hier ist alles bürokratisch und kompliziert.“ | |
Die 29-Jährige steht mit vier anderen Ukrainerinnen um U-förmig | |
zusammengeschobene Schultische in Raum 008 der früheren Teske-Schule in | |
Schöneberg. Die Frauen tragen Gastro-Hauben und Einmalhandschuhe und | |
bereiten Varenyky zu, ukrainische Teigtaschen, gefüllt mit einer | |
Kartoffel-Zwiebel-Mischung. | |
Sie gehören zur Gruppe Uktak – Uk steht für Ukraine, Tak bedeutet „Ja“ … | |
einem Projekt von „Schöneberg hilft“. Eigentlich treffen sie sich im | |
Interkulturellen Haus in der Geßlerstraße, wo es auch eine Küche gibt. Doch | |
die wird gerade renoviert und so müssen sie in die Ex-Schule ausweichen, wo | |
„[1][Schöneberg“ hilft] – neben VHS, Musikschule und anderen – zwei R�… | |
bespielt. | |
Im Nebenraum hat Ksenia Gashchak eine mannshohe Gefriertruhe aufgestellt, | |
dort werden die Varenyky und anderes vorbereitetes Essen tiefgefroren, bis | |
es gebraucht wird. „Jetzt stehen einige Events an“, erklärt sie: Das | |
Screening des ukrainischen Dokumentarfilms „Meme Wars“ am 29. März, das | |
Vor-Osterfest, die „Brotmesse“, dann kommt Ostern, im Frühsommer das | |
Nachbarschaftsfest am Rathaus Schöneberg. Bei allen Veranstaltungen | |
verkauft Uktak das Essen gegen Spenden. | |
## Stricksocken für die Front | |
Es war kurz nach Beginn des Ukrainekrieges vor drei Jahren, als „Schöneberg | |
hilft“ im Interkulturellen Haus einen „Infopoint“ eröffnete für | |
Neu-Berliner, vor allem für Ukrainer. Hier gibt es Hilfe in mehreren | |
Sprachen, um sich in der Bürokratie zurechtzufinden. So wurde das | |
Interkulturelle Haus ein Treffpunkt für Ukrainerinnen, die [2][Gruppe | |
„Uktak“] entstand, in der zunächst vor allem gemeinsam gekocht, Erfahrungen | |
ausgetauscht, Deutsch gelernt wurde. | |
Daraus haben sich verschiedene „Clubs“ entwickelt, erklärt Gashchak, die | |
von Beginn an dabei ist. Manche kümmern sich um den Interkulturellen | |
Garten, eine Frau malt jede Woche mit Kindern, eine andere organisiert | |
einen Strickclub, in dem aus gespendeter Wolle etwa Socken für die Soldaten | |
entstehen. Jeden Samstag schickt Uktak Lastwagen mit Spenden für die Front | |
los, darunter Rollstühle, Verbandskästen, Kerzen. | |
Mit dem „Event-Koch-Club“ würde sich Gashchak, die in Lwiw Sozialarbeit | |
studiert hat, gerne selbstständig machen und eine GmbH für Eventgastronomie | |
gründen. „Es wäre schön, richtiges Geld zu verdienen und Lohn zahlen zu | |
können“, sagt sie. Bisher arbeiten die Frauen ehrenamtlich, nur Gashchak | |
bekommt als Projektleiterin von Uktak einen Minijob bezahlt, finanziert | |
über den Integrationsfonds des Bezirks. Dafür arbeitet sie sechs Tage die | |
Woche quasi Vollzeit: kauft ein, koordiniert die Gruppen, schließt Räume | |
auf und ab, fährt Leute hin und her. | |
Doch der Weg in die Selbstständigkeit ist steinig. Seit einem halben Jahr | |
suche sie vergeblich nach geeigneten Räumen, erzählt die junge Frau. „Aber | |
wenn die Miete mal stimmt, verlangen die Leute einen horrenden Abschlag für | |
alte Einrichtung.“ Dazu komme noch das Geld für die Kaution, 25.000 Euro | |
Startkapital zur Gründung einer GmbH – „und dann die vielen Vorschriften, | |
diese Bürokratie“, stöhnt sie. | |
## Kampf um Unabhängigkeit | |
Und nicht nur die Schwierigkeiten beim Fußfassen in Berlin machen sie | |
manchmal müde. Auch ihr Fazit nach drei Jahren Krieg ist bedrückend, vor | |
allem nach dem Cut der Waffenlieferungen aus den USA. „Alle wollen, dass | |
wir aufgeben“, sagt Gashchak und meint beides: die Ukraine ihren Kampf um | |
Unabhängigkeit, die Flüchtlinge ihr Streben nach Selbstständigkeit. | |
„Das Jobcenter will, dass man jede Arbeit annimmt, egal was, auch wenn man | |
studiert hat. Aber wir möchten nicht irgendeinen Job für den Gewinn anderer | |
machen, wir wollen selbstständig sein. So wie die Ukraine nicht von | |
Russland ausgebeutet, sondern unabhängig sein will.“ | |
Auch den anderen Frauen ist der Eklat von Washington mit der Demütigung von | |
Präsident Wolodymyr Selenskyj im Oval Office noch sehr präsent. Nadja* ist | |
diplomatisch und erklärt ihre Dankbarkeit für die bisherige Hilfe durch die | |
USA. Sofia* ist verunsichert: „Trump ist unberechenbar, wir wissen nicht | |
mehr, was wir von Amerika erwarten können.“ | |
Aleksandra* ist es wichtig zu betonen: „Dass unser Präsident nicht im Anzug | |
kam, hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun.“ Die Kleidung Selenskyjs, der | |
stets ein olivgrünes oder – wie in Washington – schwarzes T-Shirts trägt, | |
sei vielmehr ein Zeichen, „dass wir in Not sind“. | |
## „Wie Orwells 1984“ | |
Alle Frauen sind sich einig: Europa ist jetzt allein und kann und muss es | |
trotzdem schaffen, Russland aus der Ukraine zu drängen. „Heute sind wir es. | |
Aber wenn wir nicht gewinnen, seid ihr morgen dran! Dann wird es wie | |
Orwells 1984“, befürchtet Gashchak. Darum müsse Deutschland jetzt einfach | |
mehr Waffen liefern. „Wir können uns dann schon verteidigen, wir sind es | |
gewohnt.“ | |
Bei dem Gedanken an die vielen Freunde, die sie schon im Krieg verloren | |
hat, füllen sich ihre Augen mit Tränen, doch sie reißt sich zusammen und | |
unterdrückt das Weinen. „Die Frage ist: Könnt ihr das auch?“ | |
Zur Illustration, was genau sie meint, holt sie aus dem Nebenraum zwei | |
selbst gegossene Kerzen in alten Dosen, eine kleine mit einem Docht aus | |
Pappe, eine große mit drei Dochten. Wegen der kriegsbedingten | |
Stromausfälle, erklärt sie, kochten viele Menschen in der Ukraine mit | |
solchen Kerzen. „Wir könnten euch beibringen, wie man solche Kerzen | |
herstellt und wie man darauf kocht. Das ist seit drei Jahren unser Alltag. | |
Aber ich wäre glücklich, wenn ihr so etwas nie brauchen werdet.“ | |
*Name geändert | |
13 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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